Österreichs Entwicklungspolitik dämmere in einem „Dornröschenschlaf“ dahin, konstatiert Anja Appel, die Generalsekretärin der Katholischen Frauenbewegung Österreichs in einem Beitrag zum Jahresbericht der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE). Appel beklagte anlässlich der Präsentation des Berichts „Die Zukunft der Österreichischen Entwicklungspolitik“ Ende Juni, dass die Entwicklungspolitik von der Gesellschaft nicht so wahrgenommen werde, wie sie sich das wünsche. Die Ergebnisse einer Umfrage aus Großbritannien, wonach in der Bevölkerung ein Bild der Entwicklungshilfe aus den 1980er Jahren vorherrsche, seien auch auf Österreich übertragbar. „Wir haben da einen Nachholbedarf“, meinte sie selbstkritisch.
Michael Obrovsky von der ÖFSE fand es symptomatisch, dass Österreichs Entwicklungshilfe im vergangenen Jahr mit 0,27 Prozent der Wirtschaftsleistung etwa auf dem gleichen Niveau liege wie 1985, als die ÖFSE erstmals einen Jahresbericht herausbrachte, der alle Entwicklungsleistungen des Landes darstellte. Bereits 2010 hätten die nichtstaatlichen Hilfsorganisationen in Österreich mit 126 Millionen Euro Spenden weit mehr Geld aufgebracht, als die staatliche Entwicklungsagentur ADA für bilaterale Hilfe zur Verfügung hatte. Zunehmend bedeutend seien zudem die Geldsendungen von Gastarbeitern an ihre Familien im Süden. Eine auf der Entwicklung der letzten Jahre basierende Prognose geht davon aus, dass diese Rücküberweisungen aus Industrieländern nächstes Jahr 400 Milliarden US-Dollar übersteigen werden. Die Überweisungen aus Österreich beziffert die österreichische Nationalbank für 2010 mit 348 Millionen Euro. An der Spitze der Empfängerländer steht Bosnien-Herzegowina; dort überstiegen sie die Leistungen der ADA um das 13-fache.
Gemeinsam mit ÖFSE-Chef Werner Raza analysiert Michael Obrovsky in dem Jahresbericht strukturelle Schwächen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit und macht Reformvorschläge. Neben der Fragmentierung – sieben Ministerien sind zuständig – sehen die Autoren auch in der dürftigen öffentlichen Wahrnehmung ein Problem. Dazu komme, dass entwicklungspolitische Interessen zunehmend von innenpolitischen Überlegungen überlagert würden, etwa von der Asylpolitik oder der Außenwirtschaftsförderung. Angesichts der Wirtschaftskrise stelle die Politik vermehrt die Frage „Was bringt uns das?“.
Raza plädiert für die Einrichtung eines Ministeriums für Globale Entwicklung, das die Entwicklungszusammenarbeit nicht nur aufwerten, sondern auch aus dem nationalen Eck herausführen würde. Unlängst hat der Leiter des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, Dirk Messner, einen ähnlichen Vorschlag für die deutsche Entwicklungspolitik gemacht (siehe welt-sichten 6/2012). Laut Raza gelte es, die Strukturen von „Gebern und Nehmern“ aufzubrechen.
Anja Appel sieht für die österreichische Entwicklungszusammenarbeit zwei mögliche Szenarien: „Entweder sie schläft weiter und wird allmählich vergessen oder die Zivilgesellschaft wacht auch ohne Prinzen oder Prinzessin auf, wird sich ihres Auftrags bewusst und nimmt ihre Rolle ernst und verantwortungsvoll wahr.“ Ihre Antwort ist klar: Die Lebensrealitäten in den Partnerländern führten tagtäglich vor Augen, „dass wir keine Zeit haben, um auf den guten Ausgang des Märchens zu warten“.
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