Sie unterstützen Bedürftige, obwohl sie selbst unter dem Krieg leiden. Die Nachbarschaftshilfen, die sogenannten „Emergency Response Rooms“ in den Kriegsgebieten des Sudan, sind für viele die einzige Anlaufstelle in der Not. Die Ehrenamtlichen organisieren Suppenküchen, medizinische Grundversorgung, Evakuierungen und auch mal Kinderprogramme, wie Mohamed Adam erzählt.
Adam hat am Anfang des Krieges zwischen der Armee und den paramilitärischen „Rapid Support Forces“ (RSF) selbst bei den Nachbarschaftshilfen mitgemacht. Seit einem Jahr unterstützt er den „Emergency Response Room“ (ERR) in seiner Heimatstadt Bahri von der kenianischen Hauptstadt Nairobi aus, wohin er geflohen ist.
Bahri bildet mit Omdurman und der Hauptstadt Khartum den Großraum Khartum, der vom Krieg besonders betroffen ist. Adam koordiniert Hilfe, versucht Spenden aufzutreiben und Aufmerksamkeit zu schaffen für die Notlage. Sein Vater ist noch im Sudan, seine Mutter ist mit seinen Schwestern nach Ägypten geflohen.
Viele Menschen verhungern im Sudan
Wie in vielen Teilen des Sudan ist die Lage in Bahri desolat. Laut der Nachrichtenplattform „Ayin Network“ verhungerten dort bis Ende August 49 Menschen. Die Zeitung „Sudan Tribune“ berichtete zudem von einem Cholera-Ausbruch und schweren Verläufen von Malaria und Typhus bei geschwächten Menschen. Ein Großteil Bahris ist unter Kontrolle der RSF, aber die Armee erkämpft sich immer mehr Gebiete zurück.
Der Machtkampf zwischen Armee und RSF-Miliz, der im April 2023 eskaliert ist, hat eine der gravierendsten humanitären Krisen weltweit verursacht. Mehr als zwölf Millionen Menschen sind auf der Flucht, Hunderttausende drohen zu verhungern. Keine der Kriegsparteien nimmt Rücksicht auf die Bevölkerung, sie blockieren und plündern Hilfslieferungen und greifen Infrastruktur wie Krankenhäuser, Schulen und Märkte gezielt an.
Kein Ausweg aus dem Krieg in Sicht
Alle Versuche, den Krieg im Sudan beizulegen oder wenigsten einen längeren Waffenstillstand zu erreichen, sind bisher gescheitert. So erreichten von den USA und Saudi-Arabien initiierte Verhandlungen 2023 nur eine ...
Die ERRs leisteten existenzielle Hilfe in einem extrem schwierigen Umfeld mit sehr geringen Ressourcen, urteilt der Leiter des norwegischen Friedensforschungsinstituts Prio, Henrik Urdal und nahm sie dieses Jahr in seine Liste mit Favoriten für den Friedensnobelpreis auf. Dabei setzten sich die Ehrenamtlichen selbst Bedrohung und Gewalt aus. Auch Adam zufolge wird die Arbeit immer gefährlicher. Die Kriegsparteien würfen den Freiwilligen vor, mit der jeweils anderen Seite zusammenzuarbeiten. Wer als Verräter gilt, dem droht der Tod.
Gruppen der Widerstandskomitees leisten jetzt existenzielle Hilfe
Entstanden sind die ERRs aus den „Resistance Committees“ (Widerstandskomitees), die sich seit 2012 im ganzen Land gebildet haben, um eine Demokratisierung des Sudan voranzutreiben. Diese Gruppen spielten eine entscheidende Rolle bei der Revolution Ende 2018 und dem Sturz von Langzeitdiktator Omar al-Baschir 2019. Sie repräsentieren die Bandbreite der Gesellschaft über politische Grenzen hinweg und sprechen für die Belange der Menschen in den Stadtteilen.
„Mit Beginn des Krieges haben wir all unsere Mittel des zivilen Widerstands verloren“, sagt Adam. Es seien keine Proteste, Blockaden oder politische Diskussionen mehr möglich. Doch die Widerstandskomitees hatten schon länger Aufgaben des Staats übernommen, lösten Probleme in ihren Stadtvierteln. Als im Krieg sowohl die lokalen Regierungsstrukturen als auch der Großteil der internationalen Unterstützung zusammenbrach, setzen junge Männer und Frauen alles in Bewegung, um Hilfe zu mobilisieren. Sie sind nicht nur in ihrer Nachbarschaft hervorragend vernetzt, sondern auch mit den anderen ERRs.
"Die Situation wird jeden Tag schlimmer"
Ihre Arbeit beruhe auf vier Grundwerten, erläuterte Hanan Ahmed, Mitgründerin des ERR in Omdurman, Ende September in New York: Transparenz, Partizipation, Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht. Spezialisierte Abteilungen kümmerten sich um Überlebende sexueller Gewalt, koordinierten Evakuierungen oder schrieben Projektanträge, um Gelder einzuwerben. Das Welternährungsprogramm habe jüngst erstmals eine Suppenküche eines ERR finanziert. Menschen, die nicht fliehen können oder wollen, holen jeden Tag in den mehr als 600 Ausgabestellen Essen für ihre Familien.
„Die Situation wird jeden Tag schlimmer“, sagte Ahmed. Die internationale Gemeinschaft müsse Druck für eine Waffenruhe auf die Kriegsparteien ausüben. Mohamed Adam hofft, dass die politische Kultur der Widerstandskomitees helfen kann, Lösungen zu finden, wenn der Krieg vorbei ist. Dass die Visionen von einem besseren, gerechten Sudan wieder Platz finden. Doch so lange gekämpft wird, fokussieren sie sich in den ERRs ganz auf die humanitäre Hilfe und den kleinsten gemeinsamen Nenner abseits politischer Überzeugungen: „Wir wollen Frieden.“
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