„Wir beobachten einen massiven Artenschwund und wollen die Vielfalt des Saatguts erhalten. Sie ist wichtig für die Pflanzengesundheit. Wir sind gegen Patente auf Saatgut und gegen Gentechnologie, weil dies die Vielfalt schmälert“, sagt Hans Rüssli vom Schweizerischen Bauernverband (SBV). Dies sei die gemeinsame Botschaft der Saatgut-Karawane, die keiner Ideologie verpflichtet sei, betont der SBV-Sprecher. Getragen wurde die Karawane von den Bauernverbänden Bio-Suisse und IP-Suisse sowie von der Entwicklungsorganisation Swissaid, die zu der 10-tägigen Tour vom 25. Mai bis 4. Juni auch Saatgut-Fachleute aus Ländern des Südens eingeladen hatte.
Von Genf über die Nord- und die Südostschweiz machte sie auf mehreren Stationen mit Veranstaltungen, Vorträgen und Aktionen auf die Gefahren des Artenverlusts aufmerksam und endete auf dem Bundesplatz in Bern mit einem von Swissaid organisierten „Festival der Vielfalt“. Die biologische Vielfalt sei nicht nur Rohstoffbasis, sondern „Grundlage des Lebens“, erklärte dort Umweltminister Moritz Leuenberger.
Tatsächlich sind UN-Schätzungen zufolge 90 Prozent der genutzten Sorten – etwa von Weizen, Reis und Mais – bereits von den Äckern verschwunden. Die Karawane wies darauf hin, dass gerade noch 15 Pflanzen- und acht Tierarten weltweit 90 Prozent aller Nahrungsmittel liefern. Grund sei die industrielle und zunehmend auf gentechnisch veränderte Sorten setzende Landwirtschaft mit ihren Monokulturen. „Nur eine breite Vielfalt auf den Feldern kann die Ernährung sichern“, betonen die Bauernorganisationen aus Nord und Süd.
Der freie Zugang zu Saatgut geht verloren
„Ein zentrales Problem ist, dass zwei Drittel des Saatguts weltweit nur zehn Firmen gehören“, sagt Swissaid-Geschäftsleiterin Caroline Morel. Den Bauern und Züchtern gehe der freie Zugang zu Saatgut verloren. 95 Prozent der Mais-Pflanzen in der Schweiz sind Bauernverband-Sprecher Rüssli zufolge Hybridzüchtungen, die nur in der ersten Generation üppig wachsen und deren Samen deshalb jedes Jahr neu gekauft werden müssen. Im Unterschied zu den Bauern in der Schweiz könnten sich die Kleinproduzenten in Entwicklungsländern das oft nicht leisten, sagt Morel. Weltweit gebe es bloß fünf Hybridsorten von Süßmais, die unter Patentschutz der jeweiligen Agrarkonzerne stehen. Die Folgen seien eine zunehmende Marktkonzentration, höhere Preise und eine wachsende Abhängigkeit der Landwirte von wenigen Anbietern.
Morel zufolge gibt es zudem in vielen Entwicklungsländern keine gesetzlichen Regelungen für die Einfuhr von und den Umgang mit gentechnisch verändertem Saatgut. Jorge Iran Vasquez vom Bauernverband UNAG aus Nicaragua erklärt, in seinem Land fordere die Zivilgesellschaft seit Jahren einen gesetzlichen Rahmen zum Schutz von lokalem Saatgut und der Biodiversität. Und der indische Agronom Gangula Ramanjaneyulu berichtet, 90 Prozent
der Baumwoll-Saaten in Indien seien gentechnisch verändert (Bt-Baumwolle); 95 Prozent der Gen-Samen, die bis zu dreimal so teuer seien wie herkömmliches Saatgut, gehörten dem Konzern Monsanto. Eine gute Nachricht sei hingegen, dass die nationale Koalition gegen Gentechnologie in Indien zu einem Moratorium für den Anbau von Bt-Auberginen habe beitragen können.
Ein positives Beispiel ist für Bio-Suisse-Bäuerin Manuela Ganz die Schweizer Pionierarbeit beim Bio-Mais. Bei einem Karawanen-Halt im aargauischen Rheinau beim Bio-Saatgutunternehmen Sativa betonte sie, dass hier „das einzige biologische Zuckermais-Saatgut in Europa“ gezüchtet wird. Dieser Mais sei den hiesigen Böden und klimatischen Bedingungen angepasst. Solches Saatgut werde künftig immer wichtiger, meint auch Fanceni Henriques Baldé. Sorgen bereiten der Ernährungsberaterin aus Guinea-Bissau außer der schwindenden Artenvielfalt die zunehmenden Landkäufe in Entwicklungsländern als Folge der steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln und der Bodenknappheit in vielen reichen Ländern. Der Druck auf Agrarflächen im Süden schüre dort die Armut.
„Nur wenn die verschiedenen Sorten auch bei uns in der Einkaufstasche und auf unseren Tellern landen, werden sie weiterhin produziert werden“, betont Morel. Zur Rettung der Vielfalt seien wir alle gefragt. Die Devise laute: „Lokal, saisonal und wenn möglich ‚bio‘ und fair einkaufen.“