Isoliert und hochgerüstet

Eritreas Präsident Isaias Afwerki reagiert mit harter Hand. Die politische Opposition, die Presse und die Zivilgesellschaft im Land hat er mundtot gemacht. Gleichzeitig sieht er sich von allen Seiten bedroht und rüstet sein armes und hochverschuldetes Land militärisch auf. Die Vereinten Nationen werfen ihm die Unterstützung von Islamisten in Somalia vor und haben Sanktionen verhängt. Doch von den Vorgängen im Innern des Landes nimmt die Weltöffentlichkeit schon lange kaum noch Notiz.

Eritrea ist Afrikas jüngster Staat: Das Land am Horn von Afrika wurde 1993 unabhängig. Nach einem 30-jährigen Befreiungskrieg übernahm die Eritrean People’s Liberation Front (EPLF) die Macht und versprach Frieden und Entwicklung, Demokratie und die Achtung der Menschenrechte. Heute sind diese Versprechungen nur noch eine traurige Erinnerung. Das totalitäre Regime von Präsident Isaias Afwerki hält sein Volk im Würgegriff, tritt die Menschenrechte mit Füßen und die Eriträer leiden noch immer bittere Armut.

Unter dem Vorwand einer Bedrohung von außen werden der Bevölkerung grundlegende Rechte wie Meinungsfreiheit, Organisations- und Versammlungsfreiheit sowie Religionsfreiheit verwehrt. Die Regierung lässt keine alternative Meinung zu; sie nutzt alle menschlichen und materiellen Ressourcen, um ihre totalitäre und militaristische Herrschaft abzusichern. Es gibt keine privaten oder unabhängigen Presse- und Medienunternehmen. Keine nichtstaatliche Organisation (NGO) darf außerhalb der direkten Kontrolle der Regierungspartei tätig werden.

Die gegenwärtige Lage geht auf eine vom Marxismus-Leninismus inspirierte militaristische Tradition zurück, die sich aus dem Befreiungskampf entwickelt hat. Von Anfang an wurden Initiativen der Zivilgesellschaft unterdrückt und alternative Meinungen abgewürgt. Laut Verfassung werden demokratische Rechte und Freiheiten nicht ohne weiteres gewährt; sie müssen mit der politischen Linie der Regierung im Einklang stehen. Unmittelbar bevor 1998 der neue Krieg mit Äthiopien ausbrach, fanden in Eritrea 1997 die ersten Regionalwahlen statt. Doch die Verlagerung der Verwaltung auf die regionale Ebene diente nicht etwa der Dezentralisierung der Macht. Im Gegenteil: Sie etablierte ein neues Überwachungssystem, das direkt vom Präsidialamt kontrolliert wurde.

Am 23. Mai 1997 ratifizierte eine von der Regierung eingesetzte Kommission die Verfassung des unabhängigen Eritrea. Laut Regierung soll sie aber erst wirksam werden, sobald das Parlament, die Nationalversammlung, neu gewählt ist. Die für 1998 vorgesehenen nationalen Wahlen wurden aufgrund des Krieges vertagt. Nach dem Waffenstillstandsabkommen im Sommer 2000 wurden erneut Wahlen geplant und Gesetzesentwürfe vorgelegt. Doch angesichts oppositioneller Tendenzen annullierte die Regierung die Vorlagen, die als Basis für die Gründung politischer Parteien und die Durchführung von Wahlen dienen sollten. Der Wahltermin wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Neben seiner eigenen Verfassung ist Eritrea an verschiedene internationale Abkommen gebunden, die Rechtsstaatlichkeit gewährleisten sollen, allen voran an den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) und das entsprechende regionale Abkommen der Afrikanischen Union, die Afrikanische Charta der Menschenrechte. Doch bleibt die Verfassung bedeutungslos, solange die Regierungsorgane sich in der Praxis nicht daran halten.

Seit der Unabhängigkeit gilt als Rechtsstaatlichkeit, was die EPLF darunter versteht. Die Partei definiert Rechtsstaatlichkeit nicht nach allgemeingültigen Prinzipien und internationalen Menschenrechtsnormen, sondern im Zusammenhang mit dem „historischen Sonderfall“ des Befreiungskampfes. Das hat dazu geführt, dass sich im Rechtswesen eine „Kämpfer-Kultur“ etabliert hat, obwohl die Rechtssprechung laut Gesetzen und Verfassung vom Parlament und der Regierung unabhängig ist. Internationale Menschenrechtsexperten sind sich einig, dass das Rechtswesen in Eritrea schwach ist und von der Exekutive beherrscht wird.

Besondere Sorgen bereitet der 1996 eingerichtete Sondergerichtshof. Er muss sich weder an die Strafprozessordnung und das Strafgesetzbuch halten noch an Präzedenzfälle aufgrund zurückliegender Gerichtsbeschlüsse. Seine Richter berufen sich in ihren Entscheidungen in der Regel nicht auf die Gesetze, sondern auf ihr Gewissen. Aufgrund einiger formaler und verfahrenstechnischer Aspekte steht dieses Gericht in krassem Gegensatz zur Verfassung und den Gesetzen Eritreas und zu internationalen Normen für eine faire Prozessführung; so finden die Prozesse im Geheimen statt und den Angeklagten wird kein Rechtsbeistand gewährt. Der Gerichtshof wird mit Militärs besetzt, die dem Präsidenten gegenüber loyal sind und im Allgemeinen über keine juristische Ausbildung verfügen; sie fungieren gleichzeitig als Richter, Ankläger und Geschworene.

Im Jahr 2000 trat innerhalb der Regierungspartei eine oppositionelle Strömung hervor und stellte die Autorität des Präsidenten und seine Entscheidungen in Frage, nachdem er das Land praktisch im Alleingang in den Krieg mit Äthiopien getrieben hatte. Auch die privaten Zeitungen und die Vertreter der Zivilgesellschaft wollten es nicht mehr hinnehmen, dass die Regierungspartei die gesamte Macht monopolisiert und die demokratische Entwicklung des Landes nicht vorankommt. Im September 2001 erreichte die Protestbewegung ihren Höhepunkt. Der Präsident ordnete eine landesweite Repressionskampagne an, bei der hunderte Oppositionelle verhaftet, sämtliche privaten Medien verboten und die Aktivitäten der Zivilgesellschaft weitgehend unterbunden wurden.

Die Afrikanische Menschenrechtskommission und die UN-Arbeitsgruppe zu willkürlichen Inhaftierungen prangerte die Verhaftung der Journalisten und Oppositionellen als ungesetzlich an. Sie stellten fest, dass sie gegen die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen verstießen, die die eritreische Regierung selbst ratifiziert hat.

Bis Ende 2001 waren alle kritischen Stimmen, die in Eritrea demokratische Reformen forderten, mundtot gemacht worden. Von den Spitzenpolitikern und Vertretern der Zivilgesellschaft, die 2001 als erste festgenommen wurden, ist dem Vernehmen nach etwa die Hälfte in der Haft gestorben. Die übrigen vegetieren noch immer unter schlimmsten Bedingungen in den Gefängnissen dahin, ohne dass offiziell Anklage gegen sie erhoben wird oder Prozesse stattfinden. Gruppen von mehr als sieben Personen dürfen sich in Eritrea heute ohne die Genehmigung der Regierung nicht mehr versammeln.

Die Repressionswelle in Eritrea dauert an. Gegenwärtig sind tausende Eritreer im ganzen Land in „geheimen“ Lagern interniert. Niemand ist sicher – Männer und Frauen, Junge und Alte (man hört von über Achtzigjährigen und von Kindern unter sieben Jahren, die verhaftet wurden), Christen und Muslime, Städter und Leute vom Land, Gebildete und Ungebildete – alle können als Gefahr für das Regime gelten und müssen damit rechnen, verhaftet und gefoltert zu werden oder plötzlich zu verschwinden. Laut Schätzungen von eritreischen Flüchtlingen und im Exil lebenden Vertretern der Zivilgesellschaft gibt es zwischen 10.000 und 30.000 politische Gefangene. Die Polizisten sind zum großen Teil korrupt, und sie nutzen ihren Einfluss als Regierungsbeamte häufig dazu, Freunden und Angehörigen Vorteile zu verschaffen. Es soll auch vorkommen, dass sie Gefangene gegen die Bezahlung von Bestechungsgeldern freilassen. Angehörige des Militärs sind ebenfalls berechtigt, Zivilisten zu verhaften und festzuhalten.

Ein Netz von politischen Gefängnissen, Internierungs- und Zwangsarbeitslagern umspannt das ganze Land. Sie stehen unter der Aufsicht des Militärs oder der Organe für die innere Sicherheit. Manche wurden speziell als Haftanstalten neu gebaut, andere sind ehemalige Lagerhäuser, und einige dienen sowohl als Kasernen als auch als Gefängnisse. Viele sind unterirdisch angelegt. Die Ernährung der Gefangenen ist schlecht, die hygienischen Bedingungen sind verheerend. Misshandlungen und Folter sind Teil der Verhöre, mit denen der Widerstand der Gefangenen  gebrochen werden soll. Viele von ihnen sterben in der Haft, andere begehen Selbstmord, um das Gefängnis nicht länger ertragen zu müssen.

Immer wieder gelangen Berichte über systematische Folter durch die Polizei, die Armee, den Geheimdienst und Vertreter der Partei und der Regierung an die Öffentlichkeit. Aber es ist nicht bekannt, dass jemals Maßnahmen ergriffen wurden, die Verantwortlichen zu bestrafen. Außenstehende haben zu diesen Lagern und Gefängnissen keinen Zutritt, und normalerweise bekommen selbst nahe Angehörige der Gefangenen keine Besuchserlaubnis. Auch dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz wird der Kontakt zu Gefangenen und das Betreten der Gefängnisse verweigert.

Es gibt zahlreiche Berichte über Gefangene, die ohne Gerichtsverfahren hingerichtet oder zu Tode gefoltert wurden. Außergerichtliche Exekutionen gehören zum Alltag. Mehrere Personen wurden in Grenznähe zum Sudan und zu Äthiopien erschossen, weil es so aussah, als ob sie illegal die Grenze passieren wollten. Offenbar haben die Grenzsoldaten den Befehl, sofort zu schießen, wenn jemand versucht, aus dem Land zu fliehen. Ebenso darf während der Militärrazzien, bei denen Deserteure und Leute, die sich dem Wehrdienst entziehen, aufgespürt werden sollen, mit Erlaubnis der Regierung tödliche Gewalt gegen alle angewendet werden, die Widerstand leisten oder zu fliehen versuchen.

Massenverhaftungen und Kollektivstrafen sind in Eritrea Teil der Normalität geworden. Sie dienen vor allem dazu, Protestaktionen gegen die Militarisierung der Gesellschaft im Ganzen und gegen den verhassten Militärdienst zu verhindern und zu bestrafen. Obwohl die gesamte Bevölkerung davon betroffen ist, werden gewisse Gruppen besonders herausgegriffen. Am stärksten gefährdet sind Wehrpflichtige, Mitglieder verbotener Kirchen und sonstiger religiöser Gruppierungen, Angehörige der kleinen Ethnie der Kunama, Flüchtlinge, die zur Rückkehr gezwungen wurden, Journalisten und Menschenrechtler sowie die Oppositionellen innerhalb der Regierungspartei.

Die Regierung in Asmara hat sich mit allen Nachbarländern auf kriegerische Konflikte eingelassen: mit dem Sudan, dem Jemen, Dschibuti und Äthiopien. Im vergangenen Dezember verhängte der UN-Sicherheitsrat politische, wirtschaftliche und militärische Sanktionen gegen das Land, weil es die Destabilisierung der Region vorantreibe und die islamistischen Kräfte in Somalia unterstütze. Das Regime verlangt von der Bevölkerung weiterhin volle militärische Einsatzbereitschaft, und man kann davon ausgehen, dass etwa 350.000 Männer und Frauen in den Streitkräften dienen. Im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl, die bei etwa fünf Millionen liegt, ist Eritrea das am stärksten militarisierte Land der Welt.

Das lastet schwer auf der Bevölkerung und führt dazu, dass Soldaten Monat für Monat zu Tausenden desertieren und nach Äthiopien und in den Sudan fliehen. Die Kosten der Hochrüstung hemmen die wirtschaftliche Entwicklung, und die Regierung setzt bei öffentlichen und privaten Bauvorhaben Militärangehörige als Zwangsarbeiter ein. Die Überweisungen der im Ausland lebenden Eritreer, Mittel aus der Entwicklungshilfe und Zuwendungen einzelner arabischer Länder bilden Eritreas wichtigste Devisenquellen, aus denen auch die enorm hohen Militärausgaben finanziert werden. Außerdem ist Eritrea, das 1991 keinerlei Auslandschulden hatte, an seiner Einwohnerzahl gemessen heute eines der am stärksten verschuldeten Länder der Welt. Dennoch deutet nichts darauf hin, dass Präsident Isaias in der näheren Zukunft vorhat, eine Demobilisierung seiner riesigen Armee in die Wege zu leiten.

Während des 30-jährigen Unabhängigkeitskrieges entwickelten die Eritreer ein starkes Nationalbewusstsein und ein intensives Gefühl der Zusammengehörigkeit. Doch inzwischen beginnt der Zusammenhalt der frühen 1990er Jahre zu bröckeln, und es herrschen gegensätzliche Meinungen über den Präsidenten Isaias Afwerki und den richtigen Weg in die Zukunft. Bei den Hunderttausenden Eritreern, die im Ausland leben, ist dieser Bruch besonders deutlich ausgeprägt: Diejenigen, die während des Befreiungskrieges geflüchtet sind, stehen im Großen und Ganzen hinter der EPLF, während die neue Generation von Flüchtlingen in Präsident Isaias ihren Gegner sieht. Die politische Opposition, die ihre Basis im Exil hat, ist ebenfalls zersplittert, und die Aufspaltung entlang verschiedener Religionen, Ethnien und Kulturen behindert die Entstehung einer gemeinsamen Front gegenüber dem Regime in Asmara.

In Afrika sind die alten Diktatoren zählebig. Nichts weist darauf hin, dass die düstere Lage in Eritrea sich in der nahen Zukunft verbessern wird. Im Gegenteil, das schwer geprüfte eritreische Volk muss sich noch auf eine längere Leidenszeit einrichten, denn erst vor Kurzem gab Präsident Isaias bekannt, dass er nicht beabsichtigt, freiwillig abzutreten.

Aus  dem Englischen von Anna Latz.

 

erschienen in Ausgabe 7 / 2010: Andenländer, alte Kulturen neue Politik
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