„Es braucht geschützte Räume“

Kirche und Ökumene
Über den Umgang mit Homosexualität wird in der Ökumene gestritten – bis hin zu Drohungen mit Kirchenspaltung. Was es braucht damit Kirchen trotzdem im Gespräch bleiben, erklärt Anton Knuth, Studienleiter der Missionsakademie in Hamburg.

Der Theologe Anton Knuth ist Studienleiter der Missionsakademie.

Wird der Graben zwischen den westlichen Kirchen und den Kirchen im globalen Süden tiefer? 
Die Auseinandersetzungen zu Homosexualität und Gender werden heftiger geführt. Man kann das auch positiv sehen: Die Kirchen im globalen Süden vertreten ihre Positionen sehr viel selbstbewusster. Sie lassen sich vom Westen die Dinge nicht mehr vorschreiben. 

Warum ist aus vielen Kirchen im globalen Süden nach wie vor ein kategorisches Nein zur Homo-Ehe zu hören?
Jede Kirche handelt in ihrem eigenen gesellschaftlichen und rechtlichen Kontext. Homosexualität wird in verschiedenen Ländern des globalen Südens als Straftat behandelt. In manchen Ländern wie Ghana oder Uganda wurden die Gesetze in jüngster Zeit sogar verschärft. Und wenn man zum Beispiel in Addis Abeba im Hotel eincheckt, muss man eine Erklärung unterschreiben, dass man keine homosexuellen Handlungen im Zimmer vornimmt. Kirchen spiegeln auch immer den sozialen Kontext, aus dem sie stammen. 

Wie lässt sich verhindern, dass Kirchen über die Frage der Homosexualität so heftig streiten, dass ihre langjährigen Beziehungen gefährdet sind?Man muss sich klarmachen, dass es die Kirchen im Westen sind, die ihre Positionen dazu in den letzten Jahren verändert haben. Das hängt mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammen wie zum Beispiel einer starken Frauenbewegung oder dem Outing von prominenten Politikern wie Klaus Wowereit und Guido Westerwelle. Selbst in einer Partei wie der CDU können sich mittlerweile Politiker outen, ohne einen Karriereknick befürchten zu müssen. Diesen Prozess haben die Gesellschaften im globalen Süden nicht mitgemacht. Entsprechend unverständlich ist für sie, was sie jetzt aus westlichen Kirchen hören.

Spielt auch eine Rolle, wer wen missioniert hat?  
Es irritiert die Kirchen, die aus der Mission entstanden sind, dass die westlichen Kirchen mit ihrer Befürwortung der Homoehe den gemeinsamen Missionskontext verlassen. Sie halten uns vor: ‚Eure Missionare haben uns die monogame Ehe zwischen Mann und Frau als christliches Prinzip gelehrt und damit die Polygamie abgeschafft. Wir haben von euren Missionaren die Liebe als christliche Kernbotschaft bekommen. Und jetzt wollt ihr alles aufweichen.‘

Wie gehen Sie mit solchen Aussagen um?
Ich gebe zu bedenken, dass die Grundlage einer Ehe nicht biologisch definiert ist, sondern vor allem auf Vertrauen, Verlässlichkeit und Verantwortung basiert.

Wird dann nicht ins Feld geführt, dass nur Mann und Frau Kinder kriegen können und sich darin der Segen Gottes zeige?
Die Frage nach der Fruchtbarkeit wird tatsächlich in machen Kontexten sehr überhöht. Da müssen wir miteinander diskutieren, was Segen bedeutet und ob er sich an der Anzahl der Kinder festmacht. Andererseits müssen wir im Westen auch sehen, dass wir erst durch unsere sozialen Absicherungssysteme wie Rente oder Krankenversicherung eine größere Freiheit vom Reproduktionszwang gewonnen haben. 

Was heißt das alles für die ökumenischen Beziehungen? 
Konfliktthemen müssen nicht unbedingt zum Abbruch führen. Es gilt den gemeinsamen Nenner zu finden, etwa in der Verurteilung von Gewalt an Homosexuellen. Natürlich lässt sich fragen, wo Gewalt anfängt. Aber das gemeinsame Eintreten für Gewaltfreiheit ist möglich auch mit Kirchen, die ein konservatives Ehe- und Familienbild vertreten.  

Das ist ein sehr kleiner gemeinsamer Nenner. Wäre es nicht gut, die Kirchen würden sich für mehr Rechte von Homosexuellen und insgesamt für die LGBTQ-Gemeinschaft einsetzen?
Das bleibt natürlich das Ziel. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch die Kirchen in Deutschland erst nach einem langen Diskussionsprozess zu den Befürwortern der Homo-Ehe geworden sind. In vielen Landeskirchen gibt es die Trauung für gleichgeschlechtliche Paare erst seit kurzem. Als ich 2021 meinen Cousin und seinen Partner trauen durfte, gab es nur ein kirchliches Formular, das von Mann und Frau ausging. Das wurde bis heute nicht geändert. Und manche Landeskirchen erlauben die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare noch gar nicht. 

Wie kann man zusammenkommen, wenn man so unterschiedlicher Auffassung ist?
Es braucht geschützte Räume, in denen man sich gegenseitig zuhört und die Gründe für die jeweilige Position darlegen kann. Ein Kirchenleitender soll nicht fürchten müssen, dass er sich im Nachhinein für seine Aussagen in seiner eigenen Kirche rechtfertigen muss. Dann kann auch ein Umdenken stattfinden. Und das ist ja der Ausgangspunkt dafür, dass man transformativ in eine Gesellschaft hineinwirken kann. Wichtig ist bei solchen Treffen, dass Betroffene mit eingebunden werden und aus ihrer Perspektive berichten. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, wie hilfreich das ist. Für mich hat sich viel verändert, als ich in meiner Studienzeit über einen schwulen Kommilitonen zum ersten Mal mit dem Thema Homosexualität konfrontiert wurde. 

Wer geschützte Räume schaffen will, braucht dafür Geld. Es ist kein Geheimnis, dass die Kirchen im Westen mehr Geld haben als die Kirchen im globalen Süden. Sie können viel stärker die Agenda bestimmen. Wird dieses Machtgefälle in der Ökumene offen thematisiert? 
Dafür haben wir leider noch keine ausreichende Sensibilität. Nach wie vor gilt, dass die Geldgeber stärker bestimmen, über was in der Ökumene diskutiert wird. Ich wünsche mir, dass die Partner im Süden selbstbewusster ihre Themen einbringen könnten. Stattdessen haben wir es mit dem Phänomen der verstummten Partner zu tun. Aus Angst, ihre Geldgeber im Norden könnten ihnen die Gelder kürzen, äußern sie sich lieber nicht oder so wie sie meinen, dass wir es hören wollen. So schaffen wir uns ein Gegenüber, das genauso tickt wie wir. Wirkliche Ökumene lebt aber davon, dass man sich mit Partnern austauscht, die anders denken als wir. 

Wo liegt da der Mehrwert?
In der Auseinandersetzung mit der Position des anderen schaut man neu auf das Eigene. Wenn wir auf dem Hintergrund des Streits um die Homo-Ehe zum Beispiel erkennen, welche großen Schritte in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten gegangen wurden, dann können wir die Homo-Ehe als etwas Besonderes feiern. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen, sie dann als Zwang für alle zu verstehen. Was christlich ist, definieren nicht wir allein. 

Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck.

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