Migranten wollen stärker in der Eine-Welt-Arbeit mitmischen

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Nur Bleichgesichter: Demonstranten protestieren im November 2023 in Berlin unter dem Motto #LuftNachOben gegen geplante Kürzungen der Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Migrantische Organisationen haben wenig zu sagen in der deutschen Eine-Welt-Arbeit.
Global Lokal
Organisationen von Zugewanderten haben es in der Entwicklungspolitik immer noch schwerer als einheimische. In Baden-Württemberg wollen sie das jetzt ändern.

In Baden-Württemberg fordern migrantische Organisationen von der Landesregierung, gleichberechtigt in die Entwicklungspolitik des Landes eingebunden zu werden. Das Migrantische Netzwerk Baden-Württemberg, ein Verbund von 15 entwicklungspolitisch oder interkulturell engagierten Vereinen und Personen, schreibt in einem Positionspapier, man wolle Förderer und Institutionen für eine neue Haltung gewinnen, die „alle Perspektiven der vielfältigen Gesellschaft“ einschließe. Das Papier wurde bereits im Mai der Landesregierung übergeben.

Allein in Baden-Württemberg gibt es rund tausend migrantische Organisationen, die sich auf unterschiedliche Weise für die Eine Welt engagieren. Sie sind im Migrantischen Netzwerk, im Afrikaforum und seit jüngstem auch im Panafrikanischen Rat im Bundesland vernetzt. Die Gruppen unterstützen Projekte in den Heimatländern, machen Kultur- und Bildungsarbeit, beraten Geflüchtete und pflegen den interkulturellen Austausch. Bundesweit gibt es laut einer Studie des Sachverständigenrats Deutscher Stiftungen für Integration und Migration aus dem Jahr 2020 schätzungsweise 17.500 aktive Migrantenorganisationen. Politisch führten sie lange ein Schattendasein. Erst seitdem sich Deutschland nach der Jahrtausendwende zunehmend als Einwanderungsland versteht, werden sie auch als Akteure wahrgenommen. 

Es ist für Organisationen von Migranten aber häufig schwieriger als für andere Eine-Welt-Gruppen, erfolgreich Anträge bei Geldgebern zu stellen. Das Migrantische Netzwerk in Baden-Württemberg habe daher mit dem Positionspapier für die Verantwortlichen im Bundesland formuliert, warum aus ihrer Sicht migrantische Gruppen ihr Potenzial noch nicht entfalten könnten, sagt Paulino Miguel vom Forum der Kulturen in Stuttgart. Manchmal funktioniere auch die Zusammenarbeit zwischen migrantischen Gruppen und Eine-Welt-Initiativen nicht. 

"Subtile Ausgrenzung"

Das Netzwerk beklagt einen „defizitorientierten Blick“ und „subtile Ausgrenzungsmechanismen“ der Geldgeber in den Behörden. Nicht-migrantische Organisationen mit gleicher Kompetenz würden „überproportional berücksichtigt“ und Diskriminierungserfahrungen abgetan, zudem fehle es an politischer Repräsentanz auf Landes- und Bundesebene.

Solche Erfahrungen bestätigt Alejandro Pedron, Eine Welt-Fachpromotor „Migration, Entwicklung und Partizipation“ beim Entwicklungspolitischen Netzwerk Hessen e.V. in Frankfurt. „Es haben sich zwar viele Organisationen etabliert, aber sie aufzubauen, kostet die Akteure viel Kraft“, sagt er. Es sei für migrantische Vereine schwerer, an Fördergelder zu kommen. Das gelte in besonderer Weise für Projekte, die mit politischem Aktivismus verbunden sind und sich zum Beispiel mit den Folgen der deutschen Entwicklungspolitik in den Herkunftsländern auseinandersetzen. Bei den nicht-migrantischen Gruppen und Initiativen sieht er dagegen noch mehr klassische Hilfsprojekte und damit verbunden manchmal eine unkritische Perspektive auf Entwicklungszusammenarbeit.

Generell sei ehrenamtliches Engagement für Migranten schwieriger, sagt Paulino Miguel. Viele von ihnen seien arbeitslos oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Der Zugang zu Fördertöpfen sei auch deshalb schwieriger, weil in den entsprechenden Gremien erst wenige „People of Colour“ vertreten sind. 

Förderdeutsch als Hürde

Das Migrantische Netzwerk in Baden-Württemberg fordert deshalb einen Austausch mit den Förderinstitutionen, um gemeinsam herauszufinden, wie sich migrantisches Engagement besser finanzieren lässt. So schlagen sie etwa vor, migrantische Organisationen sollten die Möglichkeit erhalten, im Rahmen eines Förderantrags ihre Projekte zunächst mündlich und in Präsenz vorzustellen. Experten sollten ihnen dann dabei helfen, das in Förderdeutsch zu übersetzen. So könne man strukturelle Barrieren abbauen und einer zunehmend diversen Gesellschaft besser gerecht werden.

In der Landesregierung von Baden-Württemberg stoßen die Engagierten durchaus auf offene Ohren für ihre Anliegen. „Denn wenn wir Entwicklungspolitik auf Augenhöhe betreiben wollen, brauchen wir die Expertise und das Engagement von Menschen mit internationaler Geschichte“, schreibt Rudi Hoogvliet, Staatssekretär für Medienpolitik und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund, im Vorwort zum Positionspapier. In ihrem Regierungsprogramm für 2021 bis 2026 hat sich die grün-schwarze Landesregierung dazu bekannt, die Teilhabe von Migranten in der Gesellschaft zu verbessern. Ein Interkulturelles Promotorenprogramm unterstützt migrantische Vereine im Bundesland, auch in Nordrhein-Westfalen gibt es seit 2017 ein derartiges Programm.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2024: Vorsicht Subkultur!
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