„In der nächsten Generation haben wir Hunderte Basketballprofis im Ausland“

Ein Sportler im schwarzen Trikot beim Korbwurf gegen einen im weiißen Trikot.
USA TODAY Sports/John David Mercer/Reuters
Marial Shayok kommt für den Südsudan zum Korbwurf: Szene aus dem Spiel gegen die USA bei den olympischen Spielen in Paris im Juli 2024, das die USA gewonnen haben.
Südsudan
Die Basketballer des Südsudan haben es erstmals zu olympischen Spielen geschafft. Acuil Malith Banggol, ein Erfinder der Nationalmannschaft, erzählt, wie das gelungen ist, wie er vom Basketballer zum Freiheitskämpfer wurde und wie Sport Versöhnung fördert.

Acuil Malith Banggol stammt aus Bahr al-Ghazal im Südsudan. Er war Basketballer in Ägypten, dann Kämpfer der Befreiungsbewegung, Erfinder der „Twic Olympics“ in seiner Heimat und hat 2008 den südsudanesischen Basketballverband gegründet.

Das Basketballteam des Südsudan bei den olympischen Spielen in Paris gegen Costa Rica gewonnen und ist dann ausgeschieden. Wie hat die Bevölkerung im Südsudan das aufgenommen?
Die Menschen sind sehr mitgegangen. Auf dem einzigen Basketballfeld in Juba standen große Bildschirme und zu allen Spielen sind die Leute hingeströmt. Sie haben noch lange nach Schluss dort gefeiert. Der Erfolg erinnert sie an das Gefühl, ein geeintes Volk zu sein, aus der schweren Zeit des Krieges gegen den Nordsudan, der sie unterdrückte. Südsudanesen aus allen politischen Lagern saßen gebannt vor dem Fernseher oder kamen ins Stadion in Juba, um die Spiele zu verfolgen. Nach der Unabhängigkeit 2011 sind sie sehr stolz, wenn das Land mit Erfolgen verbunden wird – und Erfolge hat das Basketballteam gebracht: Es hat die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2023 geschafft und dort dann, als beste afrikanische Mannschaft, die Qualifikation für Olympia. Die Südsudanesen haben genau verfolgt, was Luol Deng, der das Team aufgebaut hat, und seine Stiftung geleistet haben. Er musste für die Mannschaft Spieler aus allen Teilen der Welt zusammenbringen.

Alle Spieler sind im Ausland unter Vertrag. War es schwierig, sie zusammenzuholen?
Ja. Ich habe 2017 eine Nationalmannschaft aus lokalen Sportlern zusammengestellt und es 2019 noch einmal mit im Ausland spielenden versucht, aber ich hatte keinen Zugang zu Profis und College-Mannschaften in den USA. Deshalb habe ich mich an Luol Deng gewandt, der in der US-Basketballliga spielte. Er hat sofort zugesagt und ein Angebot seines Vereins abgelehnt, noch die Saison zu beenden. Er hat auch sein persönliches Geld eingesetzt, um unsere Mannschaft aufzubauen.

Sie haben 2008 den südsudanesischen Basketballverband ins Leben gerufen. Haben Sie mit solchen Erfolgen gerechnet?
Ja. Ich habe, seit ich 17 bin, selbst Basketball gespielt – bis 1984 in der ersten Basketball-Liga in Ägypten. Nach der Gründung des südsudanesischen Basketballverbands hatte der anfangs natürlich kein Geld und wurde nach der Unabhängigkeit des Landes 2011 von der Regierung kaum unterstützt. Aber ich konnte einschätzen, dass unsere Mannschaft selbst mit Spielern aus der B-Liga in den USA anderen afrikanischen Mannschaften überlegen ist. Und ich wusste, dass Siege im Sport Südsudanesen zusammenbringen würden.

Wie sind Sie zum Basketball gekommen?
Aus Zufall. Mitte der 1970er Jahre traf ich einen Spieler der sudanesischen Nationalmannschaft. Er besuchte Malakal, wo ich damals auf die Internatsschule in die neunte Klasse ging. Er sah mich spielen, einen sehr hochgewachsenen schlanken Kerl, ermutigte mich zu trainieren und zeigte mir die ersten Kniffe. Als ich im Jahr darauf in den Ferien auf dem Weg nach Hause war, traf ich in Wau eine Basketballmannschaft, in der ein Neffe spielte und die für ein Turnier trainierte. Ich schloss mich an und der Trainer fragte mich, warum sie mich denn in Malakal nicht ins Team für das Turnier aufgenommen hätten. Ich antwortete ihm, dass ich für die Ferienzeit nach Hause ginge. Als Dinka müssen wir ja nach der Schule immer zurück, um Rinder zu hüten oder zu fischen. Nein, sagte er, du schließt dich hier dem Training an, du brauchst nicht in dein Dorf zurück. Also blieb ich, was mir Ärger mit meinem Bruder einbrachte – der kam und fragte, wieso ich nicht nach Hause käme. Der Trainer erklärte ihm, ich hätte Potenzial, um zu verhindern, dass er mich prügelte. Ich bekam in Wau ein spezielles Training, spielte in dem Turnier und ging zurück zur Schule; da spielte ich in der Schulmannschaft. Dort bekam ich von zu hartem Training eine Knieverletzung, und das Sportministerium des Sudan schickte mich nach dem Schulabschluss zur Behandlung nach Ägypten. Da bewarb ich mich um ein Stipendium und traf Südsudanesen, die in der ersten Basketball-Liga Ägyptens spielten. Sie holten mich ins Training, ich spielte für ihr Team und sie verschafften mir eine Operation für das Knie. Im Krankenhaus bekam ich die Zusage für das Stipendium. Als Student in Alexandria wurde ich dann für die Basketball-Mannschaft der Stadt rekrutiert. Für die habe ich bis 1984 gespielt.

Dann sind Sie während des Kriegs nach Südsudan zurückgegangen?
Ja. Nach dem Uniabschluss 1984 schloss ich mich der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM an. In den Flüchtlingslagern in Äthiopien an der Grenze zum Südsudan bekam ich ein militärisches und politisches Training, auch für Verwaltung, und wurde 1988 in Juba im Südsudan eingesetzt. Ab 1989 war ich für den humanitären Arm der SPLM der Koordinator für Ernährungssicherheit und Landwirtschaft, also der südsudanesische Partner für die UN-Operation, die im Bürgerkrieg gegen den Nordsudan Hungerhilfe in den Südsudan brachte. Mit der Arbeit war ich aber nicht zufrieden.

Warum?
Ich fand es falsch, nur Nahrungsmittel zu verteilen. Ich bat die Führung der SPLM, auch die landwirtschaftliche Produktion im Südsudan zu fördern. Sie stimmten zu und ich gründete meine eigene NGO, die in Kenia registriert war.

Haben Sie schon im Bürgerkrieg Sport als Mittel der Verständigung unter Gruppen der Südsudanesen genutzt? 
Ja. Das kam wieder per Zufall: Mein Sohn war in den 1980er Jahren von Arabern verschleppt und in Sklaverei verkauft worden, aber er war clever und konnte weglaufen. 1999 erhielt ich die Mitteilung, dass er zurück in den befreiten Gebieten war, und UNICEF half mir, ihn zu treffen – gerade in der ruhigen Zeit zu Weihnachten und an einem Ort, an dem viele Hilfsorganisationen waren. Zwei Leute begannen da Volleyball zu spielen, ich schloss mich an, und bald war der Platz gedrängt voll. Dann traf ich den Basketballtrainer, der mich in Wau rekrutiert hatte, und wir waren uns einig, dass Sport Frieden bringen kann. Ich beschloss, in meiner Heimatregion Twic Sportspiele für Frieden zu organisieren, die Twic Olympics; die ersten fanden zur Jahreswende 2000-2001 statt.

Damals, im Unabhängigkeitskrieg, bekämpften sich auch Fraktionen im Südsudan hart. Was hat der Versuch erreicht, mit Sport Frieden zu fördern? 
Die Wirkung war erstaunlich. In Twic gibt es sechs unterschiedliche Gemeinschaften, und deren Jugendliche bekämpften sich immer wieder aus den verschiedensten Gründen – Streit um Rinder, Stolz, Missverständnisse. Aber in den Twic Olympics kamen alle Gruppen zusammen. Die Teilnahme war überwältigend. Die UN und eine Hilfsorganisation unterstützten uns mit Verpflegung und Material wie Bällen. Einige Jahre später spendete die Firma Nike Sportschuhe für solche Spiele. Einige Teilnehmer haben Sportstipendien für ostafrikanische Länder, die USA oder Europa bekommen.

Finden solche lokalen Spiele immer noch statt?
Ja, aber in anderer Form, auf Gemeindeebene. Und jetzt wird vor allem Fußball gespielt – in Twic hatten wir mehrere Sportarten, darunter Leichtathletik und Volleyball. Aber ich wollte die Gemeinden einbeziehen und dort spielt man am meisten Fußball und macht Tauziehen zwischen Dörfern.

Im Südsudan ist nach der Unabhängigkeit 2011 ein Bürgerkrieg ausgebrochen, der immer noch nicht zwischen allen Fraktionen beendet ist. War der Versöhnungserfolg nicht sehr begrenzt? 
Die Twic Olympics haben nie das ganze Land erfasst. Aber sie verbreiten sich langsam. Seit vergangenem Jahr ist die Idee auch in der Volksgruppe der Nuer aufgegriffen worden und dieses Jahr gab es solche Spiele in der südlichen Provinz Equatoria. Und die Wirkung tritt nur langsam ein, nach und nach und zwischen Gemeinschaften an der Basis. Früher gab es während der Spiele zum Beispiel Konflikte zwischen Anhängern verschiedener Seiten, aber heute akzeptieren die Jugendlichen mehr und mehr auch eine Niederlage. Ein weiteres Problem ist, dass es sehr schwierig ist, Sportler von einer Region in eine andere zu bringen, weil es an Transportmöglichkeiten fehlt und weil einzelne Gebiete von unterschiedlichen politischen Fraktionen kontrolliert werden. Jetzt, wo das Basketballteam erfolgreich ist, sollte man Gemeinden helfen, eigene Spiele zu organisieren. Im Gebiet in der Mitte des Südsudan ist zum Beispiel traditioneller Ringkampf populär.

Die besten Basketballer des Südsudan sind im Ausland unter Vertrag. Erwarten Sie, dass die Profis Geld zurücksenden und das der Wirtschaft und den Gemeinden im Südsudan hilft? 
Ja, davon erwarte ich sehr viel. Bisher haben wir nur wenige Profis im Ausland. In der nächsten Generation werden es Hunderte oder Tausende sein. Luol Deng hat nicht nur die Nationalmannschaft erfolgreich gemacht, sondern auch Akademien aufgebaut, wo Spieler ausgebildet werden. Sein Bruder bildet junge Basketballtrainer aus und es sollen dann Sportmediziner, Schiedsrichter und Sportjournalisten geschult werden. Colleges in den USA schicken schon Talentsucher in den Südsudan. Einer meiner Söhne spielt demnächst in einer oberen Liga in den USA. Solche Beispiele gibt es viele.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
 

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