Wo Hilfe nicht mehr nötig ist

picture alliance / Hans Lucas/Eric Lafforgue
Schülerinnen und Schüler der Rubesa Grundschule in Wangdue Phodrang, Rubesagewog, Bhutan. In der Zusammenarbeit zwischen Bhutan und dem Schweizer Hilfswerk Helvetas ging es auch um die Förderung von Bildung.
Schweiz - Bhutan
Nach fünfzig Jahren beendet die Schweizer NGO Helvetas die Zusammenarbeit mit Bhutan. Eine neu gegründete lokale Firma wird einen Teil der Arbeit weiterführen.

Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Bhutan begann mit einer Freundschaft: In den 1940er Jahren lernte die Tochter des Schweizer Industriellenpaars Fritz und Monica von Schulthess in London eine Bhutanerin kennen, die später die Frau des Königs werden sollte. Diese Freundschaft brachte das Ehepaar 1952 nach Bhutan, wo der König sie um Unterstützung für die Modernisierung des Landes bat. Bald kamen Fachleute aus der Schweiz in das buddhistische Königreich und berieten die Bevölkerung in der Milch-, Land- und Forstwirtschaft oder bei der Errichtung von Krankenstationen.

1975 beschloss die Familie von Schulthess, die immer umfangreicher werdende Arbeit einer professionellen Organisation zu übergeben. Die Wahl fiel auf die NGO Helvetas, die bereits im benachbarten Nepal tätig war. „Unser erster Schwerpunkt war die Bildung“, sagt Lionel Giron, Regionalkoordinator für Nepal, Bhutan und Vietnam bei Helvetas. Bis in die 1950er Jahre seien Kinder ausschließlich in buddhistischen Klöstern unterrichtet worden. „Es gab kein richtiges Schulsystem und dadurch keine Lehrkräfte in Bhutan.“ Helvetas engagierte sich für die Ausbildung von lokalen Lehrpersonen und den Aufbau eines Lehrplans. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, unterstützte sie außerdem das Land darin, die berufliche Bildung zu verbessern und insbesondere Handwerksberufe attraktiver zu machen.

Kommunale Forstwirtschaftsgruppen

Ein weiterer Schwerpunkt, dessen Erfolge bis heute sichtbar sind, ist die Forstwirtschaft: Als 1980 die Regierung allmählich begann, die lokale Bevölkerung stärker mit in die Waldwirtschaft einzubeziehen, wurde mit Unterstützung von Helvetas das Konzept von kommunalen Forstwirtschaftsgruppen eingeführt. Die sind ähnlich einer Genossenschaft organisiert: Wälder werden von den Dorfgemeinschaften verwaltet, jeder Haushalt darf nur eine bestimmte Anzahl Bäume pro Jahr fällen. Was sie selbst nicht brauchen, wird verkauft. Das Geld fließt in die Gemeinschaftskasse, aus der die Mitglieder einen Kredit beziehen können, zum Beispiel um Schulgeld zu bezahlen. Alle paar Jahre wird der Gewinn an die Mitglieder verteilt. Heute sind über 600 Dorfgemeinschaften in diesen kommunalen Forstwirtschaftsgruppen organisiert.

Als König Jigme Singye Wangchuck das Land 2008 in eine Demokratie überführte, ergaben sich auch neue Schwerpunkte für Helvetas und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die sie unterstützte. „Es ging vor allem darum, die dezentralen Behörden zu stärken, etwa indem wir lokale Beamte und Amtsträgerinnen ausbildeten“, erinnert sich Giron. Bis dahin wurden die meisten Angelegenheiten absolutistisch von der Zentralregierung geregelt. Die neue Regierungsform rüttelte auch an den Gewohnheiten der Bevölkerung: „Die Menschen waren es nicht gewohnt, Entscheidungsträger in Frage zu stellen“, sagt Tashi Pem, die 2003 als Projektkoordinatorin zu Helvetas kam und seit 2017 das Landesprogramm als Direktorin leitet. „Wir konnten in diesem komplexen Prozess sehr viel von der Demokratie-Erfahrung der Schweiz lernen.“

"Unsere Unterstützung ist nicht mehr notwendig"

Als sich im Jahr 2016 die DEZA aus Bhutan zurückzog, erwog auch Helvetas den Rückzug. Doch auf Wunsch der bhutanesischen Regierung blieb die NGO und unterstützte das Land weiter in den Bereichen Demokratie und Regierungsführung. Nun wird auch Helvetas zum Ende des Jahres 2025 die Zusammenarbeit mit Bhutan beenden.

Warum der Rückzug? Giron betont, dass ein finanzieller Engpass nicht der Grund sei: „Bhutan hat enorme Entwicklungsschritte durchlaufen in den letzten Jahren, unsere Unterstützung ist nicht mehr zwingend notwendig.“ Und weil Bhutan kürzlich von einem wenig entwickelten Land (LDC) zu einem mit mittlerem Einkommen (MIC) hochgestuft wurde, zögen sich auch andere Geber aus dem Land zurück, was die Zusammenarbeit erschwere. Tashi Pem sagt, dass „trotz aller Nostalgie“ eine Chance in dem Abschied liege. „Es ist eine Emanzipation für unser Land, dass die Aufgaben nun vollständig in lokale Hände gelegt werden.“

Pem und das Helvetas-Team in Bhutan wollen künftig mit der eigens dafür gegründeten Firma LEAD+ die Tätigkeiten der NGO weiterführen. „Wir können dabei auf die Expertise von 50 Jahren Entwicklungszusammenarbeit aufbauen“, sagt Pem. Mit LEAD+ wolle man vor allem Beratungen anbieten, unter anderem zur Stärkung der Zivilgesellschaft, lokaler Regierungsführung und gemeinschaftlich geführten Tourismusangeboten. „Der Tourismussektor ist die zweitwichtigste Einkommensquelle des Landes. Mit unseren Beratungen und Workshops wollen wir helfen, dass der Profit allen Beteiligten zugutekommt“, sagt Pem. Zunächst bleiben Helvetas und Bhutan aber verbunden, die Schweizer NGO wird das Mandat für die technische Unterstützung von LEAD+ übernehmen.

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