Mit KI zur schnellen Diagnose

Sofi Lundin
Die KI-Forscherin Rose Nakasi (rechts) testet zusammen mit dem Gesundheitspersonal einer Klinik in Kampala ein neues KI-gestütztes mobiles Mikroskop zur Diagnose von Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und Gebärmutterkrebs.
Uganda
In Uganda leiden viele Menschen an Malaria oder an Herzerkrankungen. Forschungsprojekte in Kampala zeigen, wie künstliche Intelligenz bei der Erkennung von gut behandelbaren Krankheiten helfen kann.

Im Gesundheitszentrum des Stadtviertels Komamboga in Ugandas Hauptstadt Kampala warten an diesem Morgen etwa 50 Personen auf die Entnahme einer Blutprobe. Die meisten sind zum Malariatest gekommen. Eine labortechnische Fachkraft beugt sich über das einzige vorhandene Mikroskop. Weil es an Geräten und medizinischem Fachpersonal mangelt, kann es bis zu einer Stunde dauern, bis das Ergebnis eines solchen Malariatests vorliegt. Das setzt die Mitarbeiter des Gesundzentrums unter hohen Druck, während die Patienten lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.

Hoffnung auf Abhilfe bringt eine neue Technologie unter Einsatz von künstlicher Intelligenz. Ein Forschungsprojekt an der Makerere-Universität in Kampala hat es sich zum Ziel gesetzt, die Effizienz und die Verfügbarkeit mikroskopischer Diagnostik im Land verbessern. Das Team arbeitet daran, diese Art von Untersuchung mit Hilfe von Smartphones und KI zu automatisieren. Das Projekt mit dem Namen Ocular ist eine Kooperation zwischen der KI-Abteilung der Makerere-Universität und dem Mulago-Krankenhaus von Kampala.

Das Forschungsvorhaben, das kürzlich von Google eine Unterstützung von 1,5 Millionen Dollar erhielt, steht unter der Leitung der auf KI spezialisierten Informatikerin Rose Nakasi. Sie demonstriert die Technik in einer Klinik in Kampala: Die Kamera eines Smartphones wird über einen Adapter mit einem Mikroskop gekoppelt, die KI analysiert das Bild des Blutausstrichs, und das Ergebnis liegt innerhalb weniger Minuten vor. 

Die KI zählt die verschiedenen Parasiten

„Unsere IT-Abteilung entwickelt Algorithmen und trainiert sie, entscheidende Merkmale und Muster zu erkennen. So können Parasiten mit großer Genauigkeit bestimmt und ausgezählt werden“, erklärt Nakasi. Die bisherige Diagnose durch reinen Blick ins Mikroskop erfordert viel Erfahrung. Laborpersonal muss die Malariaparasiten und die weißen Blutkörperchen manuell auszählen, um den Schweregrad eines Befalls festzustellen. Wenige speziell geschulte Spezialisten analysieren so Tag für Tag Hunderte von Blutproben. Das Verfahren strapaziert die Augen und ist enorm zeitaufwändig. „Dieser Prozess kann nun automatisiert werden“, sagt Nakasi. „Die KI erkennt und zählt die verschiedenen Parasiten mittels Mustererkennung nicht schlechter als eine Laborfachkraft, aber viel schneller. Sie interpretiert das Mikroskopbild mit Hilfe von Algorithmen auf der Grundlage der Daten, mit denen sie gefüttert wurde.“

Ein Mobiltelefon wird in einen 3D-Adapter eingesetzt, der am Mikroskop befestigt ist. Mit Hilfe der Handykamera werden Bilder von der Blutprobe gemacht, die dann analysiert werden und in kurzer Zeit ein Testergebnis liefern.

Derzeit arbeite man an einer KI-Software, die modellunabhängig mit jedem Mikroskop und Smartphone funktioniert. Innerhalb von drei Jahren soll ein Pilotprojekt für den Einsatz im gesamten Land entwickelt werden. Im Augenblick liegt der Schwerpunkt noch auf Malaria, aber in Zukunft soll die Technik auch zur Diagnose von Tuberkulose und Gebärmutterhalskrebs eingesetzt werden können, erklärt Nakasi. „Mit diesem Projekt lässt sich die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens steigern, und wir hoffen, die Behörden mit ins Boot zu holen. Es hilft gegen den Mangel an medizinischen Fachkräften, wenn wir über Techniken verfügen, die auch von geringer qualifiziertem Personal genutzt werden können“, sagt die Forscherin.

KI-Diagnostik hilft, bei jungen Menschen Herzfehler zu entdecken

Im Herzzentrum von Uganda bekommen wir ein weiteres KI-basiertes Forschungsprojekt zu sehen, das Leben retten soll. Dort testen Ärzte eine Technologie, die in Zusammenarbeit mit dem Children's National Hospital in Washington, D.C. entwickelt wurde. Hier soll KI-gestützte Diagnostik bei jungen Menschen dabei mitwirken, Herzfehler zu entdecken, bevor sie eine Operation erfordern.

Zu diesen Herzproblemen gehört die rheumatische Herzkrankheit, die in westlichen Ländern selten vorkommt, weil sie dort in der Regel im Frühstadium diagnostiziert wird, wenn besonders gute Behandlungsmöglichkeiten bestehen. In Entwicklungsländern wie Uganda gehört sie jedoch zu den häufigsten Herzerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Weltweit leben über 40 Millionen Menschen mit dieser Krankheit, die jedes Jahr mehr als 300.000 Todesopfer fordert. Die rheumatische Herzkrankheit entsteht als Langzeitfolge eines rheumatischen Fiebers, das mit einer durch Streptokokken verursachten bakteriellen Halsinfektion beginnt. Wird die Entzündung frühzeitig erkannt, lässt sich das rheumatische Fieber gut mit Penicillin behandeln. Dem stehen jedoch in Uganda die große Armut, der Mangel an qualifizierten Ärzten und die häufig großen Entfernungen zur nächsten Klinik entgegen. Die meisten Menschen wenden sich an traditionelle Heiler und erhalten keine professionelle Hilfe. Wird die Diagnose rheumatische Herzerkrankung zu spät gestellt, können nur noch chirurgische Eingriffe an den Herzklappen, wenn nicht gar deren Ersatz, den Patienten retten. Das ist für die meisten Menschen in Uganda unerschwinglich.

Früh diagnostiziert lässt sich die Krankheit mit Penicillin behandeln

Angel aus dem Norden Ugandas litt etliche Jahre an der rheumatischen Herzerkrankung und wäre fast an ihr gestorben. Alles begann mit Halsschmerzen, denen traditionelle Heiler durch Auskratzen des Rachens mit einem Holzstöckchen beizukommen versuchten. Später wurde Angel in ein Provinzkrankenhaus überwiesen, wo sich ihr Zustand jedoch zusehends verschlechterte. Schließlich konnte ihre Mutter die Rechnungen nicht mehr bezahlen, und Angel kam mit aufgedunsenem Körper und Atemproblemen wieder nach Hause. Durch Zufall erfuhr ihre Mutter von einer Herzklinik in Gulu, der Hauptstadt des gleichnamigen Distrikts. Ein dort erstelltes EKG  ergab zweifelsfrei, dass Angel an einer rheumatischen Herzerkrankung litt. Zum Zeitpunkt dieser Diagnose war ihr Leben bereits in akuter Gefahr. 

Angel mit ihrer Mutter Scovia. Es ist sechs Jahre her, dass Angel wegen eines versteckten Herzfehlers fast ihr Leben verloren hätte.

Sechs Jahre nach Beginn ihrer Erkrankung treffen wir nun Angel in der Herzklinik von Gulu. Sie schmiegt sich an ihre Mutter Scovia. Das Mädchen gehört zu den wenigen, die das Glück hatten, eine kostenlose Operation zu erhalten. Jedes Jahr wählt das Mulago-Krankenhaus eine Reihe von Kindern aus, die mit Mitteln des Children's National Hospital in Washington operiert werden. Angel geht es bedeutend besser, doch die schwere Zeit ihrer Erkrankung wird sie nie vergessen. „Ich habe einfach nur noch geweint. Ich fürchtete, ich würde Angel verlieren, aber ich habe nie die Hoffnung aufgegeben“, sagt Scovia und sieht ihre Tochter an.

Autorin

Sofi Lundin

ist freie Journalistin und Fotografin in Uganda.

Mit der jetzt entwickelten KI-Technologie zur Früherkennung der rheumatischen Herzerkrankung soll das Leben von Kindern wie Angel gerettet werden, bevor die Krankheit zu weit fortgeschritten ist. „Eine frühzeitige Diagnose ist der beste Weg für junge Menschen. Dann können sie mit Penicillin behandelt werden, und eine Operation wird nicht nötig“, sagt Emmy Okello, Kardiologe am Herzinstitut von Uganda. 

Die Behandlung mit Penicillin, so Okello, kostet nur wenige Dollar, eine Herzoperation hingegen über 10.000. „Das kann sich in Uganda kaum jemand leisten, was zu vielen Todesfällen führt. Im Moment stehen über 500 Patienten auf der Warteliste für eine Operation, kein einziger von ihnen kann sie bezahlen.“

Ultraschallsonden in Kombination mit künstlicher Intelligenz

Emmy Okello ist einer der vier in Uganda registrierten Kardiologen - einem Land mit einer Bevölkerung von 45 Millionen Einwohnern. Der Mangel an qualifiziertem Gesundheitspersonal ist ein großes Problem und einer der Hauptgründe dafür, dass die rheumatische Herzkrankheit häufig nicht früh genug diagnostiziert wird. Die üblichen EKG-Geräte sind groß, teuer und erfordern jahrelange Übung in der Handhabung. Das neue KI-System besteht aus modernsten Ultraschallsonden und tragbaren elektronischen Geräten, deren Algorithmen in der Lage sind, per EKG Anzeichen für die rheumatische Herzerkrankung festzustellen. Die KI analysiert dabei nicht nur die Daten, sondern gibt auch der zu untersuchenden Person Hilfestellung bei der Handhabung der Sonde. „Die von uns entwickelte KI-Technologie zeigt auf dem Bildschirm an, wie die Sonde geführt werden soll. Ist sie in der richtigen Position, nimmt sie automatisch Bilder auf, die an einen Computer gesendet werden, der innerhalb weniger Minuten einen positiven oder negativen Befund liefert“, erklärt Craig Sable, Leiter der kardiologischen Abteilung am Children's National Hospital.

Emmy Okello ist Kardiologe und Leiter des Herzinstituts von Uganda in Kampala. Er arbeitet mit der neuen KI-Technologie zusammen mit dem amerikanischen Arzt Craig Sable.

Geplant ist, diese Diagnosetechnik in Uganda auch außerhalb der Städte einzusetzen. Im Rahmen von Schuluntersuchungen könnte so auch geringer qualifiziertes Personal frühzeitig Krankheitsfälle erkennen. Die meisten Betroffenen leben viele Jahre mit einer rheumatischen Herzerkrankung, ehe sich Symptome bemerkbar machen. 

Ein tragbares Echogerät und eine Ultraschallsonde (rechts) liegen neben dem tragbaren KI-Gerät, das vom Childrens National Hospital in Washington entwickelt wurde.

Craig Sable hat in den letzten Jahren mehr als 50 Reisen nach Uganda unternommen. Er leitet eine Studie, die den Einsatz der neuen Technologie vorbereitet. Das Team aus KI-Spezialisten des Washingtoner Kinderkrankenhauses hat einen Algorithmus entwickelt, mit dessen Hilfe medizinisches Personal nach einer lediglich einstündigen Einweisung Diagnosen mit einer Zuverlässigkeit von 86 Prozent stellen kann. Die Erhebung weiterer Daten soll die Genauigkeit noch erhöhen. Sable ist überzeugt, dass die neue Technik Millionen Menschen nicht nur in Uganda, sondern weltweit helfen kann. „Wir sehen ein enormes Potenzial für diese Technologie, die sicherlich viele Leben retten wird. Unser Ziel ist die Ausrottung der rheumatischen Herzkrankheit, und dabei hilft uns die KI“.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann. 

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