Die Regierung streitet über die Entwicklungshilfe

Mit einem zwölf Meter langen Rotstift hat ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen Anfang Juni vor dem Berliner Hauptbahnhof gegen geplante Einsparungen bei Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe protestiert. Auf dem Foto sind Mitglieder von Save the Children, der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO), Oxfam, The ONE Campaign der Arbeiterwohlfahrt und andere.
picture alliance / epd-bild/Christian Ditsch
Mit einem zwölf Meter langen Rotstift hat ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen Anfang Juni vor dem Berliner Hauptbahnhof gegen geplante Einsparungen bei Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe protestiert. Auf dem Foto sind Mitglieder von Save the Children, der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO), Oxfam, The ONE Campaign der Arbeiterwohlfahrt und andere.
Berlin
Deutschlands Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe drohen empfindliche Kürzungen. Die Schlappe der Ampelkoalition bei der Europawahl wird das Tauziehen um den Bundeshaushalt noch einmal verschärfen.

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz dieser Tage ins Kanzleramt lädt, um gemeinsam mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) über den Haushalt zu sprechen und Differenzen zu glätten, dann findet sich unter den fünf Ressortchefs, die sich Lindners Sparvorgaben widersetzen, auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Streitbarer als in den Jahren davor hat Schulze in den vergangenen Wochen die Position vertreten, dass ein weiteres Zusammenstreichen ihres Etats nicht hinnehmbar sei. 

Nach bisherigen Informationen gesteht Lindner dem Entwicklungsministerium (BMZ) in seinem Haushaltsentwurf im kommenden Jahr noch rund 9,9 Milliarden Euro zu. Im laufenden Jahr verfügt das Ministerium über 11,2 Milliarden Euro, also stünden ihm 2025 etwa 17,6 Prozent weniger zur Verfügung. Dem Auswärtigen Amt will Lindner sogar 33 Prozent des Etats streichen. Für die humanitäre Hilfe und Krisenprävention sei das „eine Katastrophe“, sagt Grünen-Politiker Ottmar von Holtz. 

"Beispiellose Rotstift-Politik"

Seit 2022 seien die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe bereits um insgesamt rund 20 Prozent gekürzt worden, kritisierte das Bündnis #LuftNachOben, dem Dutzende nichtstaatliche Organisationen angehören, bei einer Protestaktion Anfang Juni in Berlin. Setze Lindner seine Vorstellungen für 2025 durch, bedeute dies einen Rückgang um mehr als 25 Prozent innerhalb einer Legislaturperiode. Das sei eine beispiellose Rotstift-Politik – und der falsche Weg, so das Bündnis. Denn bewaffnete Konflikte, die Klimakrise und die chronische Unterfinanzierung von Hilfsmaßnahmen für 300 Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen seien, habe bereits zu Stillstand oder Rückschritten bei den UN-Nachhaltigkeitszielen geführt.

Die Ministerinnen Svenja Schulze und Annalena Baerbock (Grüne) liegen bei den Ansätzen für ihre Etats 2025 um jeweils rund zwei Milliarden Euro über Lindners Vorgaben. Daneben fordern auch die SPD-geführten Ministerien für Arbeit, für Inneres und für Verteidigung deutlich mehr Geld als von Lindner vorgesehen. Konflikte zeichnen sich also vor allem zwischen Sozialdemokraten und Liberalen ab, während die Grünen Geschlossenheit beschwören.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kündigte hingegen an, die Partei müsse mit einer deutlich härteren Haltung als bisher in weitere Gespräche in der Ampel-Koalition ziehen. Viele abtrünnige SPD-Wähler hätten offenbar das Gefühl, die Partei kämpfe nicht ausreichend für ihre Interessen. FDP-Chef Lindner sieht sich durch ein passables Abschneiden bei der Europawahl dagegen bestärkt in seinem Kurs, das „Ausgabenproblem“ des Staats zu lösen. 

Lindner greift Populismus auf

BMZ-Chefin Schulze bekommt nicht nur von der Parteilinken Rückenwind, sondern auch vom SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil. „Eine Entwicklungspolitik, die Krisen vorbeugt“, nannte er als „eine von drei großen Aufgaben“, denen man gerecht werden müsse – neben dem Thema Sicherheit mit der Unterstützung der Ukraine sowie einer konsequenten Stärkung der Bundeswehr. Schon vor der Europawahl hatte SPD-Generalsekretär Kühnert Lindner dafür kritisiert, die Entwicklungszusammenarbeit mit einem „nationalistischen Zungenschlag“ zu diskreditieren. 

Lindner hatte gesagt, die Ausgabenwünsche einzelner Ministerien seien wie „Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen“ und dabei vor allem auf die Ressorts mit Engagements im Ausland verwiesen. In punkto Entwicklungszusammenarbeit mahnte Lindner, man könne nicht mehr jeden Radweg in Peru mit deutschem Steuergeld finanzieren. Damit griff er ein Programm zum Klimaschutz auf, das vor allem Rechtspopulisten als vermeintliches Beispiel dafür dient, dass Deutschland im Ausland Steuergelder verschleudere. 

Auch Lindner bediene damit ein Weltbild, wonach humanitäre und Entwicklungshilfe bloß Geschenke seien, sagte Kühnert. Dabei gehe es um „unsere strategischen Interessen in der Welt und nicht um Charity“. Schulze wiederum argumentierte in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland Anfang Juni, das Projekt in Lima sei ein kleiner, aber sinnvoller Baustein eines kompletten Umbaus des Stadtverkehrs, zu dem der Bau einer U-Bahn gehöre. Deutsche Unternehmen seien daran schon in den ersten Bauphasen mit Aufträgen in dreistelliger Millionenhöhe beteiligt. Deutschland verdiene jeden zweiten Euro im Export, so Schulze. Dafür spiele Verlässlichkeit in der Entwicklungszusammenarbeit eine große Rolle. Lücken würden sofort von China oder Russland gefüllt.

Kürzungen würde die Arbeit in mindestens 40 Ländern betreffen

Auch der Dachverband Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe, Venro, verurteilt „historisch beispiellose“ Kürzungen. Eine Umfrage unter den knapp 150 Mitgliedsorganisationen habe gezeigt, dass Lindners Rotstift die zivilgesellschaftliche Arbeit in mindestens 40 Ländern treffen würde – besonders stark an Schauplätzen sogenannter vergessener Krisen wie in Angola, Burundi, Burkina Faso oder der Demokratischen Republik Kongo.

Wenn Organisationen an solchen Orten die Arbeit einstellen müssten und damit etwa Bildungsmöglichkeiten wegfielen, dann stelle das beispielsweise einen Jugendlichen in Burkina Faso vor die Wahl, die Flucht vor der Armut anzutreten oder für Terrororganisationen zu arbeiten, mahnte Venro- Geschäftsführerin Åsa Månsson. Diese zahlten 300 Euro pro Monat. „Das sind genau die Auswirkungen, die uns die Mitglieder von vor Ort berichten.“

Bis zum 3. Juli will die Regierung einen Haushaltsentwurf beschließen. Danach ist der Bundestag am Zug, der in vergangenen Jahren auf den Entwicklungsetat meist noch eine kleine Schippe drauflegen konnte. Verabschiedet werden soll der Haushalt im Dezember. 

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