„Verzerrtes Bild der staatlichen Entwicklungshilfe“

„Eine andere Entwicklungspolitik“ forderte Anfang September, pünktlich zur Konferenz über eine effektivere Entwicklungshilfe in Accra, ein Kreis von Fachleuten im „Bonner Aufruf“ . Die bisherige Hilfe für Afrika habe versagt, immer mehr davon zu fordern sei deshalb unvernünftig und gefährlich, lautet die Kritik der Initiatoren. Mitte November stellten sie sich in Berlin der Diskussion – und hatten keinen leichten Stand gegen ihre Kritiker unter den rund vierzig Teilnehmern.

Dem Aufruf liege ein völlig verzerrtes und überholtes Bild staatlicher Entwicklungshilfe zugrunde, lautete ein wiederholt vorgebrachter Einwand. Es gehe zum Beispiel „schlicht an der Realität vorbei“, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sich nicht um zivilgesellschaftliche Initiativen in den Partnerländern kümmere, sagte Stefan Oswald, Referent für Entwicklungspolitik in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Auf Widerspruch stieß auch der pauschale Verdacht, der den „Bonner Aufruf“ durchzieht, letztlich seien die Regierungen in Afrika allesamt unzuverlässig, wenn nicht gar korrupt.

Franz Nuscheler vom Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) in Duisburg sagte, er teile durchaus einige inhaltliche Punkte des Aufrufs – etwa die Feststellung, dass die Entwicklungshilfe in vielen Ländern Afrikas die Eigeninitiative gelähmt habe. Er habe ihn aber letztlich nicht unterzeichnet, weil er ihn „für viel zu plakativ und für leichtfertig“ halte. Nuscheler: „In der Entwicklungszusammenarbeit ist vieles faul. Aber der ,Bonner Aufruf‘ ist nicht geeignet, das zu verbessern.“

Rupert Neudeck, der den Aufruf mitverantwortet, sagte, die Anstrengungen in den vergangenen fünfzig Jahren Entwicklungspolitik sollten nicht geschmälert werden. Immerhin hätten die Initiatoren selbst lange im System gearbeitet. Ein Grund für ihre Kritik sei, dass es in Deutschland keine entwicklungspolitische Opposition mehr gebe. „Die NGOs sind mit viel Geld längst zahm gemacht worden“, sagte Neudeck. Martin J. Wilde, ebenfalls Mitinitiator des Aufrufs und Geschäftsführer des Bundes Katholischer Unternehmer, forderte, die Entwicklungspolitik müsse dazu beitragen, in Afrika „den Staat der Bevölkerung zurückzugeben“. Denn auf dem Kontinent seien ökonomische und politische Macht eine „unheilige Allianz“ eingegangen, kritisierte Wilde.

Insgesamt hinterließ die Diskussion den Eindruck, dass die Initiatoren des „Bonner Aufrufs“ letztlich nicht mehr als ein allgemeines Unbehagen über die derzeitige Entwicklungspolitik verbindet, sie aber von ganz unterschiedlichen Motiven angetrieben werden – vom Unmut über eine öffentliche Debatte, die sich nur um mehr Geld dreht, über die Forderung nach mehr Mitteln für Mi­krokredite bis hin zu einer Sehnsucht nach mehr Projekten an und mit „der Basis“. Es wurde jedenfalls nicht deutlich, ob hinter dem Aufruf eine sorgfältige Analyse der Mängel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und ein schlüssiges Konzept stehen, wie es besser laufen könnte.

Tillmann Elliesen

erschienen in Ausgabe 12 / 2008: Wirkung der Entwicklungshilfe
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