In Zentralasien gibt der Islam den Ton vor

ROSTISLAV NETISOV/AFP via Getty Images
Ein orthodoxer Christ in Kasachstans Millionenmetropole Almaty nimmt zum Dreikönigsfest im Januar 2023 ein rituelles Bad. In den Staaten Zentralasiens sind Christen in der Minderheit, in Kasachstan machen sie rund 15 Prozent der Bevölkerung aus. Die Mehrheit sind Muslime.
Kirche und Ökumene
Christen sind in Zentralasien eine Minderheit, verfolgt werden sie aber nicht. Trotzdem wirft die Deutsche Bischofskonferenz einen genauen Blick auf ihre Lage in Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.

Seit 2003 nimmt die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) alljährlich die Situation von Christen in einem bestimmten Land oder einer Region unter die Lupe und fragt nach dem Stand der Religionsfreiheit. In der Regel erscheint dann im Frühjahr eine Arbeitshilfe, und am sogenannten Stephanus-Tag, dem zweiten Weihnachtsfeiertag, wird deutschlandweit zum Gebet für die Christen in dem jeweiligen Land aufgerufen. 

Am 8. Mai hat die DBK eine Arbeitshilfe zu Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan vorgestellt. Dass die Wahl dieses Jahr auf diese Region gefallen sei, habe sowohl geografische als auch historische Gründe, sagt der Vorsitzende der Kommission Weltkirche, Bischof Bertram Meier. Alle fünf Länder waren bis 1991 Teil der Sowjetunion. „Gerade in Zeiten, in denen wir uns wieder viel mit Russland auseinandersetzen müssen, ist es wichtig, sich mit den seitherigen Entwicklungen zu befassen“, sagt der Augsburger Bischof.

Die christlichen Minderheiten in den fünf Ländern sind unterschiedlich groß. In Kasachstan macht sie 15 bis 17 Prozent der Bevölkerung aus, in Kirgisistan 7 Prozent, in Turkmenistan 5 Prozent, in Usbekistan noch gut 2 Prozent und in Tadschikistan weniger als 2 Prozent. Die größte Kirche ist die russisch-orthodoxe Kirche, die mit ihren engen Verbindungen nach Moskau derzeit keine starken Repressionen fürchten muss. Die zweitgrößte Gruppe sind die Katholiken, danach kommen kleinere evangelische Kirchen wie Lutheraner, Baptisten oder Adventisten.

Alle religiösen Feiern müssen angemeldet werden

Gemeinsam sei den Ländern, dass ihre Gesellschaften stark vom Islam geprägt seien. Die Angst vor dem Erstarken radikaler Strömungen habe in den letzten Jahren zu einer autoritären Religionspolitik geführt. „Die Gesetze, mit welchen der Islamismus eingehegt werden soll, gelten auch für die kleinen Religionsgemeinschaften wie die Christen, die Bahai’i oder die Juden“, sagt Bischof Meier. Alle religiösen Feiern, Prozessionen und Gottesdienste müssten vorher angemeldet werden, egal wie viele Menschen kämen.

Insbesondere die junge, gut ausgebildete Generation in den fünf Ländern dränge Richtung Westen, sagt Bischof Meier im Gespräch mit „welt-sichten“. Dies betreffe zwar die gesamte Gesellschaft, aber eine kleine Minderheit sei „insofern stärker davon betroffen, weil irgendwann kaum mehr jemand da ist, der sich zum Beispiel um die Alten kümmert oder eine Gemeinde leiten kann“. Oft seien Ordensleute und Priester aus dem Ausland zuständig für Seelsorge und Gemeindeleben. Wenn dann aber der Staat aus Angst vor einer Infiltration durch den weltweiten Islamismus generell jeglichen Einfluss des Auslands auf Religion kontrolliere, werde es schwer für diese kleinen christlichen Gemeinden und ihre Geistlichen. Von systematischer Verfolgung der Christen will Meier aber nicht sprechen. 

Auch Tim Epkenhans, Professor für Islamwissenschaft in Freiburg und Experte für den zentralasiatischen Raum, sieht keine generelle Verfolgung religiöser Minderheiten. Es gebe aber Beispiele dafür, dass Menschen aufgrund ihres Glaubens stark unter Druck kämen. Die Zeugen Jehowas würden etwa in Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt und seien wegen ihrer offenen Missionierungsversuche und ihrer theologisch begründeten Ablehnung jeglicher Staatsgewalt verfolgt, teilweise sogar zu langen Haftstrafen verurteilt. 

Antisemitismus aus der Sowjetzeit

Die kleinen jüdischen Gemeinden wiederum seien einem allgemeinen Antisemitismus ausgesetzt, der seine Wurzeln in der Sowjetzeit habe. „Schwer haben es auch alle muslimischen Gemeinschaften, die den Islam nicht sunnitisch-orthodox auslegen wie zum Beispiel die Ismailiten“, sagt Epkenhans. 

Insgesamt stelle er in den muslimischen Mehrheitsgesellschaften Zentralasiens eine religiöse Gleichschaltung hin zu einer extrem konservativen und patriarchalen Auslegung des Islam fest. Rein rechtlich gesehen seien die fünf Staaten zwar alle säkular und hätten in der Verfassung den Schutz der Religionsfreiheit verankert. Damit sei zum Beispiel auch die Konversion vom Islam in eine andere Religion möglich. „Die gesellschaftliche Toleranz bei dem Thema ist in den letzten Jahren aber stark gesunken“, sagt Epkenhans. Das Gleiche gelte für das Geschlechterverhältnis. „Das Rollenbild ist heute wesentlich patriarchaler als noch zu Sowjetzeiten.“ Mittlerweile komme es sogar vor, dass Männer zwei Frauen heiraten, was der Islam erlaube, rein rechtlich in den fünf Staaten aber nicht vorgesehen sei.

Epkenhans sieht in dieser Entwicklung die Antwort der zentralasiatischen Gesellschaften auf die Frage nach ihrer Identität nach 1991. „Eine säkulare Identitätspolitik, die sich auf die ethnische Zugehörigkeit bezieht, ist gescheitert.“ Der Islam dagegen habe in den letzten Jahren eine national und normativ bindende Kraft entwickelt. Wer sich damit nicht identifizieren könne, habe es zunehmend schwer – und dabei müsse es nicht einmal um Religion gehen. „Auch die LGBTQ-Szene in Zentralasien leidet zunehmend darunter, dass die Frage nach gesellschaftlicher Diversität keine Priorität mehr hat“, sagt Epkenhans.

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