Die Entwicklungszusammenarbeit sollte Initiativen gegen kulturelle Praktiken unterstützen, die Frauen und Mädchen diskriminieren oder ihnen schaden, fordert der UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) in seinem diesjährigen Weltbevölkerungsbericht. Dafür müssen Entwicklungsorganisationen die Kulturen verstehen, in denen sie arbeiten. Nach Ansicht von UNFPA sind kultursensible Ansätze unabdingbar für wirksame Strategien zur Stärkung von Frauen.
„Wenn wir ernsthaft Armut bekämpfen und die Millenniumsentwicklungsziele erreichen wollen, müssen wir uns mit kulturellen Werten und Praktiken, die Frauen benachteiligen, auseinandersetzen“, erklärte UNFPA-Vertreterin Bettina Maas anlässlich der Vorstellung des Berichts Mitte November in Berlin. Zum Beispiel sei die weibliche Genitalverstümmelung eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte, werde jedoch in vielen Kulturen als Initiationsritual weiterhin praktiziert.
„Kultursensibel zu arbeiten heißt nicht, solche traditionellen Praktiken stillschweigend zu tolerieren“, betonte Maas. In jeder Kultur gebe es Menschen, die sich kulturellen Zwängen widersetzen. Mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten und sie zu unterstützen, könne kulturellen Wandel von innen heraus bewirken und Frauenrechte stärken. Der diesjährige Bericht spricht gezielt Entwicklungsorganisationen an, die in Bereichen wie der reproduktiven Gesundheit tätig sind. Die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit ist in traditionell männlich dominierten Gesellschaften oft ein schwieriges Unterfangen. Doch in jeder Kultur gibt es Widerstände gegen Praktiken wie Kinderheirat, die Frauen benachteiligen oder ihnen schaden, betont der Bericht. Oft sind die international anerkannten Menschenrechte ein wichtiges Instrument in den Auseinandersetzungen innerhalb einzelner Kulturen, zum Beispiel für den Kampf von Frauen um Gleichberechtigung. Entwicklungsorganisationen können solche Anliegen unterstützen. Dabei sollten sie die Kreativität der Betroffenen und die Dynamik von Kulturen nicht unterschätzen.
Kultur zu verstehen heißt für UNFPA auch zu verstehen, was den „kulturbedingten Zwang zur Männlichkeit“ ausmacht. Insbesondere in Kriegs- und Konfliktsituationen steigt die Gefahr sexueller Gewalt gegen Frauen. Vergewaltigung kann zur Waffe werden, die sich nicht nur gegen die körperliche Unversehrtheit von Frauen richtet, sondern gegen ihre gesamte Kultur. Um dagegen etwas zu unternehmen, seien zudem Kenntnisse über das kulturell verwurzelte Selbstverständnis von Männern und Frauen nötig. Denn unter Umständen akzeptieren die Betroffenen kulturelle Normen, die ihnen schaden, weil sie ein negatives Selbstbild haben.
Seit den 1980er Jahren habe die internationale Gemeinschaft im Bereich der Müttergesundheit kaum Fortschritte gemacht, sagte Renate Bähr, Geschäftsführerin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW), die eine deutsche Ausgabe des Berichts herausgegeben hat. Noch immer hindern Armut und kulturelle Zwänge Frauen daran, Verhütungsmittel oder Schwangerenfürsorge in Anspruch zu nehmen. Kulturelle Sensibilität könnte helfen, die Selbstbestimmung von Frauen über die Zahl ihrer Kinder, den Zeitpunkt und den zeitlichen Abstand zwischen Geburten zu fördern.
Christina Kamp