Lucy Odende sitzt vor dem, was von ihrem Leben übrig ist. Weniger Meter weiter hockt ihr Sohn vor einem runden Bottich, aus dem es schäumt. Er weicht die Kleidung ein, die sie aus den Häusern gezogen haben. Dass ihr kleines Haus aus Wellblech die Fluten überstanden hat, ist ein Wunder. Von anderen Hütten im Slum Mathare in Kenias Hauptstadt Nairobi sind zum Teil nur noch die Fundamente übrig. Überall trocknet die Wäsche in der Sonne, die an diesem Vormittag scheint.
Regen sind sie gewohnt - und auch der „Mathare River“, der mitten durch den Slum fließt, tritt immer mal wieder über die Ufer. „Aber Fluten wie diese haben wir noch nie erlebt“, sagt Lucy Odende.
Am späten Dienstagabend stand vergangene Woche das Wasser auf einmal kniehoch in ihrem Zimmer. Schnell raffte die 57-Jährige ein paar Sachen zusammen und fing an, mit einem Stein an die Wellblechwände der Nachbarhäuser zu klopfen. „Manche haben es rausgeschafft, andere hat die Flut weggeschwemmt“, erzählt sie. Mehr als 40 Menschen wurden am nächsten Tag tot aus dem Fluss oder ihren Häusern geborgen.
Mindestens 71 Menschen sind durch die Fluten gestorben
Seit Wochen wird Ostafrika von starken Regenfällen heimgesucht. Dazu beigetragen hat das Wetterphänomen El Niño, das alle paar Jahre auftritt und die globalen Temperaturen beeinflusst. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit für Extremwetterereignisse und auch, dass sie mit hoher Intensität auftreten. Auch in anderen Teilen Kenias haben Fluten verheerende Schäden angerichtet. In der Stadt Mai Mahiu nordwestlich von Nairobi etwa riss das Wasser am frühen Montagmorgen einen Bus und etliche Häuser mit. Mindestens 71 Menschen starben.
Lucy Odende lebt seit 1982 in Mathare, ihre Kinder sind hier geboren und auch manche ihrer fünf Enkelkinder. Über die Zeit hat sie sich etwas aufgebaut: Sie vermietete kleine Wellblechhäuser, die jetzt weggeschwemmt wurden. Von dem Geld zahlte sie die Schulgebühren ihrer Kinder. Ihr jüngstes Kind geht noch zur Uni. „Wir würden weggehen von hier, aber wir haben kein Geld, irgendwo anders ein Haus zu mieten“, sagt Odende.
Seit vergangener Woche schlafen sie und ihre Familie in Zelten, etwas oberhalb vom Fluss. Das kenianische Rote Kreuz ist mit seinen Freiwilligen im Einsatz. Auch die Aktivistinnen und Aktivisten vom „Mathare Social Justice Center“ helfen. Schon früh am Morgen herrscht im Zentrum der Gruppe, die sich für soziale Gerechtigkeit für die Slumbewohner einsetzt, reges Treiben. Die Kleiderspenden der vergangenen Tage werden sortiert, Essensspenden an die drei Suppenküchen und an bedürftige Familien verteilt. Geldspenden gehen an Familien, die durch die Fluten alles verloren haben.
Eine der Suppenküchen ist unweit der Stelle, an der das Haus einer Aktivistin stand: Benna Buluma engagierte sich gegen Polizeigewalt, nachdem ihre beiden Söhne von Polizisten erschossen worden waren. Der Direktor von Amnesty International in Kenia, Irungu Houghton, kritisierte nach ihrem Tod, Buluma sei nicht von den Fluten getötet worden, sondern von unwürdigen Lebensumständen, fehlender Stadtplanung und Misswirtschaft.
"Wir bekommen keine Hilfe von der Regierung"
Es ist ein Gefühl, das viele Menschen hier umtreibt. „Als armer Mensch bist du nur eine Zahl in der Statistik“, sagt Antony Mwoki, der sich im „Mathare Social Justice Center“ engagiert. Niemand interessiere sich für die Menschen in dem Slum. Die meisten von ihnen haben weder fließendes Wasser noch Strom. Es gibt keine Müllabfuhr.
Die von den Fluten vertriebenen Menschen stehen vor einer ungewissen Zukunft. Viele von ihnen sind noch in Schulen untergebracht, die Ferien hat die Regierung um eine Woche verlängert. Doch am Montag soll die Schule wieder losgehen. Was dann mit den Menschen passiert, die dort aktuell schlafen, dazu hat sich bisher noch niemand geäußert.
Noch immer bringen die Flüsse Wassermassen mit sich. Jeden Tag geben weitere Häuser der Naturgewalt nach. „Das Leben war hier schon vor den Fluten hart“, sagt Lucy Odende. „Wir bekommen keine Hilfe von der Regierung.“
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