Die Entwicklungshilfe setzt zu stark auf ausländische Berater

Gespräch mit Bischof Mvume Dandala

Die Entwicklungshilfe muss helfen, in Afrika einheimisches Führungspersonal heranzubilden – in Regierungen wie in Kirchen und der Zivilgesellschaft. Wenn die Verantwortung nicht auf Einheimische übergeht, wird nach Ansicht von Bischof Mvume Dandala ein Gefühl der Abhängigkeit verfestigt. Nichtstaatliche Organisationen aus dem Norden sollten ihm zufolge sorgfältig überlegen, ob sie in Partnerländern eigene Büros eröffnen.

Wie muss Entwicklungshilfe organisiert sein, um afrikanische Staaten und Gesellschaften zu stärken?

Die Menschen müssen ihre Entwicklung selbst in die Hand nehmen. Leute aus Industrieländern sagen ständig, wir investieren so viel in Afrika, aber nichts davon scheint anzukommen. Meiner Ansicht nach geht es vor allem darum, die Menschen zu befähigen, dass sie vorhandene Ressourcen selbst nutzen und entwickeln können.

Meinen Sie damit vor allem Graswurzel-Bewegungen?

Ich meine zwei Ebenen. Wir müssen die Fähigkeiten der Menschen an der Basis stärken. Aber gleichzeitig müssen wir die einheimischen Führer in Kirchen, Regierungen und der Zivilgesellschaft fördern. Es ist entscheidend, dass wir das richtige Gleichgewicht zwischen beidem halten. Wenn wir das nicht tun und nur die Eliten stärken, haben wir am Ende Führer, die ein Monopol auf Macht und Wissen beanspruchen und kein Volk, das sie zur Verantwortung zieht. Wenn wir aber Menschen nur auf Graswurzel-Niveau befähigen, verstehen sie die größeren Zusammenhänge nicht, die ihr Leben beeinflussen. Zurzeit beauftragen die großen Geber immer noch vor allem Experten aus ihren Ländern, Hilfsprogramme umzusetzen. Die einheimische Gesellschaft wird nicht schnell genug geschult, damit sie diese Aufgabe übernehmen kann. So lange das nicht geschieht, wird es an Vertrauen mangeln. Das führt dazu, dass gefragt wird, ob Hilfe benutzt wird, um Jobs für Leute aus den Geberländern zu schaffen.

Die Geber setzen noch immer viele Berater aus ihren eigenen Ländern in Afrika ein?

Ja. Ich habe den Eindruck – der falsch sein mag -, dass viel Geld für Berater ausgegeben wird. Viele von ihnen sind keine Einheimischen, behaupten aber, zu wissen, was in einer bestimmten Gemeinschaft vor sich geht. Warum bilden wir nicht schneller Leute aus den Gemeinschaften aus, mit denen wir arbeiten? Natürlich ist niemand so naiv zu glauben, dass jemand Geld gibt, ohne die Verwendung zu kontrollieren. Aber das bedeutet nicht, dass er die gesamten Umsetzungsprozesse leiten muss. Es ist eine wichtige Investition in das Selbstvertrauen der Menschen, wenn man ihnen Führungsverhalten beibringt und die Führung überlässt. Wenn man das nicht tun, festigt man ohne Absicht ein Gefühl der Abhängigkeit. Deshalb sollten auch nichtstaatliche Organisationen (NGOs) aus dem Norden sorgfältig darüber nachdenken, ob sie in den Ländern des Südens eigene Büros eröffnen. Das schafft Konkurrenz und doppelte Strukturen, die wir nicht brauchen. Wir sollten zunächst prüfen, welche Möglichkeiten es vor Ort gibt. Nur wenn wir nichts geeignetes finden, können wir über ein eigenes Büro nachdenken. Aber es sollte keine ständige Einrichtung sein. Die Übergabe an Einheimische sollte von Anfang an beabsichtigt sein.

Manchmal drängen Geldgeber die nichtstaatlichen Organisationen aus dem Norden, aus verwaltungstechnischen Gründen ein Büro in einem Partnerland zu eröffnen.

Wenn man von Gebern gedrängt wird, ein wesentliches Prinzip seiner Entwicklungsarbeit zu verletzen, dann sollte man das hinterfragen. Gerade die ökumenische Bewegung sollte im Dialog mit den Gebern Widerstandskraft beweisen. Wenn Organisationen sich dem Druck der Geber beugen, ohne Menschen aus Entwicklungsländern in den Dialog einzubeziehen, werden wir unser Ziel nicht erreichen.

Ein Grund für die Einrichtung eines Büros ist auch die bessere Koordination der verschiedenen ökumenischen Organisationen, die in einem Land arbeiten.

Ich sage nicht, dass sie keine Büros eröffnen sollen. Aber sie müssen die Notwendigkeit einsehen, die lokale Leitung zu stärken. Ich bin strikt gegen ein einseitiges Engagement, nur weil es die Geber verlangen.  Dort, wo die Organisationen arbeiten, gibt es Menschen, die respektiert und ermutigt werden müssen. Ich glaube, die Organisationen verstehen das, aber sie müssen ihre Geldgeber ebenfalls davon überzeugen.

Heute sollen mit Entwicklungshilfe vor allem einheimische staatliche Einrichtungen gestärkt werden. Ist das Ihrer Meinung nach ein Fortschritt?

Wir haben nicht die Erfahrung gemacht, dass unsere politischen Strukturen unterstützt werden. Vor allem in den Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) haben wir einseitige Beziehungen zwischen Geber und Partnerland erlebt, die eines der wenigen Instrumente untergraben haben, über das Entwicklungsländer verfügen: dass sie sich zu Gruppen zusammenschließen und grenzüberschreitende Strategien entwickeln. Besonders hilfreich war die Bildung von Staatengruppen, in denen der Handel auf regionaler Basis organisiert wird. Im Rahmen der EPA-Verhandlungen wurden unsere Länder aber einzeln unter Druck gesetzt – sogar, sich gegen die jeweilige regionale Organisation zu wenden. Das hat einen Beigeschmack von Sabotage. Natürlich kann man nicht für alle Dinge eine regionale Lösung finden, man muss auch direkt mit einzelnen Ländern verhandeln. Aber wenn man eine Strategie wählt, ohne die, mit denen man zusammenarbeiten will, ernst zu nehmen, läuft etwas falsch.

Welche Aufgaben sollten die Kirchen in der Entwicklungsarbeit übernehmen?

Historisch gesehen haben die Kirchen bei der Entwicklung der Gemeinschaften in Afrika eine wichtige Rolle gespielt. Wie Nelson Mandela gesagt hat: Die Kolonialregierungen haben Afrikaner nur für einfache Verwaltungsaufgaben ausgebildet. Die Kirchen hingegen haben sie befähigt, ihren Gemeinschaften zu dienen. Inzwischen übernehmen die Regierungen jedoch immer mehr Aufgaben und die Kirchen tendieren dazu, sich aus dem Bildungswesen und anderen Feldern, die eine Gesellschaft voranbringen, zurückzuziehen. Sie denken, ihre Rolle beschränkt sich darauf, das Existenzminimum zu sichern. Ich finde das falsch.  Die Kirche muss Entwicklungen wie die Globalisierung hinterfragen. Die ökumenische Gemeinschaft sollte aufstehen und kritische Fragen auf der Basis der heiligen Schrift stellen, etwa was Nachbarschaft bedeutet in einer Gesellschaft, die sich nur über den Markt definiert.

Muss sich die Rolle der Kirche ändern, wenn Regierungen mehr Aufgaben übernehmen und die Geber das unterstützen? Sollte sie eher die Funktion eines Wächters übernehmen?

Auf jeden Fall. Die Rolle der Kirche ist nicht auf die Errettung des Einzelnen beschränkt. Eine der Säulen der Demokratie ist eine kritische Zivilgesellschaft. Die Kirche muss dazu beitragen, die zu schaffen. Sie muss Menschen befähigen, für ihre Rechte einzutreten und die richtigen Fragen zu stellen.

Sollte die Kirche in schwachen Staaten wie dem Kongo auch zum Aufbau des Staates selbst beitragen?

Wir sind auch dafür verantwortlich, zu gewährleisten, dass jede Gesellschaft die Institutionen erhält, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. In schwachen Staaten können wir nicht abwarten, bis diese Institutionen vorhanden sind, damit Rechte durchgesetzt werden können. Es ist unser Recht, einzugreifen. Das liegt in unserer prophetischen Verantwortung. Die Kirche hat ihrer Natur nach eine prophetische Rolle, die sie niemals aufgeben sollte. Aber gleichzeitig muss sie den Menschen helfen.

Das Gespräch führten Bernd Ludermann und Gesine Wolfinger.

Mvume Dandala ist Bischof der methodistischen Kirche Südafrikas und seit 2003 Generalsekretär der Allafrikanischen Kirchenkonferenz mit Sitz in Nairobi.

welt-sichten 12-2008/01-2009

 

erschienen in Ausgabe 12 / 2008: Wirkung der Entwicklungshilfe
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