Was kommt nach der Kohle?

Eine dunkelhaarige kräftige indigene Kolumbianerin in einem geblümten Kleid steht in greller Sonne auf einem steinigen Gelände neben einem Zaun aus Holzpfählen, der einen terrassenförmig angelegten Garten mit karger Erde einfasst.
Knut Henkel
Luz Angela Uriana vor dem Garten mit Heilkräutern gleich an den Abraumhalden von Cerrejón.
Kolumbien
Die Halbinsel La Guajira im Norden Kolumbiens an der Grenze zu Venezuela soll zum Symbol der energiepolitischen Erneuerung des Landes werden. Doch in vielen Gemeinden herrscht Skepsis – auch weil die größte Kohlemine Lateinamerikas weiterhin arbeitet.

Luz Angela Uriana lehnt an dem Zaun, der ihren kleinen Garten einfasst. Gemeinsam mit vier, fünf anderen Frauen aus dem Dorf Provincial hat sie ihn angelegt. „Wir hoffen, dass die Heilpflanzen angehen werden“, sagt die kräftige Frau von der indigenen Gruppe der Wayúu, die direkt gegenüber von einem Tagebau lebt: Nur wenige hundert Meter von ihrem Garten entfernt türmen sich die riesigen Abraumhalden der größten Kohlemine Lateinamerikas auf, von Cerrejón.

Jeden Tag werden 25 Millionen Liter Wasser nur für die Besprengung der gigantischen Abraumhalden verwandt, ärgert sich Uriana, eine Mutter von acht Kindern. Wasser ist knapp in La Guajira, einer rötlich-staubigen Steppenlandschaft ganz im Osten Kolumbiens nahe der Grenze zu Venezuela. Die Region zählt zu den ärmsten des Landes, die Wayúu stehen weit unten in der sozialen Hierarchie und durch viele Dörfer wie Provincial, das an einer Schotterpiste zur Straße nach Barrancas liegt, ziehen sich tiefe Konfliktlinien. „Wir sind gespalten in eine Fraktion, die zur Mine hält und auf Jobs hofft, und eine, die die Umweltschäden anprangert“, bringt Uriana den Konflikt auf den Punkt. Sie gehört zu denjenigen, die immer wieder und teils auch erfolgreich vor Gericht geklagt hat gegen die Verschmutzung mit dem feinen Kohlenstaub, der die Region um Barrancas prägt. 

Die Kleinstadt mit etwa 25.000 Einwohnern ist die energetische Drehscheibe der Region. Rund zehntausend Bergarbeiter sprengen die Steinkohle, die unter anderem nach Deutschland exportiert wird, im offenen Tagebau aus der riesigen Grube. 69.000 Hektar hat sich der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore gesichert, der die Mine seit 2021 allein betreibt und noch gut zehn Jahre fördern darf. Das sehen die seit 1986 laufenden Förderverträge vor.

Kritiker werfen Glencore vor, Verträge nicht einzuhalten

In der Region von Barrancas stellen sich viele die Frage, wie es danach weitergeht. Wird der Konzern die Gegend renaturieren, wird die Bevölkerung entschädigt werden, wie es Kritiker wie Luz Angela Uriana oder die afrokolumbianische Aktivistin Greyllis Pinto aus der benachbarten Gemeinde Chancletas fordern? Beide werfen dem Konzern vor, geltende Verträge mit den Gemeinden nicht einzuhalten, und befürchten, dass Glencore einfach abziehen und die Region sich selbst überlassen wird. Das ist schon einmal passiert, im benachbarten Verwaltungsbezirk Cesar, der auch eine Kohlemine hatte. Ob das die Verträge oder auch progressive Gesetze wie das deutsche Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz oder ein jüngst vertagtes europäisches Lieferkettengesetz verhindern werden, steht genauso in den Sternen wie die Frage, ob die kolumbianische Regierung bis dahin eine Energiewende auf den Weg gebracht hat.

Autor

Knut Henkel

ist freier Journalist in Hamburg und bereist regelmäßig Lateinamerika und Südostasien.

Die Regierung Petro setzt auf regenerative Energien – auf der Halbinsel La Guajira auf Wind. 46 Windparks sind dort bis 2034 geplant, die meisten im Norden. Einige auf See, etliche in der Region von Uribia, der inoffiziellen Hauptstadt der Wayúu. Gesamtkapazität: mehr als 8000 Megawatt. „Das Windpotenzial ist immens“, so José Vega, ein kolumbianischer Energieexperte, der beim Schwedischen Stockholm Umweltinstitut (SEI) beschäftigt ist. Das unterhält in Bogotá ein Büro, welches die Neuausrichtung der kolumbianischen Energiepolitik unter der Regierung von Gustavo Petro analytisch begleitet. 

„Die Idee ist zukunftsweisend, aber es gibt zahlreiche Hürden“, so Vega. Der 31-Jährige ist in Riohacha, der Hauptstadt der Region La Guajira, aufgewachsen und warnt vor der Inkompetenz der Lokalregierung. Die gehe bei der Erstellung von Umweltgutachten, aber auch bei Baugenehmigungen zu langsam und zu wenig transparent vor. „Erst Mitte Februar hat das kolumbianische Windkraftunternehmen Celsia seinen Rückzug angekündigt: Es hatte mehr als 60 Monate erfolglos auf ein Umweltgutachten gewartet“, berichtet Vega. 

Es fehlt ein Gesetz, das die indigenen Gemeinden einbindet 

Damit nicht genug: Es fehlt auch ein verbindliches Gesetz, wie die indigenen Wayúu-Gemeinden, in denen die Windparks in aller Regel entstehen sollen, informiert und um ihre Zustimmung gebeten werden. Genau das schreibt die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker vor, die Kolumbien unterzeichnet hat. Das wissen mittlerweile auch viele der Repräsentanten der Wayúu, die bei der Genehmigung der Kohlemine Cerrejón schnöde übergangen wurden. 

Das soll sich beim Umbau des Energiesystems nicht wiederholen, so Luz Angela Uriana. „Wir wollen gefragt, beteiligt und gehört werden“, erklärt sie. Das scheint auch der kolumbianischen Regierung bewusst. Präsident Gustavo Petro war in den vergangenen Monaten mehrfach hier, hat für bessere staatliche Versorgungsleistungen unter anderem für die oft in bitterer Armut lebenden Wayúu gesorgt. Doch offen ist, wie der progressive Präsident ein verbindliches Procedere für die Befragung der indigenen Bevölkerung bei Großprojekten wie den Windparks schaffen will. Ihm fehlt eine Mehrheit im Parlament.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2024: Von Fahrrad bis Containerschiff
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