Gastão Macosso eilt in Flip-Flops über einen Trampelpfad durchs Dickicht. Die harte Feldarbeit unter der Äquatorsonne hat Furchen in sein Gesicht gegraben, das er mit einem Schlapphut schützt. Auf einer Lichtung bleibt Macosso stehen. Seine langen, sehnigen Hände zeigen auf Bananenstauden und Zitrusbäume. All das sei nicht zuverlässig, sagt er. „Als Landwirt kann ich nicht auf ein Produkt setzen, das sich nur einen Monat im Jahr verkaufen lässt und auf das ich den Rest der Zeit warten muss.“
Ein paar Dutzend Meter entfernt ragen die Bäume des Mayombe-Regenwaldes in die Höhe. Davor reihen sich Sträucher, an deren Stämmen das ganze Jahr über orangefarbene Früchte baumeln, manche fast so groß wie ein Baseball. Von süßem Fruchtfleisch umgeben, enthalten sie bittere Kerne, die sich weltweit vermarkten lassen. „Deshalb vertraue ich viel mehr auf Kakao. Ihn kann ich jeden Monat verkaufen“, sagt Macosso.
80 „Collaboradores“ hat er angeheuert – Erntehelfer, mit denen er auf seinen zehn Hektar Land monatlich rund 600 bis 800 Kilogramm an Kakao erzeugen kann. Reich wird man davon nicht hier in Belize und Buco Zau. Aber es genügt für ein bescheidenes Einkommen, um die Familien zu versorgen. Allein 17 Personen sind es im Haushalt von Macosso.
Anders wirtschaften
Die ersten Setzlinge für die Kakaosträucher hat Macosso vor etwa sechs Jahren bekommen. Ein Modellprojekt der Afrikanischen Entwicklungsbank und des angolanischen Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft soll hier zeigen, dass sich in dem südafrikanischen Land auch anders wirtschaften lässt, als nur Rohstoffe auszubeuten: Vom Kakaoanbau bis zur Produktion von angolanischer Schokolade soll Wertschöpfung entlang der ganzen Lieferkette im Land entstehen.
Angola ist der zweitgrößte Erdölproduzent Afrikas nach Nigeria und erzielt mit dem Verkauf von Öl und Gas rund 95 Prozent seiner Exporterlöse. Die Provinz Cabinda, eine angolanische Exklave zwischen der Demokratischen Republik Kongo und der Republik Kongo, wurde von der afrikanischen Entwicklungsbank nicht zufällig für das Modellprojekt ausgewählt: Hier werden die fossilen Energieträger aus der Tiefe geholt. Vom Festland aus lassen sich die vielen Bohrinseln erspähen. Unweit der Provinzhauptstadt leben die Beschäftigten der Ölfirmen in abgeriegelten Wohnsiedlungen. Das Geschäft mit Öl hat eine kleine politische Klasse sehr reich gemacht, während fast ein Drittel der Bevölkerung Angolas unter der Armutsgrenze lebt.
Der 60-jährige Farmer Macosso weiß nur vom Hörensagen, dass Cabinda eine der Regionen Afrikas ist, in denen zuerst Kakao geerntet wurde. „Nach der Unabhängigkeit hat der angolanische Staat dem Kakaoanbau praktisch keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Die Bevölkerung hat den Anbau aufgegeben“, sagt er.
Geändert hat sich das, als das Team von Jose Fernandes kam. Der Agraringenieur koordiniert von der Hauptstadt Luanda aus das Projekt. In Cabinda stellen sie Setzlinge und Saatgut für Kakao zur Verfügung. Sie schulen Landwirte und erneuern Transportwege.
„Der Ölsektor bewegt Millionen und Milliarden an Dollar“, sagt der Agronom Fernandes, der schon für World Vision und in der Unternehmensverantwortung eines Ölkonzerns gearbeitet hat. Gerade deshalb ist er überzeugt, dass Angola Alternativen zum Öl braucht. „Im Vergleich dazu ist der Wert des Kakaosektors sehr gering“, sagt er. „Aber der Vorteil ist, dass er viele Menschen in Arbeit bringt und das Geld an die Mehrzahl der Familien in der Provinz verteilt wird.“ Gerade in Angola sei das enorm wichtig. Die Bevölkerung des Landes zählt etwa 34 Millionen Einwohner und wuchs zuletzt um jährlich 3,34 Prozent – die sechsthöchste Wachstumsrate im weltweiten Vergleich.
Von zartbitter bis süß und mit dem besten Aroma
In einem Industriegebiet am Rande von Luanda geht Paulo Santos in den ersten Stock eines schmucklosen Firmenkomplexes. Der regionale Projektmanager der Firma Biagio breitet die ganze Palette an Schokolade aus, die die Firma bereits in Angola herstellt. Darunter ist eine zartbittere Sorte mit 85 Prozent Kakaoanteil und eine süße mit 34 Prozent, die viel Zucker und Milch enthält. Auf allen prangt das Logo und die Herkunftsbezeichnung „Origens Angola“.
Es ist die erste derartige Fabrik im Land. Viele Kakao produzierende afrikanische Länder wie die Elfenbeinküste und Ghana exportieren vor allem das Rohprodukt, während die Veredelung in Europa und anderen Industrieregionen stattfindet. Santos kommt ursprünglich aus Portugal und hat in Südamerika und afrikanischen Ländern wie Mosambik die Produktion von Süßwaren gemanagt. „Auf dem internationalen Markt gibt es einen starken Preiswettbewerb“, sagt er über das Geschäft mit Schokolade.
Autor
Jonas Gerding
ist freier Journalist und lebt in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Er berichtet vor allem über Themen wie Klimawandel, Energiewende und Rohstoffe, die es dafür braucht.Paulo ist Mitte 50 und möchte in Angola noch ein letztes großes Kapitel in seinem Berufsleben aufschlagen: Er will die Schokolade aus Angola groß machen. Im Produktionsland selbst könnte man auf süße Schokoladenriegel für den Massenmarkt setzen. Fürs Ausland braucht es jedoch mehr: „Schokolade ist heute ein Phänomen wie Wein, bei dem auch Kleinigkeiten wichtig sind, um das beste Aroma zu erhalten“, sagt er. Im Ökosystem des Regenwaldes in Cabinda verleihen Bananenstauden und andere Pflanzen den Böden einen ausgefallenen Charakter und dem Kakao ein besonderes Aroma.
Beschäftigte in beiger Arbeitsmontur und mit weißen Hygienehauben laufen durch die Fabrikhalle. Per Hand sieben sie das frisch gemahlene Kakaopulver und schieben Nüsse in den Röster. Eine Maschine presst knarzend eine Kakaomasse unter Hitze zu einem Saft, der später zu weißer Schokolade verarbeitet wird. In einem Kühlraum läuft fertige Schokolade in Form von Tafeln über ein Band und wird schließlich in Plastik verschweißt. 200 Menschen beschäftige Biago hier, sagt Santos.
Noch geht von der Schokolade nur wenig ins Ausland
Zurzeit produziere die Fabrik etwa 25 bis 30 Tonnen Schokolade im Monat. Die Menge werde bisher begrenzt vom niedrigen Nachschub an Rohkakao. Aber Santos ist zuversichtlich, dass sich mit Förderprogrammen die Ernte bald steigern wird. Potenzial für den Anbau sieht er auch in anderen Teilen Angolas wie Uíge nordöstlich und Gabela südlich der Hauptstadt.
Bisher liefert Biagio die Schokolade nur in geringer Stückzahl ins Ausland: nach Portugal. „Die Chancen, dieses Produkt zu exportieren, sind meiner Ansicht nach sehr hoch“, sagt Santos. Aber: „Die Logistik ist komplex. Schokolade wird unter kontrollierten und klimatisierten Bedingungen exportiert. Das ist nicht einfach.“ Und die Zertifizierungsprozesse sind aufwendig. Aber das sei es wert, um ein Premiumprodukt zu vermarkten.
Schon öfter wurde in Angola die Diversifizierung der Wirtschaft ausgerufen – bisher immer vergeblich. Doch dieses Mal bewege sich tatsächlich etwas, sagt Mário Caetano João, Angolas Minister für Wirtschaft und Planung, in Luanda. Sein Bart ist akkurat getrimmt, Anzug und Krawatte sind bestens aufeinander abgestimmt. Sein Ministerium hat ein ambitioniertes Programm gestartet, das Landwirtschaft, Fischerei, den Textilsektor und den Tourismus fördert. In der Abhängigkeit von Öl und Gas sieht er ein großes Risiko: „Es braucht nur irgendeine Turbulenz, und unsere gesamte Wirtschaft ist davon betroffen.“
Der Anbau von Kakao – eine Antwort von vielen
Der Minister betont, es sei wichtig, Arbeitsplätze zu schaffen, was der Öl- und Gassektor mit seinen 20.000 Beschäftigen nicht genügend tue: „Dem stehen acht Millionen arbeitstüchtige Angolaner gegenüber. Da ist das nur ein Tropfen im Ozean.“ Der Anbau von Kakao sei da eine Antwort von vielen. Große Chancen sieht João auch in der industriellen Landwirtschaft, insbesondere bei Reis, Mais, Weizen und Zucker. Angola nutze bisher nur einen sehr kleinen Teil seines landwirtschaftlichen Potenzials – 10 bis 20 Prozent der 50 Millionen Hektar an bewirtschaftbaren Flächen, von denen ein Teil 22 Jahre nach Ende des Bürgerkrieges noch vermint ist. Diversifizierung bedeutet in Angola jedoch nicht Abkehr von Öl und Gas, sondern eher Ergänzung dazu. Denn nach wie vor schreibt das Land neue Förderlizenzen aus und baut Raffinerien für den eigenen Bedarf. „Unser Land hat einen zerstörerischen Bürgerkrieg hinter sich. Deshalb haben wir noch einiges aufzuholen und können keine so abrupte Energiewende betreiben, wie wir gerne möchten“, sagt der Minister. Das Ziel sei jedoch, dass in den 2050er Jahren die Energieversorgung zu 80 bis 85 Prozent auf erneuerbaren Energien beruhe.
Eine tragende Rolle könnte dabei Wasserstoff spielen. Das Nürnberger Ingenieursbüro Gauff will 400 Megawatt vom Kraftwerk des Lauca-Staudamms abzweigen, die zurzeit nicht ins Netz eingespeist werden, weil es an zahlungskräftigen Industrieabnehmern für den Strom fehlt. In einer Fabrik in Küstennähe will Gauff mit dem Strom den Energieträger Wasserstoff produzieren, der schließlich mit Schiffen nach Deutschland exportiert werden soll. „Wir glauben, dass darin auch eine große Chance für unsere eigene Energiewende steckt“, sagt Angolas Wirtschaftsminister, der auch innerhalb des Landes für Alternativen zu Öl und Gas sucht. Und in der Landwirtschaft habe es in den vergangenen drei Jahren fünf Prozent Wachstum gegeben gegenüber nur bis zu zwei Prozent in den Vorjahren. Das führt er auf jetzt 300 Förderprojekte im Jahr zurück, während es vor 2020 nur etwas 30 bis 40 im Jahr waren.
Gegen die Produktion von Wasserstoff hat Bernardo Castro grundsätzlich nichts einzuwenden: „Das ist ein Schritt hin zu erneuerbaren Energien“, sagt der Direktor von Rede Terra, einer angolanischen nichtstaatlichen Organisation, die sich für Landrechte, Umwelt und Entwicklung einsetzt. „Aber der Wasserstoff sollte nicht an andere Länder verkauft werden.“ Denn nur etwas mehr als zwei Fünftel der angolanischen Bevölkerung haben bisher Zugang zu Strom. Das Kakaoprojekt in Cabinda bezeichnet Castro hingegen als „eine gute Initiative“. Er sagt allerdings auch: „Wir haben große Probleme mit den Banken bei der Finanzierung dieser Art von Projekten“, denn dafür gebe es nur eingeschränkt Kredite.
Bis jetzt noch kein faires Geschäftsmodell für Landwirte
Die Wirtschaft müsse diversifiziert werden – da gibt Castro dem Minister recht. „Es gibt viele Programme, die Armut lindern sollen, sehr viele sogar. Aber wenn man die Bevölkerung nach den realen Auswirkungen fragte, sagen sie oft, dass sich nichts geändert hat.“ Oft komme von Regierungsprogrammen kaum etwas an, auch weil Korruption nach wie vor ein Problem in Angola ist, so Castro.
Der Erfolg des Projekts in Cabinda hängt davon ab, ob sich hier ein faires Geschäftsmodell für die Landwirte finanzieren lässt. „Setzlinge, Setzlinge, Setzlinge“, ärgert sich der Kakaobauer Macosso: „Wir können noch so viele Setzlinge bekommen. Aber wie sollen wir die Böden bearbeiten?“ Er verdiene zu wenig, um die nötigen Arbeiter zu bezahlen. Denn die Kakaobohnen verkauft er unverarbeitet an einen Zwischenhändler, der sie trocknet, fermentiert und dann zum fünffachen Preis an die Schokoladenfabrik liefert, so Macosso. Das sei ein „Monopol“, räumt auch der Projektleiter Fernandes ein. Ein Dorf weiter errichtet sein Team daher Gebäude, in denen die Bohnen am Ort weiterverarbeitet werden können.
Klar ist: Der Wille für lokale Herstellung ist da. Auch der Stolz darauf ist geweckt. Macosso hat die aus seinen Kakaobohnen hergestellte Schokolade bereits probiert: „Sie schmeckt gut. Es ist ja auch unser lokales Produkt. Unmöglich, dass wir es nicht mögen.“
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