Berlin, São Paulo - Es waren grausame Bilder, die um die Welt gingen und das Leid der Yanomami zeigten: Halb verhungerte Kinder, die im brasilianischen Urwald in Hubschrauber getragen wurden, und Hunderte weitere unterernährte Angehörige des Volkes, dem Tod nah. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva reiste in die Amazonas-Region, rief den humanitären Notstand für das Gebiet aus und versprach, sichtlich erschüttert, umgehende Hilfe. Das ist ein Jahr her.
Heute ist die Lage der 38.000 Yanomami in dem größten Indigenen-Reservat des Landes noch immer dramatisch. Die Bilder gleichen sich. Dutzende Male haben Indigenen-Organisationen in den vergangenen Monaten die Regierung um Hilfe gebeten. Doch die gelangte nur langsam und in viel zu geringen Mengen in die Dörfer. Laut der Zeitung „Folha de São Paulo“ wurde vom Militär nur die Hälfte der benötigten Lebensmittelpakete ausgeliefert. Viele Indigene hungern immer noch. Mindestens 308 Yanomami starben im vergangenen Jahr an Unterernährung oder nicht behandelten Krankheiten, die Hälfte von ihnen Kinder unter fünf Jahren.
Vor einem Jahr startete das Militär eine Offensive, um die rund 20.000 illegalen Goldgräber im Yanomami-Gebiet im äußersten Norden Brasiliens zu vertreiben. Sie hatten im Reservat, das so groß ist wie Portugal, ganze Siedlungen mit Landepisten für Flugzeuge errichtet, auf den Flüssen zirkulierten Hunderte Boote. Experten stimmen darin überein, dass sich die Lage nach der Militär-Operation zunächst verbessert hat. Doch in dem Moment, in dem die Armee größtenteils abzog, kamen die Invasoren zurück.
Goldgräber verseuchen das Trinkwasser
Sie begegnen den Indigenen mit Gewalt, verseuchen das Wasser und schleppen Krankheiten ein. So stieg die Zahl der Grippefälle im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2022 um 640 Prozent. Verzweifelte Yanomami veröffentlichten in den sozialen Netzwerken Handy-Videos, die das von den illegalen Minen schlammig-braun gefärbte Wasser der Flüsse zeigen. Die Fischbestände sind vergiftet. Es gibt kaum Trinkwasser.
„Heute ist der Bergbau noch zerstörerischer als in den 1980er- und 1990er-Jahren“, sagt Dario Kopenawa Yanomami von der Indigenen-Organisation Hutukara. Denn dieser werde im Reservat von der organisierten Kriminalität betrieben. Auch als Transitweg für den Drogenhandel wird das Schutzgebiet an der Grenze zu Venezuela genutzt.
Der Anthropologe Marcelo Moura von der Föderalen Universität in Rio de Janeiro sieht vor allem Schwierigkeiten, die weit von den offiziellen Landepisten entfernten Dörfer zu erreichen. „Es gibt immer noch Gesundheitszentren, die nicht funktionieren, weil sie zerstört sind und von den Bergleuten übernommen wurden.“ Gesundheitsteams fürchteten um ihre Sicherheit, denn die Invasoren bedrohten ganze Dörfer. Internationale Organisationen und auch die Yanomami fordern deshalb permanenten Militär-Schutz. „Alle Gewässer, die im Fokus der Bergbauaktivitäten stehen, sollten über Stützpunkte verfügen“, sagt Moura.
Präsenz von Militär soll jetzt dauerhaft werden
Die Regierung musste nun einräumen, dass der illegale Bergbau in dem Schutzgebiet wieder in vollem Gang ist. Mitte Januar berief Präsident Lula einen Runden Tisch mit zahlreichen Ministern ein und verkündete einen Wendepunkt im Kampf gegen die Kriminalität im Reservat. „Wir werden die Frage der indigenen Bevölkerung und der Yanomami als eine staatliche Angelegenheit auffassen“, sagte Lula. Der ganze öffentliche Apparat müsse genutzt werden, „denn es kann nicht sein, dass wir einen Krieg gegen den illegalen Bergbau verlieren“.
Die bislang sporadische Präsenz von Bundespolizei und Militär soll jetzt dauerhaft werden. Für dieses Jahr stellte die Regierung dafür 1,2 Milliarden Reais (rund 220 Millionen Euro) bereit. Auch die Lebensmittellieferungen durch das Militär sollen fortgesetzt werden. Gleichzeitig will die Regierung Maßnahmen fördern, damit die Yanomami sich wieder selbst versorgen können.
Ob diese Maßnahmen ausreichen, darf bezweifelt werden. Experten fordern schon lange, dass die Herkunft von Gold nachvollziehbar werden muss, beispielsweise durch elektronische Rechnungen, die in Datenbanken gespeichert werden. Auf diese Weise wäre der illegale Goldabbau nicht mehr lukrativ.
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