Keine Investitionen auf Kosten von echter Hilfe

Wolfgang Ammer
Entwicklungshilfe
Die im Industrieländerklub OECD versammelten Geberländer haben sich auf neue Regeln verständigt, wie sie die Förderung von Privatinvestitionen als öffentliche Entwicklungshilfe verbuchen dürfen. Das ist keine gute Nachricht, denn es ermöglicht ihnen einmal mehr, bei echten Zuschüssen zu sparen, die viele Entwicklungsländer so dringend brauchen.

Den neuen Regeln, die der OECD-Entwicklungsausschuss (DAC) im vergangenen Oktober verabschiedet hat, waren zwei Jahre intensiver Diskussionen vorausgegangen. Der DAC wacht und führt Buch über die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) seiner Mitglieder. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die neuen Regeln wahrscheinlich die Aussagekraft der ODA-Statistiken untergraben und dazu führen werden, dass immer mehr Hilfsgelder von dringend benötigten öffentlichen Dienstleistungen im globalen Süden, wie Bildung und Gesundheit, zugunsten gewinnorientierter Investitionen abgezogen werden.

Seit 2018 dürfen die Geber Mittel in ihre ODA-Zahlen einbeziehen, die für Direktinvestitionen in private Unternehmen in Entwicklungsländern oder über Entwicklungsfinanzierungsinstitutionen wie die deutsche DEG und Investitionsfonds verwendet werden. Die jetzt verabschiedete Version der Regeln für solche privatwirtschaftlichen Instrumente (PSI) erweitert ihren Geltungsbereich auf neue Instrumente wie Garantien und sogenannte Mezzanine-Finanzierungen; bei letzteren hat der Kreditgeber das Recht, im Falle eines Zahlungsausfalls Schulden in eine Kapitalbeteiligung an einem Unternehmen umzuwandeln. 

Nach den neuen Regeln werden zum Beispiel erhebliche Beträge des Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung Plus (EFSD+) als ODA anrechenbar sein. Der EFSD+ ist Teil des EU-Haushalts 2021–27 und stellt 40 Millionen Euro an Garantien bereit. Diese Finanzmittel werden eingesetzt, um die Risiken privater Investitionen in Entwicklungsländern, etwa als Folge politischer Instabilität oder von Wechselkursschwankungen, zu verringern. Das Geld kann genutzt werden, um private Investoren zu entschädigen, die aufgrund einer fehlgeschlagenen Investition in einem Entwicklungsland Kapital verloren haben.

Schlechte Aussichten für die wirklich Bedürftigen

Wollen Geber privatwirtschaftliche Investitionen als ODA anrechnen, dürfen sie nur das sogenannte Zuschussäquivalent berücksichtigen. Das ist der Wert, mit dem die öffentliche Hand eine Privatinvestition fördert. Nach den neuen Regeln können die Geber dieses Zuschussäquivalent deutlich großzügiger zu ihren Gunsten berechnen als bisher. Damit wächst der Anreiz, die Entwicklungsagenda weiter auf den Privatsektor auszuweiten. Organisationen der Zivilgesellschaft befürchten mit gutem Grund, dass als Folge knappe ODA-Ressourcen nicht mehr die Bedürftigsten erreichen und nicht mehr dorthin fließen, wo sie die größte Wirkung haben. 

Bei Eurodad haben wir schon immer kritisiert, dass die Verwendung von ODA-Mitteln für privatwirtschaftliche Instrumente, etwa über Entwicklungsfinanzinstitutionen, wenig transparent ist. Die Belege dafür, dass diese Instrumente entwicklungspolitisch wirken, sind dürftig. 

Autorin

María José Romero

ist Policy and Advocacy Manager und zuständig für Entwicklungs­finanzierung beim European Network on Debt and Development (Eurodad).

Darüber hinaus entfernen sich die aktualisierten Regeln weiter von der Logik, dass Hilfe nur dann als ODA zählt, wenn sie zu deutlich besseren Bedingungen gewährt wird als kommerzielle Kredite. Dieses Prinzip der Konzessionalität weicht bei privatwirtschaftlichen Instrumenten dem der Additionalität: Maßgeblich ist demnach, dass die bereitgestellte Hilfe zusätzliche private Finanzmittel anzieht; im Jargon wird das Hebelwirkung genannt. Dieser Wechsel von Konzessionalität zu Additionalität geschieht zu einem äußerst schwierigen Zeitpunkt, an dem viele Länder des globalen Südens hoch verschuldet sind und Zugang zu günstiger Entwicklungsfinanzierung brauchen. 

Umso wichtiger ist, dass das Kriterium der Zusätzlichkeit streng kontrolliert wird, um sicherzustellen, dass die reichen Länder die begrenzten ODA-Ressourcen wirklich dort einsetzen, wo sie am dringendsten benötigt werden und die größte Wirkung entfalten können. Die neuen Regeln fordern das zwar, was zu begrüßen ist. Doch eine Eurodad-Analyse vom vergangenen November zeigt, dass das oft nicht der Fall ist. So gab es für knapp ein Drittel der für privatwirtschaftliche Instrumente eingesetzten ODA zwischen 2018 und 2021 keinerlei Informationen über die erzielte Zusätzlichkeit – es fehlte also der Nachweis, dass die private Investition ohne die Verwendung von ODA als Anreiz nicht getätigt worden wäre. Und nur für etwa die Hälfte der Mittel gab es einen Hinweis auf diesen zusätzlichen Nutzen, um den ODA-Einsatz zu rechtfertigen. 

Hinzu kommt, dass es nur für gut die Hälfte der PSI-Investitionen vage Informationen über die erwartete entwicklungspolitische Wirkung gab. In den kommenden Jahren werden die DAC-Mitglieder einige Hausaufgaben machen müssen, um zu zeigen, dass privatwirtschaftliche Instrumente besser sind als andere ODA-Ansätze wie etwa die Budgethilfe. 

Reinvestierte Gewinne als Entwicklunghilfe angerechnet

Besonders enttäuschend ist, dass keine Vorkehrungen getroffen wurden, um eine Aufblähung der ODA durch Gewinne aus PSI-Investitionen zu verhindern. Nach den neuen Regeln können die Gewinne aus ODA-geförderten Privatinvestitionen reinvestiert und wiederum als ODA angerechnet werden, selbst wenn der Geber keine neuen öffentlichen Mittel bereitstellt. In Ländern wie Großbritannien oder Schweden, deren Entwicklungshilfebudgets gesetzlich gedeckelt sind, könnte das dazu führen, dass weniger Hilfe in Form von Zuschüssen zur direkten Bekämpfung von Armut und Ungleichheit geleistet wird, wenn doch reinvestierte Gewinne gleichermaßen als ODA zählen. 

Die im Oktober beschlossene neue Vereinbarung soll das letzte Wort zur ODA-Anrechenbarkeit von privatwirtschaftlichen Instrumenten sein, doch es gibt Gerüchte, dass es weitere Änderungen geben könnte. Die DAC-Mitglieder konnten sich beispielsweise nicht darauf einigen, ob der Kauf von Staatsanleihen von Entwicklungsländern zu Marktkonditionen – was dem jeweiligen Land Staatsschulden beschert – als öffentliche Entwicklungshilfe gemeldet werden sollte. 

Die DAC-Mitglieder sollten ernsthaft erwägen, noch dieses Jahr die gesamte ODA-Modernisierung unabhängig evaluieren zu lassen – also prüfen zu lassen, wie sie sich insbesondere auf die Quantität und die Qualität der Hilfe auswirkt. Anstatt das Potenzial der begrenzten ODA-Ressourcen zur Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung weiter zu schmälern, müssen sie dafür sorgen, dass mehr Mittel zu Vorzugsbedingungen zur Verfügung stehen. Sie müssen ihre Verpflichtung erfüllen, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung als Entwicklungshilfe bereitzustellen, die die Menschen im globalen Süden wirklich erreicht.

Aus dem Englischen von Tillmann Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 1 / 2024: Krieg ohne Ende?
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