Zocken für den Kampf

Activision
Moderne Kriegführung am heimischen Bildschirm: Szene zu „Favela Action“ aus dem Spiel „Call of Duty: Modern Warfare III“, das Ende 2011 auf den Markt gekommen ist.
Shooter-Spiele
Die moderne Computerspielbranche ist ein Kind der militärischen Forschung und Entwicklung. Heute jedoch nutzt das Militär die Erkenntnisse der Gaming-Branche.

Krieg und Spiele teilen eine lange, gemeinsame Geschichte: Vom persischen Schach über die antike „Wehrsportveranstaltung“ der olympischen Spiele und das preußische „Kriegsspiel“ bis hin zu militärischen Computerspielen, sogenannten Shootern wie „Call of Duty“ oder „Battlefield“. Das liegt vor allem daran, dass Krieg und Spiele wichtige Grundmotive wie Konflikt, Konkurrenz und Kooperation teilen. In den 1960er Jahren legte dann das Militär, vor allem in den USA, die technologischen Grundsteine für das, was sich später zur modernen Computerspielbranche entwickelte. Hier liegen die Wurzeln der Verstrickung von Rüstungsindustrie, Verteidigungspolitik und Spielebranche.

Mikroelektronik war in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ein extrem teures und spezialisiertes Geschäft. Computer und ihre Technologie wurden in den USA mehr oder weniger direkt vom Pentagon finanziert. Militärnahe Institute wie das Massachusetts Institute of Technology (MIT) brachten meist als Nebenprodukt militärischer Projekte die ersten digitalen Spiele hervor: Die Ingenieure „spielten“ mit ihren neuen Geräten und Programmen. Viele dieser Proto-Games gelten heute als Urahnen moderner Games, etwa „SpaceWar!“ (1962 am MIT), „Battlezone“ (1980, Atari) oder auch das erste VR-Headset (1968, auch am MIT). Angesichts dieser Wurzeln der Computertechnologie und einer vom Kalten Krieg und später vom Krieg gegen den Terror geprägten Welt, in der viele Computer- und Videospiele entstanden, verwundert es nicht, dass die kriegerisch daherkamen und kommen.

Um das Jahr 2000 wurden dann aber Computer und elektronische Spitzentechnologie so alltäglich, dass es Prozessoren und Grafikkarten, die wenige Jahre zuvor noch Zehntausende Euro gekostet hatten, für wenige hundert Euro zu kaufen gab. Mithilfe dieser neuen Hardware hat sich die Spieleindustrie seit den Nullerjahren sprunghaft entwickelt. In Spielen wurden immer komplexere, fotorealistisch dargestellte 3-D-Welten simuliert, weit besser als in den extrem teuren 3-D-Simulationsanlagen der Militärs. Immer perfekter wurden auch die Schnittstellen, mit denen Menschen Spielmaschinen steuern: Die Controller für Spielkonsolen wie die Xbox oder die Playstation sind ergonomische Präzisionswerkzeuge.

Spielebranche führt bei Technologie für interaktive Elektronik

Spielentwickler lernten darüber hinaus eine Menge psychologischer Tricks, wie man Aufmerksamkeit lenkt, Spannung aufrechterhält und Leistungen belohnt. Dieses Wissen beschert den Firmen hinter Spielen wie „Fortnite“ oder „Apex“ heute Milliardengewinne. Nach Jahrzehnten, in denen das Militär die Entwicklung von Computertechnik vorangetrieben hat, ist heute die Spielebranche zum Technologieführer für interaktive Elektronik geworden. 

Autor

Tobias Nowak

ist Fachjournalist für alles, was mit Games zu tun hat. Seit zehn Jahren kann man seine Beiträge in öffentlich-rechtlichen Sendern hören (WDR, SWR, Deutschlandfunk u.a.): https://soundcloud.com/kollege-gamer/tracks

Vor allem in den USA ist die Verteidigungspolitik seit Jahrzehnten eng verbunden mit der Unterhaltungsindustrie und wirkt etwa bei Filmproduktionen mit. Man spricht vom „Military Entertainment Complex“. Seit rund 20 Jahren engagieren sich Streitkräfte weltweit nun auch zunehmend in der Welt der Spiele, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland und vielen anderen Ländern wie Brasilien und China. Für die Ausbildung in riskanten Jobs gibt es heute eine eigene Industrie, die sich „Training & Simulation“ nennt. Es geht darum, durch geeignete Simulationen gefährliche Einsätze zu üben und teures Gerät zu schützen. Ob Feuerwehr oder Polizei, Katastrophenschutz oder Ölförderung: In diesen Simulationen werden riskante Tätigkeiten an 3-D-Modellen, in der virtuellen Realität, mit Videospielcontrollern digital geübt. Das Militär ist in diesem Bereich weltweit der größte Kunde. Die Hardware und Software, die für die virtuelle militärische Ausbildung benutzt wird, stammt dabei oft aus der Spieleindustrie und wird vom Militär von der Stange gekauft, quasi im Laden. 

Für Aufsehen sorgte in den letzten Jahren die Nachricht, dass zwei der größten sogenannten „game engines“ – digitale Werkzeugkästen, die heutzutage das technische Fundament fast aller Spiele sind –, die „Unreal Engine“ (Epic) und „Unity“ (Unity), auch an das US-Militär lizenziert wurden. Diese Programme erleichtern zum Beispiel die Entwicklung eigener Übungssimulationen deutlich. Ein klassischer Fall von „dual use“, also der militärischen Nutzung von ursprünglich zivilen Produkten.

Shooter-Spiel weltweit für die militärische Ausbildung genutzt 

Technisch verbindet Spiele also vieles mit militärischen Simulationen, inhaltlich jedoch weniger. Trotzdem werden sie häufig gleichgesetzt, was vermutlich an der oberflächlichen Ähnlichkeit liegt: Beide versuchen, 3-D-Umgebungen möglichst realistisch darzustellen. Paradebeispiel hierfür ist der „Virtual Battle Space“ der tschechisch-US-amerikanischen Firma Bohemia Interactive Solutions, der aus dem Shooter-Spiel „Operation Flashpoint“ entstanden ist und weltweit für die militärische Ausbildung genutzt wird. Entsprechend sind Spieldesigner, etwa mit Erfahrungen in den Bereichen 3-D-Design, Animation oder virtuelle Realität, von der Rüstungsindustrie stark umworbene Arbeitskräfte. Angesichts der oft prekären Arbeitsumstände in der Games-Branche wechseln solche Experten immer wieder in die Rüstung; gesprochen wird darüber ungern. 

In der Öffentlichkeitsarbeit der Militärs wiederum sollen Games dazu beitragen, das Image von Streitkräften zu verbessern und Rekruten anzulocken. So präsentiert sich die Bundeswehr seit vielen Jahren auch auf der Computerspielmesse Gamescom und fällt durch Werbekampagnen auf, die sich einer klaren Games-Ästhetik und -Sprache bedienen. Auf Plakaten konnte man schon Sätze wie „Mehr Open World geht nicht!“ oder „Multiplayer at its best“ lesen, auf einem Werbeheftchen der Bundeswehr posierten Hitech-Soldaten im Flecktarn, umrahmt von digitalem Laub, im Hintergrund nebelumwabernder Dschungel und ein paar auflockernde geometrische Elemente. So könnte auch das Cover eines Spiels aus der Reihe „Ghost Recon“  aussehen. 

Kritik trifft vor allem das US-amerikanische Militär immer wieder, wenn es eigene Spiele auf den Markt bringt, die den coolen Alltag moderner Kriegsführung zeigen sollen, ob als Infanteristen in „America’s Army“ oder als Drohnenpilot im aktuellen Spiel „Airman Challenge“. Neben solchen Eigenproduktionen unterstützt das Pentagon auch Spielentwicklungen Dritter, meistens im erfolgreichen Genre der „military shooter“, also der sogenannten Ballerspiele. Diese Unterstützung besteht in der Regel aus militärischer Expertise, die in Inhalt und Struktur der Spiele einfließt.

Die Verquickung von Spiel und Militär

Bemerkenswert war in den letzten Jahren zudem das Engagement des US-Militärs im boomenden Markt des elektronischen Sports (E-Sport), also des professionellen Wettkampfs zwischen Gamern, mit siebenstelligen Preisgeldern und einem Millionenpublikum. Innerhalb der US-amerikanischen Streitkräfte gibt es offiziell abgestellte E-Sport-Teams, die zum einen die private Spielleidenschaft der Soldaten aufgreifen, zum anderen nach außen die Rekrutierung ankurbeln, indem sie signalisieren, dass im Militär ganz normale Menschen dienen. Zudem bringen E-Sportler viele Fähigkeiten mit, die beim Militär hochgeschätzt sind: schnelle Reaktion, klare Kommunikation, Problemlösungsfähigkeit, taktische Flexibilität. Der Versuch der US-Armee, auf der hauptsächlich Games gewidmeten Streaming-Plattform Twitch über einen eigenen Kanal Gamer zu rekrutieren, endete allerdings in einem PR-Fiasko: Gamer und Presse empfanden die Verquickung von Spiel und Militär als unsittlich. Die Kommentarbereiche der Twitch-Kanäle des Militärs wurden mit Kritik geflutet

Inwieweit Militär und Spieleindustrie über die Bereiche Forschung und Entwicklung miteinander verbunden sind, ist bisher am wenigsten ausgeleuchtet. Klar ist: Die massenhaften Daten, die Spieler und Spielerinnen am laufenden Band produzieren, sind Gold wert. Nicht nur verraten sie den Spieldesignern, wo ein Spiel gut funktioniert und wo nicht. Sie verraten auch viel über die menschliche Psyche, individuell, aber vor allem kollektiv. Die seitenlangen Endnutzerverträge, die Gamer abzeichnen müssen, bevor sie ein Spiel spielen können, haben genug Klauseln, mit denen die Weitergabe der Daten auch an das Militär abgedeckt wäre. Es ist keine gewagte Spekulation, davon auszugehen, dass Militärs Spielerdaten von der Games-Branche kaufen. 

Die wechselseitige technische Verbindung zwischen Spieleentwicklern und Militärs hat heute einen Höhepunkt erreicht. Militärisches Denken ist in unseren Unterhaltungsmedien allgegenwärtig, Spiele sehen aus wie echte Kriege, echte Kriege werden zunehmend wie Spiele am Bildschirm ausgetragen, und die Werkzeuge des Krieges gleichen immer häufiger unseren Spielzeugen.

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erschienen in Ausgabe 1 / 2024: Krieg ohne Ende?
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