Es ist Zeit, dass die Vereinten Nationen (UN) und die Staatengemeinschaft die Art und Weise ändern, wie sie in Myanmar humanitäre Hilfe leisten. Laut manchen lokalen Organisationen kommt zu wenig davon bei den Bedürftigsten an und zu viel landet in den Taschen der Militärjunta und ihrer Kumpane. Zudem unterschätzen die UN lokalen Hilfsorganisationen zufolge erheblich die Zahl der Menschen, die durch den vom Putsch ausgelösten Bürgerkrieg im Land vertrieben worden sind (laut UN sind es 1,7 Millionen Menschen) – möglicherweise um bis zu 50 Prozent. Mit ein paar Änderungen könnten und sollten die UN und die internationale Gemeinschaft sicherstellen, dass die Hilfe für die Binnenvertriebenen in Myanmar wirksamer und effizienter wird.
Die erste Änderung sollte sein, nicht länger mit dem Staatsverwaltungsrat (SAC), dem birmanischen Militär und den mit ihm verbundenen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten. Nach dem Staatsstreich vom Februar 2021 hat sich die Staatengemeinschaft geweigert, den daraus hervorgegangenen SAC als rechtmäßige Regierung Myanmars anzuerkennen, und begründet das unter anderem mit Verstößen gegen die Verfassung Myanmars von 2008. Doch wenn es um humanitäre Hilfe geht, behandeln die UN und führende internationale Organisationen den SAC als legitime Regierung, unterzeichnen Absichtserklärungen mit ihm und halten sich an seine Weisungen. Die Neutralitätsgrundsätze der UN für humanitäre Hilfe besagen, dass Hilfeleistende „nicht Partei in Feindseligkeiten ergreifen oder sich in politische, rassische, religiöse oder ideologische Kontroversen einmischen“ sollen. Es verstößt gegen diese Neutralitätsgrundsätze, den SAC zu behandeln, als wäre er die rechtmäßige Regierung Myanmars.
Darüber hinaus schränkt es die Hilfeleistungen stark ein, dass Vorschriften und Restriktionen des SAC eingehalten werden. Das verstößt gegen den UN-Grundsatz der Unparteilichkeit, der besagt, dass Hilfe an die Bedürftigsten gehen soll „ungeachtet der Rasse, der Nationalität, des Geschlechts, des religiösen Glaubens, der politischen Meinung oder der Klasse“.
Die Hilfsprogramme erreichen viele Binnenvertriebene nicht
Denn fast drei Jahre nach dem Staatsstreich beherrscht der SAC nur einen Teil des Landes und auch das nur eingeschränkt. Laut den wichtigsten ethnischen Rebellenorganisationen sowie den Volksverteidigungskräften (PDFs), die sich nach dem Putsch gebildet haben, werden große Teile der Bundesstaaten Chin, Kachin, Karen, Karenni, Mon und Rakhine sowie einige weitere Landstriche heute von Rebellen kontrolliert. Die Drei-Brüder-Allianz – ein Bündnis dreier Rebellengruppen – sowie die Kachin Independence Army und die Karen National Union haben mit einer Offensive jüngst sogar einen Teil der Region Mandalay im Zentrum unter ihre Kontrolle gebracht.
Damit befindet sich die überwiegende Mehrheit der Binnenvertriebenen in Myanmar nicht in Gebieten unter Kontrolle des SAC. Hilfsprogramme, die gemäß den Einschränkungen des SAC arbeiten, können diese Menschen nicht erreichen. Darüber hinaus kommt laut Angaben aus Myanmar unter dem derzeitigen System ein unverhältnismäßig hoher Anteil der Hilfe Binnenvertriebenen aus der dominierenden ethnischen Gruppe der Bamar zugute, während die noch bedürftigeren Vertriebenen aus anderen Ethnien in abgelegeneren Gebieten nur unzureichend unterstützt würden.
Ein großer Anteil der Hilfsgelder fließt in die Taschen der Militärjunta
Glaubt man einheimischen Hilfsorganisationen, dann untergräbt die Zusammenarbeit mit dem SAC auch die Wirksamkeit der Hilfe: Ein übermäßiger Anteil der Gelder fließt in Verwaltungskosten sowie überteuerte Waren und Dienstleistungen, nur ein relativ kleiner Teil kommt als direkte Hilfe bei den Binnenvertriebenen an. Darüber hinaus werden manche Waren und Dienstleistungen bei SAC-nahen Unternehmen gekauft, was der Militärjunta zusätzliche Einnahmen verschafft.
Die zweite nötige Änderung sollte sein, dass die UN humanitäre Hilfe vom Ausland aus leisten. Kleine lokale Hilfsorganisationen leisten bereits Hilfe für Binnenvertriebene von den Nachbarländern Indien und Thailand aus, finanziert größtenteils mit Spenden aus der myanmarischen Diaspora. Sie haben ein Netzwerk aufgebaut, das nicht nur in Grenzregionen Myanmars Nothilfe leisten kann, sondern bis in die Zentrumsregionen Mandalay, Magwai und Bago reicht. Viele dieser lokalen Organisationen kommen aus den Minderheiten der Chin, Karen und Karenni; das erleichtert es, in den Gebieten zu arbeiten, in denen sich die meisten Binnenvertriebenen aufhalten. Zudem arbeiten sie mit den wichtigsten ethnischen Widerstandsorganisationen und den Volksverteidigungskräften zusammen, die bereit sind, für die Sicherheit der Hilfslieferungen zu sorgen.
Hilfsoperationen aus Indien und Thailand wären sinnvoll
Grenzüberschreitende Hilfsoperationen wären nicht neu. Seit den 1980er Jahren hat das von Thailand aus operierende The Border Consortium, dem neun internationale nichtstaatliche Hilfsorganisationen angehören, [6] Nothilfe für Flüchtlinge aus Myanmar in Thailand und für Binnenvertriebene in Myanmar geleistet. Im Laufe der Zeit hat es sich zum Verbindungsglied für die Koordinierung der internationalen Hilfe an Flüchtlinge und Binnenvertriebene im Grenzgebiet der beiden Länder entwickelt. Die UN und die wichtigsten Geber könnten sich erneut an das Konsortium wenden oder eine neue Koordinierungsstelle einrichten, um Binnenvertriebenen im Südosten Myanmars wirksamer und effizienter zu helfen – und eine ähnliche Stelle im indischen Bundesstaat Mizoram für Nothilfe an Binnenvertriebene im Nordwesten Myanmars schaffen.
Natürlich wäre ein solches Vorgehen von der Kooperation der Regierungen in Indien und Thailand abhängig, und das könnte sich als Hindernis erweisen. Seit dem Putsch in Myanmar haben sowohl der indische Premierminister Narendra Modi als auch das thailändische Militär recht freundschaftliche Beziehungen zum SAC aufgebaut. Es wird schwierig sein, sie zu überzeugen, multilaterale Einrichtungen zur Koordinierung der humanitären Hilfe an ihren Grenzen zu Myanmar zuzulassen.
Ein weiteres großes Problem wird sein, die UN und die Staatengemeinschaft dazu zu bringen, dass sie ihr Vorgehen ändern und direkt mit kleineren lokalen [sp7] Hilfsorganisationen zusammenarbeiten. Aus Sorge, dass die Probleme mit der Rechenschaftslegung haben, verlassen sich die führenden Geber lieber auf große internationale Organisationen, die umfangreiche Erfahrungen mit den bürokratischen Verfahren der Geber und dem von ihnen verlangten Papierkram haben. Wenn aber je eine Koordinierungsstelle in Indien und in Thailand eingerichtet wird, können deren Mitarbeitende die lokalen Organisationen in der Einhaltung der Geberverfahren schulen und ihnen helfen, deren Anforderungen zu erfüllen. So würden Hilfsleistungen wirksamer und effektiver – und sie würden in Einklang gebracht mit den UN-Grundsätzen der humanitären Hilfe.
Aus dem Englischen von Bernd Ludermann.
Michael F. Martin ist beigeordneter Experte für Südostasien am Center for Strategic and International Studies in Washington, D.C.. Bis 2021 hat er für den wissenschaftlichen Dienst des US-Kongresses zu Myanmar, Hongkong und Vietnam gearbeitet.
Das Original ist englisch auf der Website des Center for Strategic and International Studies (CSIS) erschienen. Die Forschung des CSIS ist unparteiisch, alle Positionen und Schlussfolgerungen sind ausschließlich die des Autors. © CSIS 2023; alle Rechte vorbehalten.
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