Ein Viertel der Weltbevölkerung sei direkt oder indirekt von einem gewaltsamen Konflikt betroffen, betonte Hiba Qasas, Leiterin der Stiftung Principles for Peace (P4P). Internationale Organisationen seien überfordert und gelähmt. „Uns gelingen Waffenruhen, aber wir scheitern darin, Konflikte vorauszusehen und zu vermeiden.“ Auch Ginger Schmitz, die Geschäftsführerin der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, stellte angesichts der düsteren Weltlage die Frage, ob die zivile Krisenbewältigung selbst in der Krise stecke?
Seit 25 Jahre unterstütze die Plattform gewaltmindernde Aktionen und friedensfördernde Transformationen und bringe Menschen und Organisationen zusammen, erinnerte Schmitz. Zugleich agiert sie als Lobby in die Regierungsarbeit hinein. Ihre Mitglieder decken ein breites Spektrum aktiver Friedensarbeit ab und kommen aus der Konfliktbearbeitung im In- und Ausland, der Menschenrechts- und Entwicklungsarbeit, der Mediation sowie der Friedensbewegung und -forschung.
Der Jahrestag sollte mehr Ausblick als Rückblick sein. Tobias Lindner, grüner Staatsminister im Auswärtigen Amt, unterstrich, dass zivile Konfliktbewältigung heute weit mehr als schmückendes Beiwerk sei. Vielmehr sei die Frage nach zivil-mediativen Bausteinen ein ständiger Begleiter in der internationalen Krisendiplomatie. Auch Tobias Bunde, Forschungsdirektor der Münchner Sicherheitskonferenz, sieht die Bedeutung von zivilem Krisenmanagement parteiübergreifend fest etabliert. Die Dichotomie zwischen harter militärischer und weicher ziviler Sicherheit sei überwunden, ähnlich dem Gegensatz zwischen menschlicher und nationaler Sicherheit.
Über verhinderte Gewalt wird nicht berichtet
Doch Friedensarbeit hat einen schweren öffentlichen Stand, denn über Gewalt, die verhindert wurde, wird nicht berichtet. Sie ist wenig sichtbar und trotz hoher Professionalisierung auch in der Wirkung schwer erfassbar. So finden derzeit auch nach den Putschen in Westafrika EU-Maßnahmen zur zivilen Krisenbearbeitung statt, ohne dass die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt. Und im Krieg in der Ostukraine bemühen sich westliche Projektträger mit lokalen Partnern um Strukturen, die Dialoge erhalten, wo offizielle kooperative Sicherheitspolitik unmöglich ist. Die Schauplätze lassen sich erweitern.
Einen internationalen Referenzrahmen für Friedensarbeit schmiedet die vom AA geförderte P4P-Stiftung, die sich als Bindeglied zwischen Diplomatie, Politik, Sicherheit und Gesellschaft versteht. Frieden breche zusammen, wo es Defizite an Inklusion und Pluralismus gebe, sagte Hiba Qasas. Deshalb müsse der politische Weg zu Frieden sich radikal auf die Ebenen Gerechtigkeit, Legitimität und rechenschaftspflichtige Regierungen konzentrieren.
In die Zukunft schauend ging von der Tagung unter anderem der Wunsch aus, die Vergabe von Fördermitteln nicht zu politisieren. Für weniger Bürokratie und mehr Flexibilität in der Geldvergabe im Rahmen eines geänderten Zuwendungsrechts plädierte Martina Fischer vom Hilfswerk Brot für die Welt. Auch könnten Konfliktprävention und Entwicklungszusammenarbeit (EZ) stärker miteinander kombiniert werden, etwa in Landwirtschafts- oder Jugend-Projekten, die auch häusliche und Bandengewalt adressierten.
Zu wenig Geld für lokale Friedensarbeit
Generell müsse in der Konfliktbearbeitung die lokale Ebene gestärkt werden. Lokal getragene Friedensförderung profitiert von besserem Kontextwissen und kann daher am schnellsten zu Ergebnissen führen. Das sei von der Bundesregierung und von internationalen Gremien anerkannt, hieß es bei der Tagung. Doch wurde zugleich bedauert, dass „nur ein Bruchteil von einem Bruchteil der EZ-Mittel“ dahin gelenkt werde. Dabei benötige diese lokale Arbeit mehr Zeit und Ressourcen.
In Zeiten geopolitischer Polarisierung, sinkendem Vertrauen zwischen Süd und Nord und Ansprüchen zur Dekolonisierung sieht sich zivile Friedensarbeit zudem der Frage gegenüber: Wer will mit uns noch zusammenarbeiten? So warben Teilnehmer dafür, Konzepte des Nordens, Programmentwürfe und Arbeitsstrukturen stärker zu öffnen, um Verständigungsprobleme zu überwinden – mehr als Lernende aufzutreten statt als Belehrende. Derart selbstkritische Fragen – etwa, welche lokalen Kräfte stärker einzubinden seien –, sollen in die Überarbeitung der Leitlinien für Krisenprävention und Konfliktbewältigung 2024 einfließen.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze betonte in einem Grußwort, sie wünsche sich mehr nachhaltige Friedensarbeit, die in der Welt auf „mehr Dialog, Verständigung und Versöhnung“ hinarbeite. Sowohl ihrem Budget für Krisenbewältigung und Wiederaufbau und für den Zivilen Friedensdienst als auch dem Etat des AA für humanitäre Hilfe und Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung stehen 2024 aber schmerzhafte Einschnitte bevor.
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