Die Debatte um die Resolution der UN-Generalversammlung von Ende Oktober anlässlich der eskalierenden Gewalt in Israel und Palästina zeigt: Um die internationale Zusammenarbeit in Sachen Krieg und Frieden ist es schlecht bestellt. Die Bereitschaft zum Kompromiss auf diplomatischer Bühne schwindet. Aber ohne diese Bereitschaft ist multilaterale Politik nicht möglich.
Außenministerin Annalena Baerbock musste viel Kritik einstecken, nachdem sie sich Ende Oktober bei der Abstimmung über die umstrittene Resolution im Namen Deutschlands enthalten hatte. Dem Votum vorausgegangen war das übliche Feilschen um Worte: Jordanien hatte einen Resolutionsentwurf eingebracht, der den Angriff Hamas nicht einmal erwähnte. Kanada reagierte mit einem Gegenentwurf, in dem der „Terrorangriff der Hamas“ ausdrücklich verurteilt wurde, bekam aber nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit.
Nach erneuten Verhandlungen wurde der jordanische Entwurf überarbeitet und dann angenommen. Er verurteilt jetzt sämtliche „gegen palästinensische und israelische Zivilpersonen“ gerichtete Gewalt „einschließlich aller terroristischen Akte und unterschiedsloser Angriffe“. Ansonsten befasst sich die Resolution vor allem mit der Versorgung und dem Schutz der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen. Aus deutscher Sicht ist der Text nicht das Wunschergebnis, deshalb hat Baerbock sich enthalten und nicht zugestimmt. Aber die Außenministerin nimmt für sich in Anspruch, gemeinsam mit anderen Staaten eine schlimmere, israelfeindliche Resolution verhindert zu haben. Zu Recht: So funktioniert Multilateralismus.
Der einzige Ort, an dem sich die Staatenwelt trifft
Ohne Kompromisse dieser Art wären die Vereinten Nationen überhaupt nicht mehr handlungsfähig. Sie werden aber gebraucht, denn sie sind der einzige Ort, an dem sich die ganze Staatenwelt trifft, um Probleme zu besprechen und zu bearbeiten. Reaktionen wie die der tschechischen Verteidigungsministerin dürfen deshalb keine Schule machen: Die Ministerin hatte nach der Abstimmung in der Generalversammlung gefordert, ihr Land solle aus den Vereinten Nationen austreten – einer Organisation, die ihrer Ansicht nach „Terroristen feiert“. Das ist kindisch. Verantwortungsbewusste Regierungen sollten stattdessen Initiativen und Vorschläge unterstützen, die die Weltorganisationen stärken könnten, etwa die „Neue Agenda für den Frieden“ von UN-Generalsekretär António Guterres, die nächstes Jahr beschlossen werden soll.
Doch Multilateralismus muss weiter gedacht werden als bis zu den Vereinten Nationen – heute mehr denn je. Denn zunehmende geopolitische Spannungen erschweren Beschlüsse auf Weltebene, zugleich verlangen Probleme wie der Klimawandel zügige und pragmatische Lösungen. Erfolgversprechender als die Klimaschutzpolitik im Rahmen der UN wäre möglicherweise ein gemeinsames Vorgehen in einer Art Klima-Club, in dem sich die größten Treibhausgasemittenten auf einen für alle geltenden CO2-Preis im Handel untereinander einigen. Grundsätzlich gilt zudem: Ein Ziel von Reformen multilateraler Zusammenarbeit sollte immer sein, der Stimme von Ländern im globalen Süden mehr Gehör zu verschaffen.
Unlängst hat sich auch Papst Franziskus originell zum Zustand multilateraler Politik geäußert. In seiner Anfang Oktober vorgelegten Enzyklika „Laudato Deum“ äußert er die Hoffnung, der von der Globalisierung begünstigte Austausch zwischen Gesellschaften könnte zu einem „Multilateralismus ,von unten‘ führen, der nicht einfach von den Machteliten beschlossen wurde“. Franziskus hofft also auf die Kraft zivilgesellschaftlicher Kooperation weltweit, und tatsächlich ist diese ebenso unverzichtbar wie der Multilateralismus „von oben“ in Gestalt der Vereinten Nationen.
Der Populismus untergräbt das Vertrauen in multilaterale Politik
Der Multilateralismus „von unten“ wird gebraucht, um dem auch in stabilen Demokratien um sich greifenden Populismus etwas entgegenzusetzen. Denn der untergräbt mit seinem Versprechen einfacher Lösungen für schwierige Probleme das Vertrauen in multilaterale Politik. In Deutschland etwa sägt eine große Koalition von den Grünen bis zur AfD seit Monaten an den Grundpfeilern einer multilateralen Migrations- und Flüchtlingspolitik wie der Genfer Flüchtlingskonvention oder dem Globalen Migrationspakt. Dem müssen „engagierte Personen aus den unterschiedlichsten Ländern“, wie Franziskus sie nennt, gemeinsam etwas entgegensetzen.
Das gilt auch für den Nahen Osten. Hoffnung machen dort angesichts der Gewalt und der verhärteten Fronten auf internationaler Bühne derzeit nur die mutigen Israelis und Palästinenser, die trotz allem weiter in gemeinsamen Initiativen für Frieden, Verständigung und Versöhnung arbeiten. Sie müssen gerade jetzt unterstützt werden.
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