Am Rande der Stadt Kajo Keji, ganz im Süden des Landes, erstrecken sich weite Felder und Plantagen bis zum Horizont. Hier liegt das Büro der Titi Foundation. Seit 2015 unterstützt sie Frauen dabei, landwirtschaftliche Kooperativen zu errichten. Als erste Organisation in der Region führte sie Entwicklungsprojekte durch, als 2016 der Bürgerkrieg wieder ausbrach. Nach wie vor gehört die Titi Foundation zu den wenigen Organisationen im Land, die sich nicht auf Nothilfe konzentrieren. Stattdessen unterstützt sie Bäuerinnen und Bauern langfristig, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken.
Entwicklungsprojekte im Südsudan umzusetzen, ist ein schwieriges Unterfangen. Fast die gesamte internationale Unterstützung läuft über die Vereinten Nationen (UN) und erreicht nur in sehr geringem Maße die Initiativen und Organisationen auf lokaler Ebene. „Das ist ein Problem, denn oft kennen gerade diejenigen, die an der Basis arbeiten, die Gegebenheiten vor Ort am besten“, sagt Gloria Soma, die Gründerin der Titi Foundation. Die Organisation hat ihren Hauptsitz in der Hauptstadt Dschuba, unterhält aber im ganzen Land Programme zu Ernährungssicherheit, Friedensförderung und geschlechtsspezifischer Gewalt.
Humanitäre Hilfe ist notwendig, doch kurzfristige Lösungen wie Nahrungsmittelhilfe über viele Jahre hinweg haben zu Abhängigkeit geführt, und es besteht ein großer Bedarf an langfristiger Entwicklung. Doch die ist heute kaum vorhanden. „Wir brauchen Projekte, die den Menschen die Macht geben, nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Das Problem ist, dass die Geber keine lokalen und nationalen Akteure finanzieren, sondern nur internationale NGOs und UN-Organisationen. Das ist ein Hindernis und macht langfristige Arbeit unmöglich“, sagt Soma.
Humanitäre Hilfe wurde um 38 Prozent gekürzt
Der Südsudan erlebt derzeit die schlimmste Ernährungskrise seiner Geschichte. Fast acht Millionen Menschen können ihren Grundbedarf an Nahrungsmitteln nicht decken. Gleichzeitig wurde die humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen für das Land seit 2020 um 38 Prozent gekürzt, wie aus einem Bericht der Catholic Agency for Overseas Development (CAFOD) hervorgeht. Der Bedarf ist also gestiegen, aber die Mittel wurden zurückgefahren. Und es zeichnet sich ab, dass die Geber müde werden. Nur 0,4 Prozent der Hilfsgelder für die Nahrungsmittelhilfe im Südsudan fließen direkt an lokale und nationale nichtstaatliche Organisationen, obwohl diese laut CAFOD am wirksamsten bei der Bekämpfung des Hungers sind.
Das heutige Hilfesystem ist nicht nachhaltig, denn es löst nur das Problem von heute, nicht aber das von morgen. Seit Jahrzehnten werden Milliarden US-Dollar im Namen der Nothilfe in den Südsudan gepumpt. Aber es gibt keinen Plan, das Land so aufzubauen, dass es eine Zukunft hat. „Was passiert, wenn der Krieg vorbei ist und man sich nicht auf die Widerstands- und Zukunftsfähigkeit konzentriert hat, zum Beispiel indem man junge Menschen dazu befähigt, ihren Lebensunterhalt zu verdienen?“, fragt Anna Tazita, Geschäftsführerin der Organisation Women for Change in Südsudan.
Einheimische Akteure haben kein Mitspracherecht
Wer vor Ort tätig ist, hat es im Südsudan schwer, denn es gibt kaum Mittel zur Unterstützung der bedürftigen Gemeinschaften. „Als einheimische Akteure haben wir kein Mitspracherecht bei der Entscheidungsfindung und niemand wird uns in wichtigen Foren zuhören. Die größte Hürde ist die, dass die Geber nationalen und lokalen Akteuren nicht ihr Vertrauen schenken, wenn es um Leistungsfähigkeit, Kompetenz und Wissen geht. Aber man kann nicht in den USA sitzen und ein Projekt konzipieren, um den Menschen zu helfen, wenn man die Bedingungen und Bedürfnisse vor Ort nicht kennt“, sagt Tazita. Im Mittelpunkt des Weltgipfels für humanitäre Hilfe im Jahr 2016 stand die Lokalisierung. Im sogenannten Grand Bargain, der dort abgeschlossenen Vereinbarung, verpflichteten sich die größten humanitären Hilfsorganisationen, nationale und lokale Partner in Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Sieben Jahre später jedoch ist kaum ein Wandel in diese Richtung zu erkennen, wie zahlreiche Aussagen belegen, darunter auch eine Reihe von Berichten auf dem Nachrichtenportal devex.com. Bis heute zweifeln internationale Organisationen und Geber daran, dass örtliche Akteure über ausreichende Kenntnisse und Effizienz verfügen. Deshalb bekommen lokale und nationale Organisationen nur für Projekte mit kurzer Laufzeit Unterstützung. Das mache es schwierig, dauerhafte Veränderungen herbeizuführen, heißt es in dem CAFOD-Report.
Die Unabhängigkeit markierte den Beginn des Bürgerkrieges
Es ist nun zwölf Jahre her, dass das jüngste Land der Welt unabhängig wurde. Die Unabhängigkeit markierte den Beginn eines siebenjährigen Bürgerkriegs, der über zwei Millionen Menschen vertrieben hat. Im Jahr 2018 wurde ein Friedensabkommen geschlossen, aber es ist nur ein Frieden auf dem Papier. Der Südsudan hat heute einen zersplitterten Staatsapparat und ist von Korruption durchdrungen. In vielen Teilen des Landes kommt es zu Zusammenstößen und blutigen Konflikten, und die Zahl der bewaffneten Gruppen, die im Südsudan operieren, hat zugenommen. Der INFORM Risk Index 2023 stuft das Land als das durch Umweltkatastrophen wie extreme Dürren und Überschwemmungen zweitgefährdetste der Welt ein. Heute sind fast neun Millionen Menschen und damit zwei Drittel der Bevölkerung dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Die Lage hat sich weiter verschärft, seit im April 2023 der Krieg zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF), einer Miliz im benachbarten Sudan, begonnen hat. Mindestens 100.000 Menschen sind seitdem von dort in den Südsudan geflohen. Das International Rescue Committee berichtet, dass der Südsudan weiterhin Unterstützung und finanzielle Mittel benötigt, um die anhaltende humanitäre Krise zu bewältigen, aber auch um die Menschen, die vor dem Krieg im Sudan fliehen, mit dem Notwendigsten zu versorgen.
Lokale Organisationen wissen, wo Hilfe am nötigsten ist
Das enorme Ausmaß des Hilfebedarfs im Südsudan ist die größte Herausforderung. „Wir sind nach wie vor auf die großzügige Unterstützung der Geber angewiesen und müssen sicherstellen, dass diese Unterstützung in einem schwierigen globalen Umfeld aufrechterhalten wird. Denn auch in anderen Teilen der Welt nimmt der Bedarf an humanitärer Hilfe stark zu“, sagt Gavin Kelleher, der als humanitärer Analyst für den Norwegischen Flüchtlingsrat im Südsudan tätig ist.
„Lokale Organisationen sind in Notsituationen oft als erste an Ort und Stelle und erkennen, was an humanitärer Hilfe gebraucht wird. Wir erfahren viel von ihnen, und sie entwickeln auch technische Kapazitäten – etwa bei der Berichterstattung und der Überwachung der Ergebnisse. Das kann ihnen Zugang zu mehr internationalen Finanzierungsmöglichkeiten verschaffen“, sagt Kelleher. Auch wenn sich die internationalen Organisationen aus Hochrisikogebieten zurückziehen, kämpfen die einheimischen Akteure weiter dafür, die Lage zu verändern. „Eine Investition in lokale Institutionen und die Zivilgesellschaft wird dazu beitragen, dringend benötigte Widerstandsfähigkeit aufzubauen, um den örtlichen Gemeinschaften bei der Bewältigung von Notfallsituationen zu helfen. So wird der Bedarf an humanitärer Hilfe langfristig verringert“, sagt Kennedy Mabonga, der Landesdirektor des Norwegischen Flüchtlingsrats im Südsudan. Die Investition in die langfristige Entwicklung ist laut Kelleher von zentraler Bedeutung, steht aber manchmal im Schatten all der Katastropheneinsätze, die die kritische Situation im Lande verlangt.
Südsudan ist eines der korruptesten Länder der Welt
Gleichzeitig steht das jüngste Land der Welt an der Spitze eines globalen Korruptionsindexes. Seinen Eliten wird vorgeworfen, ein kleptokratisches System geschaffen zu haben, welches alle Bereiche der südsudanesischen Wirtschaft kontrolliert. Laut einer Statistik von Transparency International aus dem vergangenen Jahr liegt das Land auf Platz 178 der 180 korruptesten Länder der Welt. Der südsudanesische Staat wurde von internationalen Gebern, darunter Norwegen, dafür kritisiert, dass er seine eigene Bevölkerung nicht unterstützt.
Mitten am Tag ist es ruhig in Kajo Keji. Die Menschen haben sich in einer Bar in der Mitte der Hauptstraße versammelt. Dort treffen wir den Politiker Santino Golian, den Vorsitzenden der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM), der Regierungspartei von Präsident Salva Kiir. „Ich habe noch nie erlebt, dass die Behörden irgendwelche Entwicklungsprojekte unterstützt haben. Die Staatseinnahmen fließen vor allem in die Fortführung des Krieges“, sagt Golian. Er ist einer von vielen Parteimitgliedern der Regierungspartei, die die Behörden kritisieren, aber einer der wenigen, die sich trauen, darüber zu sprechen. Seiner Ansicht zufolge sind es Konflikte und Viehraub, die die Gesellschaft am meisten bedrohen.
Als wir Golian treffen, hat es in der Region gerade blutige Konflikte gegeben, die auf Spannungen zwischen Viehzüchtern und Bauern zurückgehen. Auf die Frage, wie die internationale Gemeinschaft dem Südsudan am besten helfen kann, schweigt er einen Moment lang, bevor er seine Meinung klar zum Ausdruck bringt. „Die Behörden sollten keine Gelder erhalten, da diese sofort verschwinden. An der Basis gibt es niemanden, der Veränderungen herbeiführen kann, weil die Mittel nicht über Dschuba hinausreichen. Wir – in der Partei vor Ort – arbeiten mit gebundenen Händen. Wir können nichts für die Menschen tun, wenn kein Geld da ist“, sagt Golian.
Zurück bei der Titi Foundation in Kajo Keji: Ein Dutzend Frauen haben sich auf die Felder begeben, um dort zu arbeiten. Durch die mechanisierte Landwirtschaft, die enge Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung und die Investition in langfristige Hilfe hat die Organisation es vielen Menschen ermöglicht, von ihrem Land zu leben. Seit dem Start im Jahr 2015 kämpft die Organisation darum, Mittel für die Projekte zu erhalten. Heute haben sie zwar Unterstützung von einigen internationalen Organisationen, aber nur für Projekte mit kürzerer Laufzeit. „Es ist immer noch schwierig für uns, Zugang zu Geldgebern für langfristige Entwicklungsprogramme zu bekommen“, klagt Gloria Soma, Gründerin der Titi Foundation. „Die Art und Weise, wie internationale Geber den Südsudan betrachten, muss sich ändern.“
Aus dem Englischen von Anja Ruf.
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