„Das multilaterale System mit seiner hohen politischen Legitimität, Finanzkraft und Reichweite kann die Umsetzungsmöglichkeiten unserer entwicklungspolitischen Prioritäten vervielfachen“, heißt es in dem Positionspapier. Auf einer Pressekonferenz betonte Entwicklungsministerin Svenja Schulze außerdem: „Deutschland ist zweitgrößter Geber der Vereinten Nationen, und ich will diese Rolle auch strategisch nutzen.“ Multipolarität ohne Multilateralismus führe in eine Welt der Konflikte.
Wie das Entwicklungsministerium (BMZ) sein multilaterales Engagement im Detail ändern will, lässt das Papier noch weitgehend offen. Das BMZ sehe sich in der sich geopolitisch verändernden Welt in der Verantwortung, Brückenbauerin für interessen- und regelbasierte Bündnisse zu sein, schreibt Schulze in der Einführung. Ziel sei, strategische Partnerschaften zum gegenseitigen Nutzen aufzubauen. Die Strategie benenne die Grundpfeiler einer partnerschaftlichen multilateralen Entwicklungspolitik, welche die internationale Ordnung auf Basis des Völkerrechts stärke und Strukturen innerhalb und zwischen Gesellschaften so verändere, dass sie zu echter weltweiter sozialer Gerechtigkeit beitragen.
Das UN-System wird in dem Papier als ein Grundpfeiler neben anderen bewertet. UN-Organisationen wie das Entwicklungsprogramm UNDP, das Kinderhilfswerk UNICEF, die Frauenrechtsorganisation UN Women, der Bevölkerungsfonds UNFPA und das Welternährungsprogramm WFP seien „wichtige Werte- und Umsetzungspartner“. Wie sie Deutschland „aktiv für strukturverändernde Reformen, Transparenz und Rechenschaftslegung von multilateralen Organisationen“ einsetzen will, wie es in dem Papier heißt, ist allerdings bislang nur am deutschen Einsatz für eine Reform der Weltbank zur „Transformationsbank“ festzumachen.
Strukturelle Probleme im UN-System
Die Leiterin des entwicklungspolitischen Forschungsinstituts IDOS, Anna-Katharina Hornidge, hatte im Frühjahr in einem Zeitungsbeitrag größeres Engagement für eine stärkere globale Regierungsführung – im Jargon: Governance – gefordert. Trotz schon im Jahr 2018 beschlossener Reformen zur engeren Koordinierung der vielen Organisationen des UN-Entwicklungssystems seien strukturelle Probleme nicht behoben, bemängelt Hornidge – insbesondere die Konkurrenz um Gebergelder und die vor allem zweckgebundene Finanzierung von einzelnen Projekten statt der Kernhaushalte der UN-Organisationen. Klimaschutz, Artensterben, soziale Ungleichheiten und die politische Polarisierung benötigten jedoch „dringend multilateral ausgehandelte Governance für globales Gemeinwohl“, schrieb Hornidge. sie in einem Gastbeitrag.
In dem Positionspapier betont das BMZ zwar, Deutschland stelle den Schlüsselpartnern im UN-System wie dem UNDP „ein hohes Niveau an Beiträgen zum institutionellen Budget (sogenannte Kernbeiträge)“ zur Verfügung. Doch laut Hornidge hatten die Kernbeiträge noch im Jahr 2020 einen Anteil von lediglich 14,3 Prozent an den gesamten Beiträgen Deutschlands für das UN-Entwicklungssystem – deutlich weniger als der in den UN vereinbarte Zielwert von 30 Prozent. Laut einer Analyse der Dag Hammarskjöld Foundation von 2021 befindet sich Deutschland damit in schlechter Gesellschaft der USA (13 Prozent) und Kanadas (16 Prozent), während Schweden 46 Prozent ohne Zweckbindung zuschoss.
Etwa sieben Milliarden US-Dollar hat Deutschland 2021 an die Vereinten Nationen überwiesen, davon weit mehr als die Hälfte für humanitäre Hilfe aus dem Etat des Auswärtigen Amts. 345 Millionen Dollar gingen an das UNDP, das Rückgrat des UN-Entwicklungssystems, 1,4 Milliarden Dollar an das WFP. Dem BMZ wurden im laufenden Haushalt für die multilaterale Entwicklungsarbeit 2,42 Milliarden Euro bewilligt, im Vorjahr waren es noch knapp 3 Milliarden Euro. Für 2024 hat Schulze eine leichte Erhöhung der Kernbeiträge gefordert, sagte sie. Stephan Klingebiel vom IDOS erwartet, dass die UN-Zuwendungen von den geplanten Haushaltskürzungen verschont bleiben werden. Damit stehe Deutschland im Vergleich zu anderen Gebern dann noch recht gut da.
G7 und G20 als wichtige Zweckgemeinschaften
Das BMZ-Papier betont zudem, dass vor allem in Krisengebieten wie dem Sahel strukturell ausgerichtete Entwicklungs- und Friedensarbeit überhaupt nur in Kooperation mit UN-Organisationen wie dem WFP und UNICEF möglich sei.
Als wichtige Pfeiler der multilateralen Entwicklungspolitik nenne die Strategie zusätzlich internationale Allianzen oder strategische Partnerschaften, betont Klingebiel – also Zweckgemeinschaften wie die G7 oder die G20 der führenden Industrie- und Schwellenländer. „Deutschland will diese gemischten Allianzen auch entwicklungspolitisch nutzen“, sagt Klingebiel. So werde interessanterweise auch der jüngst beim G20-Gipfel in Indien angestoßene Infrastrukturkorridor als Plattform genannt, der sich quer zu den verfestigten Blöcken auf eine Kooperation von Indien, den USA, Saudi-Arabien und der EU bis nach Mitteleuropa stütze.
Klingebiel, der bei IDOS das Forschungsprogramm Inter- und transnationale Zusammenarbeit leitet, hält die Positionierung des BMZ insgesamt für eine wertvolle Richtungsweisung. Gemeinsames, multilaterales Handeln habe für regionale und globale Aufgaben Vorrang. Das BMZ löse damit seinen Teil des Koalitionsvertrags ein, in dem die Bundesregierung zusagt, sich außen- und entwicklungspolitisch stärker multilateral aufzustellen.
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