„Das Militär hat keinen Plan, wie es mehr Sicherheit erreicht“

Niger
Der jüngste Militärputsch im Niger kommt nicht aus heiterem Himmel. Wer die Putschisten sind und was Sahelländer anfällig für Staatsstreiche macht, erklärt Olayinka Ajala von der Leeds University.

Olayinka Ajala lehrt Politik und Internationale Beziehungen an der Leeds Beckett University in Großbritannien. Er beschäftigt sich unter anderem mit dem Niger, Aufstandsbekämpfung und dem Zusammenhang von Klimawandel und Konflikten.

Hat Sie der jüngste Putsch im Niger überrascht?

Nicht wirklich. Schließlich gab eschon vor zwei Jahren einen Putschversuch und davor drei zwischen 1996 und 2010. Mahamadou Issoufou, der von 2011 bis 2021 im Amt war, ist der einzige gewählte Präsident des Niger, der zwei Amtsperioden beenden konnte. Zwei Tage vor der Amtseinführung seines gewählten Nachfolgers Mohamed Bazoum hat die Armee 2021 versucht, die Macht zu übernehmen. Das zeigte schon damals, dass sich das Militär im Niger nicht wirklich mit der Demokratie angefreundet hat.  

War es eine Illusion, Niger als Anker der Stabilität in der Region anzusehen, wie die deutsche Regierung es lange getan hat?

Ja. Das ist bezeichnend für das Herangehen der Europäischen Union insgesamt: Niger war seit der Krise 2015 wegen der großen Zahl von Migranten, die das Land über das Mittelmeer queren, ein enger Partner. Die EU unterstützt Niger beim Schutz seiner Grenzen, unter anderem mit einer Ausbildungsmission für Sicherheitskräfte. Auch ist die EU einer der größten Finanzierer der Multinational Joint Task Force, mit der Niger, Nigeria, Benin, Kamerun und der Tschad gemeinsam die aus Nordnigeria stammenden Islamisten von Boko Haram bekämpfen.

Was macht die Gesellschaft und den Staat im Niger anfällig für Militärputsche?

Eine Kombination von ethnischen Spannungen mit wirtschaftlicher Armut und Erwerbslosigkeit. Entscheidend sind aber Sicherheitsprobleme, also mangelhafter Schutz der Bevölkerung vor Gewalt und Terror. Das ist der wichtigste Faktor, der Staatsstreiche begünstigt – auch in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso. In Benin und Togo gab es dagegen keine Staatsstreiche, obwohl die auch arm sind, denn dort machen keine islamistischen Aufständischen das Land unsicher.

Welche ethnischen Spannungen belasten die Politik im Niger?

Ethnische Zugehörigkeit spielt eine wichtige Rolle bei der Rekrutierung des Militärs und bei Beförderungen. Präsident Issoufou hat das verstanden und nach seinem Amtsantritt eine Quote von 15 Prozent in der Armee, der Polizei und der Beamtenschaft für die Minderheit der Tuareg eingeführt. Die gehören im Niger zu den kleinen Ethnien, haben aber relativ viel Macht, weil sie auch in Nachbarländern leben. Issoufou hat auch einen Tuareg zum Premierminister ernannt und für andere kleine Ethnien Quoten eingeführt. Im Militär gibt es auch Quoten für kleine ethnische Gruppen.

Das hat zu einem stärker gemischten Militär geführt?

Nein, es war vorher schon gemischt, Issoufou hat das nur offiziell gemacht. Er wollte, dass sich die kleineren Gruppen zugehörig und vertreten fühlten. Dabei hat die größte Gruppe, die Haussa, die Mehrheit in der Armee behalten, so blieb eine Balance gewahrt. Das Problem für Mohamed Bazoum ist ein anderes: Er gehört zu einer kleinen ethnischen Minderheit. Er war ein Führer der regierenden Partei von Issoufou, und schon vor seiner Wahl zum Präsidenten 2021 hat ihm die Opposition vorgeworfen, er sei gar nicht wirklich Nigrer. Bazoum ist trotzdem mit fast 56 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt worden, aber Vorbehalte wegen seiner Ethnie nicht losgeworden.  

Spielen auch Unterschiede der Religion für diese Spannungen eine Rolle?

Nein, im Niger gehört die ganz große Mehrheit der Bevölkerung zum sunnitischen Islam.

Wer sind die Militärs, die jetzt geputscht haben?

Ihr Anführer General Abdourahamane Tchiani, ist interessanterweise derselbe, der den Putschversuch gegen Bazoum kurz vor dessen Amtsantritt noch vereitelt hat. Er steht an der Spitze der Präsidentengarde; das sind die Spezialkräfte, die in der Armee am besten ausgerüstet und trainiert sind. Er hat Bazoum nun abgesetzt und sich erst danach mit dem Rest der Streitkräfte verständigt. Anfangs war unklar, ob die den Staatsstreich unterstützen würden; einen Tag später haben sie sich dafür ausgesprochen. Wahrscheinlich gab es einen Handel zwischen der Präsidentschaftsgarde und der regulären Armee.

Tchiani hat den Staatsstreich damit begründet, dass die Unsicherheit im Land unter Bazoum noch wachse. Stimmt das?

Ja, aber das ist nicht erst unter Bazoum so. Und die Sicherheitslage wird mal besser, mal schlechter, das ist ein ständiges Auf und Ab. Es ist nicht der wirkliche Hauptgrund des Putsches. Das Militär nimmt schließlich immer für sich in Anspruch, dass es besser als andere die Bevölkerung schützen kann.

Hat der Putsch damit zu tun, dass Teile der Militärführung um ihre Position und ihren Einfluss fürchten?

Ja, und zwar wegen der Einwirkung aus dem Ausland. Viele im Militär sind unzufrieden, weil so viele europäische und US-amerikanische Soldaten im Land sind und es dort ausländische Militärbasen gibt. Sie sehen das als Einschränkung ihrer eigenen Kontrolle und Versuch, sie zu schwächen. Ein weiterer Grund für den Putsch gerade jetzt ist aber wahrscheinlich: Man erwartete im Niger eine Neuordnung im Militär, bei der auch General Tchiani ersetzt würde.

Bazoum wollte ihn absetzen?

Dieses Gerücht ging im Niger vor dem Coup um, ja. Ob das tatsächlich geplant war, weiß man allerdings nicht.

Fürchtet das Militär nicht, mit dem Putsch ausländische Hilfe aufs Spiel zu setzen?

Mir scheint, sie rechnen nicht mit großem Widerstand von dieser Seite. Den gab es nach den Staatsstreichen in Burkina Faso, Mali und Guinea auch nicht. Es gab Protest und Sanktionen von der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und anderen Ländern, auch Europa, aber nicht so scharf wie erwartet.  

Wie reagiert die Bevölkerung? Ist der Coup populär?

Nach dem, was ich aus dem Niger höre, ist die Stimmung geteilt. In den großen Städten sagen viele – etwa Staatsbedienstete und Geschäftsleute –, dass Demokratie nach wie vor der beste Weg vorwärts ist; schließlich ist die Lage in den vergangenen zehn Jahren besser geworden und das Verhältnis zum Ausland auch, das hat mehr Investitionen und Stabilität gebracht. In Landgebieten, besonders solchen, die stark von Gewalt betroffen sind, sieht das anders aus. Nach einem Bericht aus einer Region nahe der Grenze zu Mali sind die Leute dort sehr froh über den Putsch, weil sie sich von der demokratischen Regierung nicht geschützt fühlten. Sie unterstützen das Militär in der Hoffnung, es werde das besser machen. Die beiden Lager scheinen ungefähr gleich groß zu sein. Das scheint sich aber in dem Maß, wie mehr Leute gegen Frankreich protestieren, zugunsten des Regimes zu ändern.

Hat das Militär in Niger denn einen Plan, wie es besser als die gestürzte Regierung für Sicherheit sorgt?

Nein. Sie haben keinen Plan. Das militärische Vorgehen gegen die Aufständischen ist trotz Unterstützung aus der EU, aus Frankreich, den USA und auch aus Nigeria bisher gescheitert. Wenn das nigrische Militär mit all dieser Hilfe nicht für Sicherheit sorgen kann, ist kaum denkbar, dass es das nur mit eigenen Mitteln schafft. Auch nach den Putschen in Mali und Burkina Faso hat sich dort die Sicherheitslage nicht verbessert. Und es kann sein, dass Niger nun Unterstützung von außen verliert. Die Lage wird schlimmer werden – so wie in Burkina Faso, wo die Aufständischen jetzt über die Hälfte des Territoriums kontrollieren.  

Könnte Druck von außen, etwa von der ECOWAS oder der EU, Bazoum zurück ins Amt verhelfen?

Schwer zu sagen. Es scheint nicht sehr wahrscheinlich. Vielleicht wird sich das Militär darauf einlassen, dass es nach ein, zwei Jahren wieder Wahlen gibt. Die Aussichten für Demokratie sind in der gesamten Region nicht gut und wo das Militär einmal die Macht ergriffen hat, ist es schwierig auszuhandeln, dass sie die wieder abgeben. 

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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Endlich mal andere und fundiertere Einschätzungen zu der Lage in Niger als in den Mainstream Medien, die sich alle sehr überrascht und empört zeigen und die Entwicklungen nur schwer und nahezu nur aus französisch gefärbter Brille zu beschreiben und analysieren wissen.

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