Kein Blick über den Tellerrand

Kein Blick über den Tellerrand

Der Bundestag trägt kaum zu entwicklungspolitischer Kohärenz der deutschen Politik bei

Entscheidungen des Bundestages stellen nur selten entwicklungspolitische Ziele über spezifische fachpolitische Interessen und Erwägungen. Die Ursachen dafür liegen vor allem in der Arbeitsteilung im Parlament und in der Fraktionsund Koalitionsdisziplin, der die Abgeordneten in der Regel gehorchen. Zu diesem Ergebnis kommt die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) in ihrem diesjährigen Bericht zur Armutsbekämpfung.

Laut dem GKKE-Bericht, der Anfang Juli vorgestellt wurde, gibt es kein „Kohärenzgebot“, das das Parlament zu entwicklungsfreundlichen Entscheidungen verpflichtet. Es bleibe den Abgeordneten überlassen, „ob und wie weit sie über ihr meist eng gefasstes Aufgabengebiet hinaus denken und ihre Arbeit als Teil einer ,globalen Strukturpolitik’ mit dem Fokus Armutsbekämpfung zu begreifen bereit sind“. Die GKKE wertet das aber nicht nur als Mangel: Es sei nicht Aufgabe des Parlaments, völlige Harmonie herzustellen. Entwicklungspolitische Kohärenz müsse deshalb über den Austausch von Argumenten und in Gestalt von Kompromissen angestrebt werden.

Die im Bundestag herrschende Arbeitsteilung erschwere das allerdings. Die Verteilung von Zuständigkeiten auf die unterschiedlichen Bundestagsausschüsse – zum Beispiel für wirtschaftliche Zusammenarbeit, für Außenpolitik, für Verteidigung, für Umwelt, für Landwirtschaft oder für Menschenrechte – erschwere das Denken in ressortübergreifenden Bezügen, heißt es in dem Bericht der GKKE. Zwar seien an der Bearbeitung entwicklungspolitisch relevanter Sachverhalte häufig mehrere Ausschüsse beteiligt, aber das führe nicht automatisch zu mehr Kohärenz.

Denn die Ausschüsse seien darauf bedacht, vorrangig ihre spezifischen Interessen und die Interessen „ihrer Ministerien“ zu wahren; häufig seien Differenzen „mehr institutionell als sachlich“ begründet. Zudem sei bei vielen Fachpolitikern „die Bereitschaft und Fähigkeit, über den Zaun der eigenen Sach- und Ressortinteressen hinauszublicken, noch immer begrenzt“.

Die Fraktions- beziehungsweise Koalitionsdisziplin ist ein weiteres Hindernis für mehr Kohärenz. Anträge der Opposition nimmt das Parlament nur sehr selten an – selbst wenn es eine (schweigende) Mehrheit für die zur Abstimmung stehende Frage gibt. Als Beispiel nennt die GKKE einen Antrag der Grünen gegen die Förderung von Atomkraft mit Mitteln der Weltbank. Die SPD-Fraktion habe den Antrag abgelehnt, obwohl sie in der vergangenen Legislaturperiode, als sie zusammen mit den Grünen regiert hat, ähnlich lautenden Beschlüssen noch zugestimmt habe. Heute aber wäre durch eine Zustimmung der Dissens in der Atomfrage in der SPD-CDU-Koalition offen zutage getreten.

Ein anderes Beispiel ist der Grünen- Antrag gegen die Wiedereinführung von EU-Exportsubventionen für Schweinefleisch. Die Koalitionsfraktionen lehnten den Antrag ab, obwohl, so die GKKE, eine Zustimmung „ein gemeinsames Zeichen in Sachen Querschnittsensibilisierung“ gesetzt hätte. Immerhin: Interfraktionelle Anträge – etwa zur Aids-Bekämpfung oder zur Nahrungsmittelhilfe- Konvention – zeigen laut GKKE, dass das schematische Stimmverhalten der Abgeordneten auch durchbrochen werden kann. Insgesamt sei nicht ersichtlich, „dass auf parlamentarischer Ebene eine höhere Kohärenz zustande gebracht würde, als dies auf Regierungsebene der Fall ist“, resümiert der Bericht. Langfristig wünschenswert seien deshalb ressortübergreifende Strukturen im Bundestag, wie sie die Bundesregierung etwa in Gestalt des Bundessicherheitsrates oder des Ressortkreises Zivile Krisenprävention kennt. Kurzfristig plädiert die GKKE für eine engere Vernetzung der Ausschuss-Obleute, die Einsetzung von ausschussübergreifenden Arbeitsgruppen sowie mehr ausschussübergreifende Anhörungen zu bestimmten Themen.

Tillmann Elliesen

welt-sichten 7-2008

 

erschienen in Ausgabe 7 / 2008: Schlachtfeld Afrika
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