Die EU sperrt sich gegen Thunfisch-Schutz

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Ein Fischer auf Sansibar trägt zwei von ihm gefangene Gelbflossen-Thunfische an Land, um sie auf dem Markt im Dorf Nungwi zu verkaufen. Die Fangmethoden der EU im Indischen Ozean machen solchen Kleinfischern das Leben schwer.
Fischerei
Die Europäische Union will im Indischen Ozean auf umstrittene Art weiter Thunfisch fangen. Das sorgt für Streit in der Staatenkommission, die in den Gewässern den Fischfang reguliert.

Ein Drittel des im Indischen Ozean gefangenen Thunfischs landet in den Netzen von Hochseefischern aus der Europäischen Union. Allen voran Frankreich und Spanien sind vor allem vor der Ostküste Afrikas mit ihren bis zu 90 Meter langen Schiffen unterwegs. Bevor die Fische in riesigen Netzen aus dem Meer gezogen werden, werden sie mit sogenannten „Fish Aggregating Devices“ (FADs) – auf Deutsch etwa „Geräten für Fisch-Zusammenführung“ – angelockt. Das sind große schwimmende Flöße aus unterschiedlichen Materialien wie Holz, Bambus oder Plastik. Fischschwärme nutzen solche schwimmenden Objekte – in der Natur etwa Algenteppiche oder Quallenschwärme – zur Orientierung oder versammeln sich unter ihnen zum Schutz vor Fressfeinden. 

Laut der französischen Meeresschutzorganisation Bloom, die Daten der Thunfischkommission für den Indischen Ozean (Indian Ocean Tuna Commission, IOTC) ausgewertet hat, nutzen die EU-Fischer mehr oder weniger als einzige die FADs – abgesehen von einigen spanischen und französischen Schiffen, die unter der Flagge afrikanischer Inselstaaten wie der Seychellen oder von Mauritius fahren. Seit dem Jahr 2015 gilt der Gelbflossen-Thunfisch im Indischen Ozean offiziell als überfischt; Umweltschützer warnen, schon in wenigen Jahren könnten seine Bestände kollabieren. Eine Ursache sind laut Fachleuten die FADs, denn die locken vor allem Jungfische an, die noch keinen Nachwuchs hervorgebracht haben. Zudem gelten kaputte oder verloren gegangene FADs als eine Ursache der Plastikverschmutzung im westlichen Indischen Ozean.

Schärfere Regeln für Fischfang-Flöße

Auf einer Sondersitzung im vergangenen Februar hat die IOTC deshalb mit Zweidrittelmehrheit nach mehrjährigen Beratungen schärfere Regeln für den Gebrauch der umstrittenen Flöße beschlossen. Im Mittelpunkt steht ein jährliches 72-Tage-Moratorium ab dem kommenden Jahr: Während dieser Zeit dürfen die FADs nicht eingesetzt werden. Umweltschützer und Meeresbiologen werten den Beschluss als Meilenstein, doch die EU hat zusammen mit einigen anderen IOTC-Mitgliedern Einspruch dagegen erhoben. Das hat nach den Regeln der IOTC zur Folge, dass die europäischen Fischer weiter auf die Flöße setzen dürfen, selbst wenn im kommenden Jahr das Moratorium in Kraft tritt. Und weil ohnehin nur spanische und französische Schiffe FADs nutzen, würde das Moratorium praktisch unwirksam.

Die EU lehnt das Moratorium mit der Begründung ab, es gebe keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass der Verzicht auf FADs wirksam zur Erholung der Thunfisch-Bestände beiträgt. Auf der jüngsten regulären IOTC-Sitzung im Mai hat sie deshalb vorgeschlagen, zunächst ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats der Kommission in Auftrag zu geben. Dafür gab es aber keine Mehrheit. EU-Kritiker wie die von Bloom pochen auf das Vorsorgeprinzip: Die Bestände im Indischen Ozean seien derart unter Druck, dass auch ohne letzten Beweis auf umstrittene Fangmethoden verzichtet werden müsse. Andere Thunfischkommission wie die für den Atlantik oder den Pazifik haben laut Bloom deshalb bereits FAD-Moratorien beschlossen.

Die EU vermutet außerdem eigennützige Motive bei den IOTC-Mitgliedern, die das Moratorium befürworten. Vor EU-Parlamentariern erklärte im März ein Vertreter der EU-Kommission, der Beschluss sei wohl „mehr von kommerziellen Interessen einer Gruppe von Ländern diktiert als von ernsthaften Schutzbemühungen“. Ähnlich hat sich der Verband der europäischen Fischereiindustrie Europêche in einer Pressemitteilung nur einen Tag nach dem IOTC-Beschluss im Februar geäußert. Der Vertreter der Kommission nannte neben Indonesien, Iran und Indien noch Somalia und Madagaskar – zwei Länder also, in denen bestenfalls kleine Küstenfischerei betrieben wird und die seit vielen Jahren unter den Fangflotten der großen Fischereinationen aus Europa sowie China leiden. Die EU-Kommission und Europêche verteidigen den Gebrauch der FADs zudem mit dem Argument, ohne sie würden die Industrien zur Fischverarbeitung auf afrikanischen Inselstaaten wie Mauritius, den Seychellen und den Komoren eingehen, da sie auf Lieferungen der EU-Schiffe angewiesen seien. Diese Staaten haben sich denn auch dem Einspruch der EU gegen das Moratorium angeschlossen. 

EU-Einflussnahme auf Regierung Kenias?

Zur großen Überraschung aller Beteiligten hat auch Kenia auf der Sitzung im Februar dagegen gestimmt, nachdem das ostafrikanische Land in den Jahren davor den Beschluss noch federführend vorangebracht hatte. Das zuständige Ministerium hat die Kehrtwende damit begründet, die im Sommer 2022 neu gewählte Regierung müsse erst prüfen, inwieweit ein FAD-Moratorium mit neuen Plänen für die Thunfisch-Fischerei vereinbar sei. Die Meeresschützer von Bloom gehen indes davon aus, dass Brüssel entsprechend Druck auf die Regierung in Nairobi ausgeübt hat. In einer Studie zeichnet die Organisation nach, wie stark die EU ihren Einfluss in der IOTC und auf das Stimmverhalten einzelner Mitglieder in Afrika ausgeweitet hat – insbesondere seit dem Jahr 2015, als andere IOTC-Mitglieder ernsthaftere Bemühungen zum Schutz der Thunfischbestände angemahnt hätten. Die EU weist Einflussnahme oder Druck auf andere Länder laut einem Bericht des Online-Magazins „Politico“ zurück. Auf eine Anfrage von „welt-sichten“ hat die EU-Kommission nicht geantwortet.

 

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