Anfang April ging es in den Gassen der Jerusalemer Altstadt enger zu als gewöhnlich. Allein zwischen Palmsonntag und Ostern waren 60.000 Pilgerinnen und Pilger aus aller Welt in die Heilige Stadt gekommen. Darunter auch muslimische und jüdische Besucher, die Ramadan und Pessach an den heiligen Stätten ihres Glaubens feiern wollten. Insgesamt hat sich der Tourismus in Israel von den Folgen der Corona-Pandemie erholt. Mit 4,5 Millionen Besuchern rechnet man in diesem Jahr. Schätzungsweise jeder Fünfte davon wird ein christlicher Pilger oder eine Pilgerin sein.
Von Problemen der einheimischen Kirchen bekommen sie in der Regel nur wenig mit. Seit Jahren stöhnen Christen in Jerusalem über zunehmende Einschränkungen, Übergriffe und Diskriminierung. Anfang des Jahres wurde der evangelische Zionsfriedhof geschändet. Zwei junge Männer mit Kippa und traditioneller jüdischer Kleidung hatten mehr als 30 Grabsteine zertrümmert und Steinkreuze runterrissen. Wenige Tage später griffen Jugendliche aus der jüdischen Siedlerbewegung in der Jerusalemer Altstadt Gäste in einem armenisch-christlichen Restaurant an und zerschlugen das Mobiliar. Und Anfang Februar zerschlug ein Mann, der später als amerikanischer Jude identifiziert wurde, in der Geißelungskapelle an der Via Dolorosa eine Christusstatue. Insgesamt zählen die Kirchenoberhäupter von Jerusalem sieben solcher Angriffe auf christliche Stätten und Symbole seit Beginn des Jahres.
Die Täter anzuzeigen, bringt nicht viel
Hinzukommen Schmierereien auf Hauswänden wie „Tod den Christen“ und „Tod den Arabern“. Stark zugenommen hat außerdem, dass Geistliche bespuckt werden. Vor allem armenische Priester bekommen das zu spüren. Ihr Patriarchat liegt auf dem Weg zur Klagemauer. „Früher ist mir das immer mal wieder passiert. Aber heute vergeht kein Tag mehr, an dem ich nicht bespuckt werde“, sagt Pater Aghan von der armenischen Kirche. Die Täter anzuzeigen, bringe nicht viel. „Im Zweifelsfall sucht die Polizei die Schuld bei uns“, sagt Pater Aghan und erinnert an einen Vorfall Anfang des Jahres, als junge Siedler versuchten, die armenische Fahne vom Dach des Patriarchats zu reißen. Als es zu einem Gerangel mit armenischen Jugendlichen kam, nahmen die Polizisten am Ende diese in Haft, während sie die anderen laufen ließen.
Auch die griechisch-orthodoxe Kirche in Jerusalem, zu der die meisten Christen im Heiligen Land gehören, sieht ihre Interessen von den israelischen Behörden nicht gewahrt. Im Gegenteil. Zum zweiten Mal in Folge schränkte die Jerusalemer Polizei in diesem Jahr den Zugang zur Grabeskirche beim orthodoxen Osterfest stark ein. Während in den Jahren zuvor zehntausende Christen zur Entzündung des heiligen Osterfeuers am sogenannten leeren Grab kamen, durften letztes und dieses Jahr nur etwa 1500 Gäste die Kirche betreten. Die israelischen Behörden beriefen sich auf den Brandschutz.
Man akzeptiere nicht, dass die israelischen Behörden sich so stark in kirchliche Belange einmischten, hieß es von Seiten des griechisch-orthodoxen Patriarchats. Die Religionsfreiheit tausender Christinnen und Christen würde auf diese Weise unangemessen eingeschränkt. Allerdings gebe es „keine direkten Kontakte mehr zu den oberen Stellen in der israelischen Verwaltung, über die wir früher solche Fragen einvernehmlich klären konnten“, sagt Pater Matheios, Protokollchef im griechisch-orthodoxen Patriarchat und zuständig für die Zusammenarbeit mit der Jerusalemer Stadtverwaltung.
EKD verhält sich zurückhaltend
Die weltweite Ökumene nimmt die Klagen der Christen in Jerusalem ernst. Doch all die Statements des Vatikans, des Ökumenischen Rats der Kirchen oder der Kirchen in England, Amerika und Skandinavien haben keine Wirkung gezeigt. Die orthodoxen Osterfeierlichkeiten fanden unter Polizeikontrolle statt; an einigen Stellen kam es zu heftigeren Rangeleien mit den Sicherheitskräften.
Sehr zurückhaltend verhält sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die mit der das Stadtbild prägenden Erlöserkirche und der Himmelfahrtskirche in Jerusalem sehr präsent ist. Nicht einmal die Schändung des Zionsfriedhof, wo auch Gräber von bekannten Deutschen aus dem 19. und 20. Jahrhunderts zerstört wurden, wurde öffentlich verurteilt. Am wenigsten wundern sich über diese Zurückhaltung diejenigen, die direkt mit den Vertretern der EKD in Jerusalem zu tun haben, allen voran die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land. Sie hat ihren Sitz in der Propstei neben der Erlöserkirche und ist quasi Untermieterin bei der EKD. „Wir wissen um die Diskussionen in Deutschland und dass man bei euch schnell ins Kreuzfeuer gerät, wenn man Israel kritisiert“, sagt Bischof Ibrahim Azar. Es gebe auch Kirchenleitende aus Deutschland, die das Gespräch mit ihm suchten und betroffen reagierten. Dass sie ihre Betroffenheit aber nicht öffentlich machten, könne er nicht nachvollziehen.
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