Ein Text von Sam Kniknie für The New Humanitarian
Der Senatspräsident der Demokratischen Republik Kongo, Modeste Bahati Lukwebo, hat im Juli die UN-Friedenstruppen im Land aufgefordert, ihre Koffer zu packen – nach über 20 Jahren vor Ort. Zehn Tage später begannen in größeren Städten im Osten des Landes gewalttätige Proteste gegen die Vereinten Nationen. Da Lukwebos Worte so hitzig gewesen waren, hielten manche die Unruhen für das Werk hochrangiger Politiker. Doch das ist eine problematische Vereinfachung: Wer die Demonstranten als von Politikern manipuliert oder bezahlt darstellt, übersieht, dass sie eigenständig handeln. Und ignoriert zudem, dass viele Kongolesen über die UN-Friedensmission – bekannt unter dem aus den französischen Anfangsbuchstaben gebildeten Akronym MONUSCO – zutiefst frustriert sind.
Autor
Sam Kniknie
ist Doktorand an der Konfliktforschungsgruppe der Universität Gent. Der Artikel ist zuerst bei „The New Humanitarian“ (TNH) erschienen, einer Online-Agentur, die vor allem über humanitäre Krisen berichtet. TNH ist nicht für die Übersetzung verantwortlich. https://www.thenewhumanitarian.org/opinion/2022/08/23/MONUSCO-Rwanda-Congo-M23Angesichts der Angriffe der wiedererstarkten M23, die inzwischen fast 200.000 Menschen zu Vertriebenen gemacht hat, nahm die örtliche Bevölkerung die MONUSCO als untätig wahr. Dass die UN-Mission die ruandische Präsenz auf kongolesischem Boden noch nicht einmal klar verurteilt hat, hat die Menschen vor Ort zusätzlich verbittert.
Die Mission vor dem Hintergrund der Geschichte kolonialer Ausbeutung
Die Verwicklung Ruandas in die Krise hat einen nationalistischen Diskurs wiederbelebt, der auch auf die MONUSCO zielt. Denn die Demonstranten haben nicht nur gezeigt, dass sie die kongolesische Armee unterstützen – sie haben auch bewaffnete ausländische Kräfte im Land angeprangert. Das Misstrauen gegenüber letzteren ist in der DR Kongo tief verwurzelt. Vom Kautschuk-Kolonialismus des belgischen Königs Leopold II., der Zwangsarbeiter ausbeutete, bis zum illegalen Export von Bodenschätzen heute sieht sich das Land als Opfer kolonialer und neokolonialer Kräfte, die sich bereichern wollen.
Anstatt die derzeitigen Spannungen mit der Zivilbevölkerung abzubauen, haben die Friedenstruppen die Situation noch verschärft. Sie haben – laut einem Statement der MONUSCO-Führung aus „unerklärlichen Gründen“ – auf Demonstranten und andere unbewaffnete Zivilisten geschossen. Damit töteten sie zahlreiche Menschen und bestätigten das negative Bild, das viele ohnehin von der Mission hatten.
Wenn die MONUSCO ihr Image wirklich verbessern und den Rest ihres Mandats dazu nutzen will, bewaffnete Gruppen und nicht aufgebrachte Bürger zu bekämpfen, sollte sie sich als Erstes die berechtigten Beschwerden der kongolesischen Bevölkerung anhören.
Weiße UN-Pickups auf dem Weg zu Nachtclubs
Die MONUSCO und ihre Vorgängermission (MONUC) sind seit 1999 in der Demokratischen Republik Kongo tätig. Die MONUSCO ist die teuerste Friedensmission in der Geschichte der Vereinten Nationen. Dass es ihr trotzdem oft nicht gelingt, die Zivilbevölkerung zu schützen, hat in den letzten Jahren zu mehreren Protestwellen geführt, vor allem in städtischen Gebieten. Dort verstärkt der krasse Gegensatz zwischen dem Leben der Einheimischen und der Welt der UN-Expats das Gefühl, dass die MONUSCO nicht die Interessen der Kongolesen verteidigt.
Wenn sie Kolonnen weißer UN-Pick-Ups zu schicken Restaurants am Seeufer und Nachtclubs in Orten wie Goma – der größten Stadt im Osten – fahren sehen, fragen sich die Menschen am Straßenrand, wohin das ganze Geld wirklich fließt. Der verhältnismäßig hohe Komfort der Expats erweckt – vor allem im Vergleich zu den schlechten Lebensbedingungen der Armeesoldaten – den Eindruck, dass die Friedenstruppen in der DR Kongo eher ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen, als dass sie Frieden schaffen wollen.
Eine WhatsApp-Nachricht in einer Gruppe, die von vielen Organisatoren der Proteste genutzt wird, veranschaulicht dies: „Das Unglück des kongolesischen Volkes gefällt [den Friedenstruppen]. Denn es gibt ihnen einen Grund, mehr Geld zu verdienen und unter dem Vorwand des Schutzes der Zivilbevölkerung Touristen in der DR Kongo zu sein.“
Das Bild des „räuberischen weißen Mannes“
Kommentare wie dieser wurzeln auch in der seit langem bestehenden Wahrnehmung, dass Ausländer den Reichtum der DR Kongo ausplündern. Das Bild des „räuberischen weißen Mannes“ hat sich im Bewusstsein vieler Kongolesen eingebrannt. Die MONUSCO kann diesem Bild nicht entkommen. Wie einer der Organisatoren der Proteste auf Facebook schrieb: „Nächsten Montag beginnen die Demonstrationen, und sie werden so lange dauern, bis die Weißen der UN, die sich auf kongolesischem Boden bereichern, abhauen.“
Ein gewisses Maß an Manipulation durch die Machtelite mag bei der Entfachung der aktuellen Proteste eine Rolle gespielt haben. Die Wut der Bevölkerung über die MONUSCO ist den politischen Führungsriegen willkommen – schließlich lenkt sie die Aufmerksamkeit von ihnen und ihren eigenen Unzulänglichkeiten ab, die sie vertuschen wollen. Dennoch kritisieren die Demonstranten auch die kongolesische Regierung und nicht nur die MONUSCO. So haben sie den Politikern in den sozialen Medien die Verlängerung des Mandats der Mission und die Verhaftung ihrer Kameraden bei früheren Anti-UN-Protesten vorgeworfen. Die Demonstranten mussten auch nicht erst dazu gebracht werden, ihrer Empörung Luft zu machen. Angesichts der M23-Krise und der erneuten Spannungen zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda war die Stimmung gegen die UN ohnehin am Hochkochen.
Beschuldigt, die M23-Rebellen zu unterstützen
Die M23 behauptet, die Interessen der ruandisch-sprachigen Gemeinschaften im Kongo zu verteidigen. Berichten zufolge erhält die Rebellengruppierung direkte militärische Unterstützung aus Kigali, das seit den 1990er Jahren wiederholt in der DR Kongo interveniert hat. Dennoch hat es die MONUSCO versäumt, Ruandas Präsenz auf kongolesischem Boden bei einer Sitzung des Sicherheitsrates Ende Juni öffentlich zu rügen. Das, obwohl die Einmischung Ruandas für große Teile der kongolesischen Bevölkerung glasklar war.
Die stillschweigende Unterstützung westlicher Staaten für den ruandischen Präsidenten Paul Kagame und die Abmachung des Vereinigten Königreichs mit Kigali, afrikanische Flüchtlinge von dort in Ruanda aufzunehmen, bestärken die Überzeugung, dass die internationale Gemeinschaft – und damit auch die MONUSCO – in diesem Konflikt nicht auf der Seite der DR Kongo steht.
Die jüngsten Äußerungen des UN-Sondergesandten für die Region der Großen Seen, Huang Xia, sind eine weitere Quelle der Frustration: Anstatt Ruanda zu verurteilen, rief der chinesische Diplomat zu Gesprächen zwischen den Konfliktparteien auf.
Viele Kongolesen beschuldigen die MONUSCO inzwischen, die Rebellen zu unterstützen. „MONUSCO und die UN sind Verbündete der M23 und Ruandas“, schrieb ein Aktivist vor kurzem in den sozialen Medien. „Deshalb zwingen sie die kongolesische Regierung dazu, mit den Terroristen zu verhandeln.“
Mit den Menschen sprechen, die die Mission angeblich schützt
Die Behauptungen über die Zusammenarbeit der UN mit der M23 und Ruanda sind höchstwahrscheinlich falsch. Aber sie verbreiten sich schnell, und das zeigt das Misstrauen vieler Demonstranten gegenüber bewaffneten ausländischen Akteuren, die, wie sie finden, der Souveränität Kongos schaden.
Die MONUSCO-Einsatzkräfte stehen nun vor einer Herausforderung: Sie dürfen sich nicht in ihren Unterkünften verschanzen, sondern müssen mit den Menschen sprechen, die sie angeblich schützen. Nur so können sie den Gerüchten begegnen, die im Umlauf sind.
Die MONUSCO wird sich auch mit anderen Missständen befassen müssen: Viele Personen und soziale Bewegungen, die an den Demonstrationen beteiligt waren, haben Verbindungen zu den östlichen Regionen Beni und Butembo, in denen die Volksgruppe der Nande lebt. Diese Gegend hat unter dem unzulänglichen Seuchenmanagement bei der Ebola-Epidemie zwischen 2018 und 2020 am meisten gelitten. Außerdem war die Bevölkerung dort mehrere Jahre lang den gewalttätigen Angriffen der Allied Democratic Forces ausgesetzt – einer der tödlichsten bewaffneten Gruppen im Osten der DR Kongo. Viele Nande sehen diese Dynamik als Teil einer Verschwörung gegen sie an, an der sowohl die Regierung als auch die MONUSCO beteiligt sind. Sie argumentieren, dass die Vereinten Nationen, wenn sie die Gewalt wirklich beenden wollten, dies schon getan hätten – schließlich verfügten sie über enorme Mittel.
Die kulturelle Dynamik der ethnischen Solidarität
Die Solidarität der Nande schafft einen fruchtbaren Boden für die politische Mobilisierung. In Butembo sind Bewegungen wie die radikale Oppositionsgruppe „Veranda Mutsanga“ beheimatet, die sich regelmäßig auf die Identität der Nande beziehen. Sie halfen bei der Organisation der jüngsten Proteste und mobilisierten Mitglieder ihrer Gemeinschaft in anderen Städten wie etwa Goma.
Diese breitere kulturelle Dynamik der ethnischen Solidarität und Zugehörigkeit ist ein wichtiger Bestandteil der Protestbewegung. Sie zeigt einmal mehr, wie begrenzt der Blick auf die Demonstrationen allein durch die Brille der „Manipulation durch Eliten“ ist.
Es sieht nicht so aus, als stünde der Abzug der MONUSCO unmittelbar bevor. Aber wenn sich nichts ändert und die Einwände der Bevölkerung von der Mission nicht berücksichtigt werden, wird es weiterhin Proteste geben.
Auf alle Fälle sollte die Mission endlich anfangen, den Demonstranten zuzuhören. Sich hinter dem Mandat der kongolesischen Regierung zu verstecken, wird wahrscheinlich nichts nützen. Denn die Regierung hat selbst mit großen Legitimitätsproblemen zu kämpfen.
Friedenssicherung in einer postkolonialen Welt
Die Mission sollte auch versuchen, sich mit der Realpolitik westlicher Staaten auseinanderzusetzen, die nicht bereit sind, die Beteiligung Ruandas an der M23-Krise anzuprangern – einer Krise, die bereits Dutzende von Zivilisten das Leben gekostet hat.
Dies könnte sich nach dem kürzlich durchgesickerten Bericht der UN-Expertengruppe, der die Unterstützung der Rebellen durch Ruanda eindeutig belegt, als einfacher erweisen. US-Außenminister Antony Blinken sah sich dadurch veranlasst, das Thema bei einem Treffen mit Kagame Anfang des Monats anzusprechen.
Schließlich sollte die Mission ein tiefergehendes Nachdenken darüber anstoßen, wie Friedenssicherung in einer postkolonialen Welt beschaffen sein muss, in der ausländisches Engagement Erinnerungen an koloniale und neokoloniale Einmischung wachruft. Das bedeutet, die MONUSCO muss mit aller Kraft dem Eindruck entgegenwirken, dass sie ausschließlich aus Eigeninteresse in der DR Kongo präsent ist. Und sie muss mit der Bevölkerung Kontakt aufnehmen und sie fragen, wie ihrer Meinung nach die Friedenstruppen ihre Aufgabe erfüllen sollten. Sie muss die kongolesische Souveränität respektieren.
Sam Kniknie ist Doktorand an der Konfliktforschungsgruppe der Universität Gent. Der Artikel ist zuerst bei „The New Humanitarian“ (TNH) erschienen, einer Online-Agentur, die vor allem über humanitäre Krisen berichtet. TNH ist nicht für die Übersetzung verantwortlich.
Aus dem Englischen von Anja Ruf.
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