Anderthalb Jahre dauert der Konflikt in der nördlichsten Provinz Äthiopiens an. Bei den Kämpfen zwischen Truppen der Zentralregierung und der Tigray People’s Liberation Front (TPLF) sind nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) bislang Tausende Menschen getötet und mehr als zweieinhalb Millionen Frauen, Kinder und Männer vertrieben worden. Millionen seien auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen und Hunderttausende akut von Hunger bedroht.
Da mag die Hilfslieferung, die das Evangelisch-Lutherische Missionswerk (ELM) in Hermannsburg Mitte März zusammen mit seiner Partnerkirche, der evangelisch-äthiopischen Mekane-Yesus-Kirche, von Addis Abeba aus in Tigrays Provinzhauptstadt Mekelle gebracht hat, wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirken. Für 180.000 Euro – alles Spenden und Zuweisungen von Landeskirchen und Partnerschaftsgemeinden – konnten Mehl, Speiseöl, Seife und Medikamente gekauft und an tausend Menschen weitergegeben werden, vor allem an Kinder, alte Menschen und chronisch Kranke. Das ELM gehört damit zu den ersten Organisationen, die nach Monaten, in denen keine humanitäre Hilfe für Tigray möglich war, eine Hilfslieferung dorthin gebracht haben.
Güter wurden mit einem UN-Flug nach Tigray gebracht
„Wir waren uns nicht sicher, ob das überhaupt klappen würde“, sagt Gabriele De Bona, Referentin für Äthiopien im ELM. „Das Risiko war groß, dass das Geld nicht ankommt, dass die Lastwagen geplündert würden oder sonst etwas mit dem Hilfstransport passiert.“ Den Spendern gegenüber habe man das von Anfang an offen kommuniziert. „Nichtstun ist in einer solchen Situation keine Alternative“, sagt De Bona. Der Projektverantwortliche in Mekelle sei die ganze Zeit sehr bemüht gewesen, den Kontakt nach Hermannsburg zu halten, obwohl die Kommunikationsmöglichkeiten stark eingeschränkt waren. Nach einigem Hin und Her sei eine Möglichkeit gefunden worden, die Güter mit einem UN-Flug nach Tigray zu bringen. Das sei zwar im Vergleich zu einem Lastwagentransport wesentlich teurer, dafür aber sicherer gewesen.
Zu dem Zeitpunkt gab es nur zwei Flüge pro Woche nach Mekelle. Heute sind es immerhin zwei Flüge pro Tag. Ende März hatten die Konfliktparteien eine humanitäre Waffenruhe vereinbart. Doch in den ersten vier Wochen danach kamen nach Angaben der UN nur fünf Konvois mit insgesamt 150 Lastwagen in Tigray an. Dabei bräuchte es täglich mindestens 100 Lastwagen mit Lebensmitteln und Hilfsgütern, um den Bedarf von sechs Millionen Menschen in der Konfliktregion zu decken. Während die TPLF der Regierung in Addis Abeba vorwirft, die Hilfsaktionen zu behindern, macht die Regierung von Premierminister Ahmed Abiy die TPLF dafür verantwortlich, dass Lastwagen geplündert würden.
Der Nahrungsmangel wird eher noch schlimmer werden
Kaum einer geht davon aus, dass der Krieg in Tigray mit der Waffenruhe ein Ende gefunden hat. Insgesamt ist die Sorge groß, dass sich der Konflikt auf das ganze Land ausweiten könnte. In die Provinzen Amhara, Afar und Oromia ist er bereits übergeschwappt. So berichten Amnesty International und Human Rights Watch Anfang April von Beweisen für ethnische Säuberungen an der tigrayischen Zivilbevölkerung im Westen der Region, an denen auch Sicherheitskräfte der angrenzenden Region Amhara beteiligt gewesen sein sollen. „Hinzu kommt, dass die Nahrungsmittelknappheit durch Corona noch verstärkt wurde“, sagt De Bona. Zudem werden jetzt als Folge des Ukraine-Kriegs wichtige Getreideimporte ausfallen. De Bona: „Der Kampf um Ressourcen wie Ernährung wird vermutlich noch zunehmen.“
Sorge bereitet indes ein Vorfall in der amharischen Stadt Gondar, wo Ende April bei einem Anschlag auf eine muslimische Beerdigung mehr als 20 Menschen ums Leben kamen. Bei den anschließenden Unruhen seien knapp 120 Menschen verletzt und mehrere Hundert verhaftet worden. Mindestens zwei Moscheen und zwei Kirchen seien in Flammen aufgegangen, melden lokale Medien. Der Islamische Rat Äthiopiens machte radikale orthodoxe Kirchenanhänger für die Gewalt verantwortlich. Während sich in Äthiopien Konflikte häufig entlang ethnischer Unterschiede entzünden, sind gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen eher selten.
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