Jubel auf Kosten der Waldbewohner

Umweltschutz
Seit einem halben Jahrhundert zeichnet die UN-Kulturorganisation UNESCO besondere Natur und Kultur als Welterbe aus. Das ist ein ehrenwertes Anliegen, wird aber von Regierungen oft für andere Zwecke missbraucht. Der Naturschutz im Namen der UNESCO bedroht oft indigene Gruppen. Die UNESCO tut zu wenig dagegen, meint Monika Hoegen.

Monika Hoegen ist Fachjournalistin für Themen der Entwicklungspolitik in Köln/Bonn und in Brüssel. Sie hat aus Asien, Afrika und Lateinamerika berichtet und arbeitet zudem als Moderatorin sowie als Medien- und Kommunikationscoach. www.monika-hoegen.de.

Es ist wie bei jeder großen Feier zum runden Geburtstag. Auf die Jubilarin oder den Jubilar werden überschwängliche Lobreden gehalten – mit Kritik hält man sich am Ehrentag zurück. Nicht immer ist das angebracht, besonders wenn es sich bei dem Geburtstagskind um eine internationale Institution handelt. So ist es auch beim Welterbe, der Auszeichnung, die die UNESCO seit 50 Jahren an besonders schützenswerte Natur- und Kulturstätten vergibt. Genaues Hinschauen ist hier dringend nötig – gerade am 50. Geburtstag.

Denn der Anspruch der Konvention zum UNESCO-Welterbe, die vor einem halben Jahrhundert unterzeichnet wurde, ist das eine, die Realität bei der Vergabe des begehrten Markenzeichens sieht oft ganz anders aus. Statt um hehre Werte geht es oft um Politik und erhebliche Interessenkonflikte. 1154 schützenswerte Stätten stehen derzeit auf der UNESCO-Liste, 218 davon zählen zum Naturerbe. Und dort bedroht der Naturschutz oft die Existenz indigener Gruppen.

Tadschikistan: Hirten haben kaum noch Weidegründe für ihr Vieh

Zum Beispiel in Tadschikistan. In der kargen Gebirgsregion des Hohen Pamir leben halbnomadische Hirten aus dem Nachbarland Kirgisistan. Ihre geringen Möglichkeiten der Weide- und Viehwirtschaft wurden zusätzlich eingeschränkt, als das Gebiet im Jahr 2013 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Fachleute von der Organisation World Heritage Watch kritisieren, dass die Gutachter-Komitees für die Welterbestätten häufig davon ausgehen, die betroffenen Gebiete seien menschenleer. Aber das stimmt meistens nicht.

Dabei ist es nicht immer die UNESCO, die mit strengeren Vorschriften zur wachsenden Misere der indigenen Bevölkerung beiträgt. Komplizierter wird die Sachlage oft dadurch, dass Regierungen den Naturschutz- oder den Welterbe-Status als Vorwand nutzen, um ihre Interessen zu verfolgen. Das zeigt ein Blick auf den Ngorongoro National Park am Rande der Serengeti in Tansania: Dort hat vergangenes Jahr eine lokale nichtstaatliche Organisation eine Feldstudie durchgeführt und zahlreiche Bewohner nach ihren Lebensbedingungen befragt. Alle berichteten von Hunger, Elend und Perspektivlosigkeit. Zwar wurde das Schutzgebiet 1959 als „Multi Land Use Area“ eingerichtet und der lokalen Bevölkerung Land- und Weidewirtschaft erlaubt. Doch diese Entscheidung wurde später revidiert.

Tansania: Droht eine Vertreibung von Angehörigen der Massai?

1979 wurde der Ngorongoro National Park auf die UNESCO-Liste des Weltnaturerbe aufgenommen und 1981 als Biosphärenreservat ausgezeichnet, 2010 kam der Titel Weltkulturerbe dazu. Schon ein Jahr zuvor hatte die tansanische Regierung mit Hinweis auf den notwendigen Schutz des Gebietes die Landwirtschaft dort verboten. Seit 2016 dürfen auch Viehherden bestimmte Bereiche nicht mehr beweiden. Zurzeit spitzt sich die Lage weiter zu. Es häufen sich Vorwürfe, die Regierung plane, Zehntausende dort lebende Menschen vom Volk der Massai zu vertreiben. Laut der Organisation Rettet den Regenwald will die Regierung damit angeblich auf die Kritik der UNESCO am schlechten Zustand des Ngorongoro-Parks reagieren. Doch das sei nur ein Vorwand; in Wirklichkeit solle der Tourismus gefördert werden, sagt Rettet den Regenwald.

Auch ein Fall aus Thailand hat für internationale Kritik gesorgt. Beobachtern zufolge wurde die Volksgruppe der Karen bei der Aufnahme des Waldkomplexes Kaeng Krachan an der Grenze zu Myanmar als Naturerbe in die Welterbe-Liste komplett übergangen. Besonders pikant: Mehrfach hatten sogar UN-Menschenrechtsexperten dem UNESCO-Komitee für das Welterbe geraten, der thailändischen Forderung nach Naturerbe-Status nicht nachzugeben. Sie berichteten von Menschenrechtsverletzungen und Morden an Aktivisten, die sich gegen eine Umsiedlung gewehrt hätten. Zweimal, in den Jahren 2016 und 2019, hatte die UNESCO das thailändische Ansinnen abgelehnt. Doch im Juli des vergangenen Jahres hat das Welterbe-Komitee Kaeng Krachan in seine Liste aufgenommen – gegen den Rat der Weltnaturschutzunion IUCN, einem unabhängigen Beratergremium der UNESCO.

Tibet: Chinesische Regierung plant Massentourismus

Oder Tibet: 2017 warnten Fachleute eindringlich, dem Antrag Chinas nachzugeben und das Hoh-Xil-Gebiet zum Welterbe zu erklären. Das ist eine Region im Nordosten Tibets voller Seen und wilder Tiere, so groß wie Dänemark und die Niederlande zusammen. Der Status werde China nur dazu dienen, die lokale Bevölkerung zu vertreiben und Pläne für den Massentourismus umzusetzen, sagten die Kritiker. Welterbe wurde Hoh Xil trotzdem.

Da scheint es angebracht, im Jubiläumsjahr das Champagnerglas kurz abzustellen, um den Finger in die Wunde zu legen und Reformen anzumahnen. Denn nicht nur World Heritage Watch, sondern auch Amnesty International kritisiert, dass international verbriefte Rechte der indigenen Bevölkerung oft missachtet werden. Dabei wäre es falsch, den globalen Natur- und Biosphärenschutz komplett abschaffen zu wollen. Er muss nur anders gehandhabt werden.

Zivilgesellschaft soll künftig stärker beteiligt werden

Leider tut sich die UNESCO-Verwaltung in Paris schwer damit. Sie hat zwar eingeräumt, dass „Dialogprozesse verbessert werden“ müssten. Und der Leiter des UNESCO-Komitees für das Weltnaturerbe verweist darauf, dass das Komitee bei seiner Sitzung im Juli des vergangenen Jahres auch die schwelenden Konflikte mit den Einwohnern im Ngorongoro Park in Tansania und die Vorwürfe der Vertreibung diskutiert habe. Man habe bei der Regierung in Tansania nachgefragt und die habe versichert, es werde niemand vertrieben. Nun ja.

Immerhin haben sich Ende des vergangenen Jahres auf Initiative von World Heritage Watch sogenannte Pioniere des Welterbes (World Heritage Pioneers) in Potsdam getroffen, also ehemalige Direktorinnen und Direktoren des UNESCO-Welterbezentrums sowie hochrangige ehemalige Mitarbeitende der Beratergremien Internationaler Denkmalrat und Weltnaturschutzunion. Das Ergebnis ist ein 12-Punkte-Plan zur Reform der Konvention. Neben der Beteiligung der Zivilgesellschaft werden darin vor allem die „Entpolitisierung“ der Welterbe-Entscheidungen sowie nachhaltige Tourismuspläne gefordert.

Es bleibt fraglich, ob das Jubiläumsjahr Raum und Bewusstsein für Verbesserungen schafft. Angesichts des Krieges gegen die Ukraine darf Russland nicht länger dem Welterbe-Komitee vorsitzen, fordert World Heritage Watch. Und so hat in der derzeitigen Weltlage statt dringend benötigter gemeinsamer Bemühungen um den Erhalt der faszinierendsten Zeugnisse menschlicher Kultur und der Natur erst einmal wieder die Politik die Oberhand.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2022: Streiten für die Menschenrechte
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