An der Strandpromenade der südafrikanischen Hafenstadt Durban hat die ukrainische Flagge bis vor kurzem noch nie geweht. Anfang März verwandelte sich die Meile dafür gleich in ein Meer aus Gelb und Blau, als Hunderte Südafrikaner zu einem Solidaritätsmarsch zusammenkamen. „Stoppt Putin, den Aggressor“, „Hände weg von der Ukraine“ und „Visafreie Einreise für Ukrainer“, forderten ihre Plakate. Zu ähnlichen Szenen kam es in Kapstadt und der Hauptstadt Pretoria. Im Internet bieten Südafrikaner Unterstützung für gestrandete Ukrainer an - in Form von Spendenzusagen, Tipps für Unterkünfte oder auch nur einem Gespräch bei einer Tasse Kaffee. Und die global tätige Hilfsorganisation Gift of the Givers bittet um Spenden, um „medizinische und nichtmedizinische“ Hilfsgüter an Binnenvertriebene in der Ukraine liefern zu können.
Allerdings: Bis in die Flure der Regierungsbüros in Pretoria ist die Solidaritätswelle bisher nicht übergeschwappt. Die Regierung von Präsident Cyril Ramaphosa weigert sich hartnäckig, Kritik an der russischen Invasion zu äußern. Stattdessen ruft sie zum Dialog auf. Bei der UN-Resolution Anfang März, die einen Abzug russischer Truppen forderte, enthielt sich Südafrika seiner Stimme: Der Beschlusstext hätte das Potenzial, „den Keil noch tiefer zwischen die Akteure zu treiben“, betonte Südafrikas UN-Botschafterin, Mathu Joyini. Journalisten, Diplomaten und Aktivisten kaufen das Argument jedoch nicht. „Die Weigerung, diesen Krieg zu verurteilen, platziert Südafrika auf der falschen Seite der Geschichte“, sagte der Oppositionsführer Herman von der Partei Action SA.
Enge Bande zwischen Südafrika und der einstigen Sowjetunion
Südafrika gilt seit der Wahl Nelson Mandelas als „Bastion der Menschenrechte“. Dieser Ruf geriet nun ins Wanken. Buchautor John Matisonn kritisierte: „Russlands Ukraine-Invasion hat Südafrikas Versagen hervorgehoben, zu definieren, was es sein möchte - eine weltweite Bastion für demokratische Werte und Toleranz, oder ein von rückschrittlichen Freunden und unzeitmäßiger Treue geleiteter Unentschlossener.“
Autor
Markus Schönherr
ist freier Korrespondent in Kapstadt und berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus dem südlichen Afrika.Parteispenden vom russischen Bergbau-Oligarchen
Regierungskritiker vermuten noch andere Motive hinter Südafrikas weichem Russlandkurs. So wirft die Demokratische Allianz, die größte Oppositionspartei Südafrikas, dem ANC vor, knapp eine halbe Million Euro an Parteispenden von dem russischen Bergbau-Oligarchen Viktor Vekselberg erhalten zu haben. „Der ANC zögert, gegen Russland vorzugehen, da er nicht gegen seinen Zahlmeister handeln will“, so der DA-Parlamentarier James Lorimer. Auch Politikexpertin Jernberg verweist auf jüngere Verbindungen zwischen Russland und Südafrika. Vizepräsident David Mabuza habe 2021 drei Monate in Russland verbracht, „angeblich für eine medizinische Behandlung“. Und Ex-Präsident Zuma habe versucht, ein Abkommen mit Moskau für den Bau von Atomkraftwerken zu unterzeichnen. „Das deutet allgemein auf korrupte Politiker hin, die von der Gunst Russlands und Putins profitieren“, so Jernberg.
Auch spiele die gemeinsame Mitgliedschaft der beiden Staaten im BRICS-Bund (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) eine Rolle. Eine Intervention der BRICS-Staaten im Ukraine-Krieg erwartet Politologin Derica Lambrechts von der Universität Stellenbosch allerdings nicht. „Vielleicht können sie die Entwicklungen kurz- bis mittelfristig beeinflussen. Aber ich bezweifle, dass die Gruppe wirklich einen gemeinsamen Standpunkt hervorbringt.“
USA und Europa üben Druck auf Südafrika aus
Sollte die BRICS-Verbindung wirklich hinter Südafrikas Entscheidung bei den UN stecken - dann habe es unweise entschieden, analysiert Phillip de Wet. Er ist Journalist beim Online-Magazin Business Insider SA. Aus wirtschaftlicher Sicht sei der Schritt jedenfalls nicht verständlich, meint er: „Basierend auf den Zahlen von 2021, müsste Südafrika 72 Jahre mit Russland und dessen Verbündeten handeln, um zu denselben Geschäftsergebnissen zu kommen, die es mit der NATO innerhalb eines Jahres erzielt“, so De Wet.
Präsident Ramaphosa auf einem Maschendrahtzaun sitzend; unschlüssig, ob er rechts oder links abspringen soll. So wurde der Staatschef in den vergangenen Tagen häufig in lokalen Medien karikiert. Als „fence sitter“, also „Zaunsitzer“, bezeichnet man Unentschlossene. Der Westen jedenfalls macht Druck auf Südafrika. Riina Kionka, EU-Botschafterin in Pretoria, warnte vor den „Auswirkungen“, die Südafrikas Russlandkurs auf die Beziehungen mit Europa haben werde. Diese könnten, je nach Südafrikas Entscheidungen, positiv wie negativ ausfallen. Ebenso drängte der höchste diplomatische US-Vertreter, Chargé d‘affaires Todd Haskell, sein Gastgeberland, endlich Position zu beziehen. Dabei erinnerte er an die Worte von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu: „Wer in einer Situation der Ungerechtigkeit neutral bleibt, hat die Seite des Unterdrückers gewählt.“
Benzinpreise auf Rekordhoch, Sorgen vor steigenden Brotpreisen
Kapstadt: Auch im Westen von Südafrika brodelt es an diplomatischer Front. So betonte die ukrainische Botschafterin Liubov Abravitova gegenüber Reportern im Cape Town Press Club: Jeder Freiwillige, der in der Ukraine kämpfen wolle, sei willkommen. „Unser Volk, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Kraftwerke, Infrastruktur, architektonische und kulturelle Orte stehen unter Beschuss der russischen Streitkräfte“, so die Diplomatin. Zuvor hatte die russische Botschaft in Südafrika die ukrainische Gemeinde beschuldigt, am Kap Kämpfer zu rekrutieren. Die „Ukrainian Association of South Africa“ wies diese Vorwürfe als russische „Propaganda“ zurück. Im Jahr 2020 lebten nach UN-Angaben 4.090 Russen und 4.588 Ukrainer in Südafrika.
Wesentlich klarer sind jetzt bereits die Auswirkungen des Kriegs auf Südafrika. Die Treibstoffpreise erreichten in der zweiten Kriegswoche auch in der Kap-Republik einen neuen Rekord. Brot werde spätestens im Juni teurer, schätzen Ökonomen. Die Auswirkungen wird vor allem die verarmte Mehrheit zu spüren bekommen: Mehr als die Hälfte der 60 Millionen Südafrikaner lebt nach nationalen Maßstäben unter der Armutsgrenze. Zwei Millionen Südafrikaner verloren während der Covid-19-Pandemie ihre Jobs. Und erst Anfang März stufte die Weltbank Südafrika erneut als Land mit der ungerechtesten Reichtumsverteilung der Welt ein. Zu Pretorias neutralem Kurs schreibt Wirtschaftsjournalist De Wet: „Wenn dies Südafrikas Neigung im Wirtschaftskrieg widerspiegelt, basiert seine Entscheidung keinesfalls auf wirtschaftlichem Eigeninteresse.“
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