Impfgerechtigkeit statt Impf-Charity

Herausgeberkolumne
Das egoistische Verhalten des globalen Nordens in der Pandemie schadet nicht nur dem Süden, es richtet weltweit Schaden an.

Dr. Dagmar Pruin, Präsidentin Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe - Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung e.V.
Seit  zwei Jahren hält die Covid-19-Pandemie die Welt im Griff. In Rekordzeit wurden Impfstoffe entwickelt, getestet und zugelassen. Mit privatem Kapital, aber auch großzügig mit Steuergeldern unterstützt, gelang der internationalen Forschung dieser Erfolg. 

COVAX, die Impfstoffinitiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wurde im April 2020 begründet, um den Wettbewerb um Impfstoffe zu unterbinden und globale Solidarität ins Zentrum zu stellen. Bundeskanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sprachen im Mai 2020 von Impfstoff als globalem öffentlichem Gut, denn schon damals war klar, dass Corona nur global eingedämmt werden kann. COVAX sollte den gesamten globalen Impfstoffbedarf decken, nicht nur den ärmerer Länder. 

Ghana musste für Impfdosen sehr viel mehr bezahlen als die EU

Bis Ende 2021 wurden weltweit 8,5 Milliarden Impfdosen verabreicht – davon aber nur 610 Millionen über COVAX. In wohlhabenden Ländern erhielten im vergangenen November täglich  sechsmal mehr Menschen eine Auffrischungsimpfung als Menschen in Ländern mit niedrigen Einkommen eine Erstimpfung. Statt sich an COVAX zu beteiligen, haben die wohlhabenden Länder bilateral Verträge mit Herstellern geschlossen und dabei weit über den eigenen Bedarf hinaus Impfstoff geordert – allein Deutschland etwa 600 Millionen Dosen für 83 Millionen Menschen. Gleich zu Beginn der Pandemie hatten mehrere Länder Schutzmaterialien gehortet und deren Export untersagt. Dass Testmöglichkeiten fast nur in wohlhabenden Ländern zur Verfügung standen, erschwerte die Überwachung der Ausbreitung von Covid-19 in vielen Ländern zusätzlich. In der Folge schnellten die Preise für diese Produkte in die Höhe. So kosteten die Impfdosen in Ghana ein Vielfaches dessen, was die EU bezahlen musste.

Doch nicht nur Impfstoffnationalismus hat die COVAX-Idee geschwächt. Von Anfang an haben die Regierungen COVAX nicht ausreichend finanziert. Ende 2021 belief sich die Lücke zwischen Zusagen und Zahlungen auf knapp sieben Milliarden US-Dollar. Hinzukommt, dass sich viele Pharmaunternehmen nur sehr zögerlich an COVAX beteiligt haben, schließlich war das für sie wegen der bilateralen Verträge auch kaum nötig. Allein bis Oktober 2021 erhielten reiche Länder 15-mal mehr Dosen als COVAX. Nur zwölf Prozent der COVAX zugesagten Dosen wurden tatsächlich von den Pharmaunternehmen geliefert. So ist COVAX derzeit auf Impfstoffspenden aus reichen Ländern angewiesen. In diesen wurden bereits Millionen überschüssige Dosen vernichtet, die nicht rechtzeitig vor Ablauf der Haltbarkeit verimpft werden konnten. Erschwerend kommt hinzu, dass Regierungen Verträge mit Herstellern abgeschlossen haben, die eine Weitergabe an COVAX explizit untersagten oder nur mit Zustimmung der Hersteller ermöglichten. Nach monatelangen Verhandlungen scheint dies nun mit hohen Ausgleichszahlungen doch möglich. Pfizer hat zudem sogar potenziellen Empfängern (Brasilien) untersagt, Impfspenden von Dritten (Regierungen oder COVAX) anzunehmen.  

Hundert Hersteller in Afrika, Asien und Lateinamerika stehen bereit

Die WHO hat den Impfstoffmangel als größte Herausforderung bei der Pandemiebekämpfung ausgemacht. Zu einer wirksamen Pandemie-Bekämpfung braucht es daher Impfgerechtigkeit, keine Impf-Charity. Dazu muss die Produktion von Impfstoffen, Schutzmaterialien und künftigen Covid-Medikamenten ausgeweitet werden. Hundert Hersteller in Afrika, Asien und Lateinamerika stehen bereit. Wenn die Rechte geklärt sind und sie die nötige Technologie bekommen, könnten sie innerhalb weniger Monate die Herstellung von mRNA-Impfstoffen aufnehmen. Die WHO hat unter anderem in Südafrika einen mRNA-Hub ins Leben gerufen, um Know-how und Technologien zu teilen (siehe dazu auch den Artikel auf Seite 42). Für die Dauer der Pandemie sollte zudem der Schutz geistiger Eigentumsrechte ausgesetzt werden – eine Forderung, der sich neben hundert Regierungen und dem EU-Parlament auch Hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angeschlossen haben. 

Eine Ausweitung der Impfstoffproduktion würde auch Deutschland helfen, die Pandemie schneller zu beenden. Demnächst wird es an Omikron oder künftige Varianten angepasste Impfstoffe geben. Wenn die Welt dann weiterhin von nur einer Handvoll Unternehmen abhängig ist, könnte es nicht nur im globalen Süden, sondern auch in Europa wieder zu Lieferengpässen kommen. Besser ist es, jetzt alle Kooperationen einzugehen, die möglich sind, um die Produktion stark auszuweiten. 

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erschienen in Ausgabe 2 / 2022: Riskante Geschäfte mit der Chemie
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