„Wo Wald steht, wächst noch Reis“

Frank Bliss
Reisfelder in der Provinz Anosy. In ein- und derselben Provinz regnet es unterschiedlich stark, sodass einige Menschen kaum etwas ernten können und von Hunger betroffen sind, während die Ernte ein paar Dörfer weiter normal ausfällt.
Madagaskar
Im Süden Madagaskars herrscht Hunger – aber nicht überall. Frank Bliss hat das Gebiet besucht und festgestellt: An der Trockenheit allein liegt es nicht.

Frank Bliss ist Professor für Ethnologie (Schwerpunkt Entwicklungsethnologie) an der Universität Hamburg und Senior Research Fellow am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen.
Herr Bliss, zu welchem Zweck haben Sie im November Madagaskar besucht?
Im Rahmen eines Forschungsvorhabens zu Armut und Ernährungsunsicherheit am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) zusammen mit dem BMZ. Ich habe ein Projekt der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu ganzheitlicher Landwirtschaftsförderung besucht. Wir waren im Süden und Südosten Madagaskars, darunter in Androy; das ist die südliche Provinz, die von einer Hungersnot betroffen ist. 

Die Hungersnot wird allgemein auf mehrere Dürrejahre zurückgeführt. Können Sie das bestätigen? 
Teilweise. Richtig ist: Die Regenzeiten werden unregelmäßiger. Dass es nicht mehr über längere Zeit verlässlich Niederschläge gibt, ist die Ursache der Not in vielen Teilen der Provinz. Aber auffällig sind die Unterschiede auf kleinem Raum. Nicht überall in Androy herrscht langanhaltende Trockenheit. In einem Dorf hat uns von etwa 25 Gesprächspartnern die Hälfte gesagt, dass sie in der Saison Oktober 2020 bis Mai 2021 eine normale Erdnussernte hatten, die andere Hälfte hatte gar nichts geerntet oder höchstens doppelt so viel, wie sie gesät hatten. 

Weil es von Ort zu Ort sehr unterschiedlich geregnet hat? 
Ja, sowohl was die Menge der Niederschläge angeht als auch die zeitliche Verteilung. Es gab in Androy Ortschaften und Gemeinden, in denen Ernten total ausgefallen sind, es gab aber auch Kommunen und Orte fast ohne Ausfälle, weil es dort mehr oder zeitlich besser verteilt geregnet hat. Das ist übrigens ein Problem für Klimarisikoversicherungen: Es ist schwierig, Auszahlungen für Ernteverluste nach einen Regen-Index festzulegen, wenn die Niederschläge in ein und demselben Distrikt oder gar einer Provinz so stark variieren. 

In der vom Hunger betroffenen Provinz gibt es eine Versicherung gegen klimabedingte Ernteverluste? Wer bietet die an?
Eine Versicherungsfirma in Madagaskar, mit der die GIZ ein Abkommen geschlossen hat, um das Modell zu testen. Die Entwicklungszusammenarbeit möchte in Madagaskar solche Versicherungen aufbauen. Sie gilt bisher aber nur für den Erdnussanbau und es sind nur ein paar Hundert Betriebe schon so versichert. Die Idee wäre jetzt fast gescheitert, weil die Auszahlungen an einen auf ein größeres Gebiet bezogenen Niederschlagsindex gebunden sind. Danach gab es theoretisch genug Niederschlag und die Versicherung wollte anfangs nicht zahlen. Die Versicherung konnte am Ende überzeugt werden, dass es in einzelnen Gebieten deutlich schlechter war als in der Provinz insgesamt, und sie hat dort als Kompromiss die Hälfte der Leistungen ausbezahlt. Sonst wären Bauern, die große Einbußen haben, frustriert und würden keine Versicherung mehr abschließen. Der Fall zeigt: Bei diesem Versicherungsmodell muss man mindestens in jeder Kommune Wetterstationen haben und kann sich nicht mit groben Messungen des Niederschlags auf Provinzebene begnügen. 

Hängt die Dürre auch mit Waldverlusten zusammen?
Ja. Zum einen ist das Wetter – nicht das Klima – auch von der Vegetation beeinflusst. In Androy und im benachbarten Anosy, der nordöstlich an Androy grenzenden Provinz, sind viele Gebiete großflächig abgeholzt worden, auch die Hänge der Mittelgebirge. Das kann durchaus auch das Wetter ungünstig beeinflussen, vermute ich. Und eine Folge der Abholzung kann man klar sehen: den Verlust von Wasserspeichern. In Anosy gibt es noch geschützten Primärwald im Nationalpark von Andohahela. Da bildet sich bei normalen Regenfällen in den Bergen viel Wasser. Auf abgeholzten Hängen wird dagegen kein Wasser gespeichert und das führt zu Missernten.  

Wüstenlandschaft in Madagaskar: Die Agrarverwaltung besteht nur noch aus wenigen Leuten in der Provinzhauptstadt und ein Beratungssystem gibt es praktisch nicht. Das führt dazu, dass überall Bäume gefällt werden und kaum Gräben zum besseren Einsickern des Regenwassers angelegt werden.
Man sieht, dass Dörfer, bei denen der Wald noch steht, bei Trockenheit viel besser über die Runden kommen? 
Ja. Unterhalb des relativ kleinen Nationalparks in Anosy standen Ende November die Reisfelder unter Wasser; der Reis wuchs relativ gut – abgesehen davon, dass es an Düngemitteln fehlt. Wenn man dann wenige Kilometer über eine Wasserscheide ins nächste Wassereinzugsgebiet fährt, sieht man kahle Hänge. Reis wächst dort kaum noch, es herrscht absolute Trockenheit. Normalerweise hat man dort zweimal im Jahr Reis gepflanzt; das ist praktisch nicht mehr möglich.

Wer ist für die Abholzung verantwortlich, Firmen von außen oder eher die Leute selbst? 
Wo wir waren, macht das überwiegend die lokale Bevölkerung. Ressourcenschutz ist in den Dörfern kaum ein Thema, das sagen die Bauern auch. Man hört es vielleicht mal in der Schule oder im Radio, aber es gibt kein staatliches Programm dafür. 

Die Menschen wissen aber, dass Abholzung schädlich ist? 
Grundsätzlich schon. Aber dass der Verlust von Wäldern unmittelbar die Reisernte gefährdet, wird übersehen angesichts des Bedürfnisses, Feuerholz zu holen und vor allem Holzkohle zu produzieren, um etwas Geld zu verdienen. Außerdem benötigen sie neue Flächen für den Anbau von Yams als Ersatz für den Ausfall bei der Reisernte; teilweise gewinnt man die mit Brandrodung. Beschleunigt wird all das vom Bevölkerungswachstum, das im Landesdurchschnitt bei fast drei Prozent liegt, auf dem Land noch einmal höher.

Steigen Bäuerinnen und Bauern wegen der veränderten Wettermuster auf andere Früchte um? 
Ja. Mir wurde gesagt, dass Süßkartoffeln und Maniok verstärkt angebaut werden. Die kommen mit weniger Niederschlag aus und vor allem können sie Trockenperioden innerhalb der Regenzeit überstehen. Maniok ist allerdings kein beliebtes Essen, die dort angebaute Sorte ergibt ein ziemlich geschmackloses Gemüse.

Welche Alternativen haben die Leute sonst, was können sie tun? 
Man könnte auf den Feldern für bessere Wasserrückhaltung sorgen. In Androy bin ich 180 Kilometer durchs Land gefahren und habe nicht eine Steinreihe und nicht einen entlang der Höhenlinien angelegten Graben oder Wall gesehen. Damit könnte man dafür sorgen, dass Niederschläge besser einsickern und im Grundwasser und den oberen Bodenschichten verfügbar sind. Das funktioniert sogar in der Sahelzone, wo die jährliche Regenmenge weit niedriger ist, als sie in Madagaskar selbst in Dürrejahren ist. Ich habe auch keine neu angelegte Windschutz-Baumkette gesehen – nur kahle Felder und Hecken aus Agaven, die wenig Windschutz bieten. Das Ergebnis sind Staubstürme wie in der Sahara, Lkw bleiben auf der Nationalstraße im Sand stecken. Man sollte auch unbedingt die letzten Bäume auf den Feldern stehen lassen. Dagegen habe ich von einigen Bauern gehört, man solle alle Bäume auf dem Acker fällen, weil manche Früchte nicht im Schatten wachsen würden. Das ist Unsinn, man kann ohne Produktionseinbußen einige Bäume stehen lassen. Aufforstung ist dafür kein Ersatz, auch wenn man natürlich neue Bäume nachwachsen lassen muss. 

Können lokale Behörden Ressourcenschutz fördern? 
Die Agrarverwaltung besteht nur noch aus wenigen Leuten in der Provinzhauptstadt und ein Beratungssystem gibt es praktisch nicht, außer in Entwicklungsprojekten. Das GIZ-Projekt arbeitet auch mit staatlichem Personal und mit örtlichen Landwirtschaftskammern und Produzentengruppen zusammen. Das wirkt, aber eben nur im begrenzten Projektgebiet, das sich auf ausgewählte Dörfer konzentriert. Es müsste flächendeckend passieren.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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