Ja, absolut. Die Rücknahme der Reformen ist ein großartiger Sieg für die Zivilgesellschaft und die Demokratie in Indien. Allerdings ist es damit nicht getan. Viele Farmer und Bäuerinnen haben im Alltag große Probleme, zum Beispiel wenn es um den Zugang zu landwirtschaftlichen Technologien oder Kapital geht. Auch nach der Ernte benötigen sie finanzielle Unterstützung, um die Ernte zu lagern, bis sie eine bessere Rendite erzielen können.
Manche sagen, das sei keineswegs der Protest armer Bauern gewesen, sondern die Revolte einer relativ wohlhabenden Kaste in Nordindien, die um den Verlust ihrer Vorherrschaft fürchtete…
Nein, das stimmt so nicht. Die Bauernproteste wurden von der breiten Masse getragen, nicht von einer einzigen Schicht. Landwirte aus dem ganzen Land haben sich daran beteiligt. Die Zugehörigkeit zu einer Kaste, sozialen Schicht oder Religion spielte bei den Demonstrationen keine Rolle. Ziel der im September 2020 verabschiedeten Agrarreform war es, den Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu deregulieren. Das wäre für die Bäuerinnen und Bauern ein Problem geworden, weil sie für ihre Ernteerzeugnisse keinen Mindestabnahmepreis mehr bekommen hätten und große, multinationale Konzerne noch stärker als ohnehin schon geworden wären. Außerdem wollte die nationale Regierung durch die Reformen die Regierungen der Bundesstaaten schwächen.
Warum hat die Regierung nun doch eingelenkt? Geht es Modi vor allem darum, sich bei den anstehenden Wahlen in den wichtigen Bundesstaaten Punjab und Uttar Pradesh Stimmen zu sichern?
Vielleicht sind die anstehenden Wahlen ein Grund dafür, schließlich kommen viele protestierende Landwirte aus diesen Bundesstaaten. Aber für uns zählt das Ergebnis, und darüber freuen wir uns. Nun müssen wir aber weitermachen: In Indien wird die Landwirtschaft vor allem von Kleinbauern- und bäuerinnen bestimmt: Siebzig Prozent aller indischen Farmer besitzen weniger als einen Hektar Land. Aber Landwirtinnen und Kleinbauern haben keinen Zugang zu den von der Regierung subventionierten Programmen und den nötigen Technologien.
Welche Reformen sind nötig?
Unserer Organisation geht es darum, das Leben für Frauen in der Landwirtschaft zu verbessern, sie im Alltag miteinander zu vernetzen und gemeinsam für unsere Rechte einzutreten. Deshalb sind uns vor allem drei Dinge wichtig: Erstens müssen die Gesetze geändert werden, sodass Frauen das Recht haben, Land zu besitzen. Bislang ist ihnen das verwehrt – dabei tragen sie mit ihrer Arbeit in der Landwirtschaft viel zum Einkommen der Familie bei. Zweitens müssen sie auch als Kleinbäuerinnen Kapital und Subventionen erhalten – auch das ist größtenteils den Männern vorbehalten. Und drittens brauchen sie entsprechendes Wissen sowie den Zugang zu Infrastruktur und Technik, um produktiv und gleichzeitig nachhaltig arbeiten zu können.
Wie will Ihre Organisation SSP diese Ziele erreichen?
Wir sind immer wieder im Dialog mit der Regierung und weisen nach, welche Vorteile es bringt, Frauen in der Landwirtschaft zu fördern. Wir sprechen vor allem mit den Lokalverwaltungen und der Regierung unseres Bundesstaates, da sie die politische Entscheidungsinstanz ist.
Wie sieht ihre Hilfe für die Kleinbäuerinnen konkret aus?
Wir tragen dazu bei, dass die Frauen sich vernetzen, Wissen teilen und austauschen, aber auch in Schulungen neues Wissen erlernen, beispielsweise zum Klimawandel, zum Wassermanagement oder zu Führungsqualitäten. Außerdem bieten wir Kurse an zum Umgang mit lokalen Verwaltungsbeamten. Bis die genannten Reformschritte erreicht sind, ist es noch ein langer Weg, denn dafür ist es nicht nur nötig, Gesetze zu ändern. Ändern müssen sich auch die kulturellen Gepflogenheiten und Normen. Die Gesellschaft ist noch immer patriarchal, gerade im Bereich der Landwirtschaft werden vielerorts nur Männer akzeptiert. Dabei sind es häufig Frauen, die verantwortungsvoll wirtschaften, weil sie immer das Wohl ihrer Familie im Blick haben. So helfen sie, den Hunger zu reduzieren. Die Frauen, die wir unterstützen, setzen zudem auf Biodiversität. Das ist gut für die Ernährungssituation der Familien und fürs Klima. Trotz alledem werden Frauen nicht als gleichberechtigte Stakeholder angesehen. Das muss sich dringend ändern!
Haben Sie denn schon Fortschritte erzielt in den vergangenen Jahren?
Oh ja! Frauen sind sehr viel sichtbarer und akzeptierter in der Gesellschaft und auch in der Landwirtschaft als noch vor einigen Jahren. Als ich in den 1990er Jahren mit dieser Arbeit anfing, war der Platz für Frauen im Haus und nirgends sonst. Sie mussten ihre Männer um Erlaubnis bitten, wenn sie das Haus verlassen wollten. Mittlerweile haben Frauen durch ihre Arbeit außerhalb des Hauses und der Familie sowohl ökonomische Unabhängigkeit als auch ein neues Selbstbewusstsein erlangt. Derzeit beteiligen sich Frauengruppen auch an Regierungsprogrammen, etwa an einer gemeinsamen Initiative der Regierung von Maharashtra und der Weltbank. In Indien arbeiten wir mit rund 500.000 Frauen zusammen, und jede Einzelne von ihnen trägt dazu bei, dass es der Familie besser geht und sie in wirtschaftlicher Hinsicht widerstandsfähiger wird. Die Politik sollte endlich diese neue Realität akzeptieren.
Was sollten nun die nächsten Schritte sein?
Die Landwirte müssen sich zusammensetzen und ihre Forderungen und Bedürfnisse formulieren, um diese gegenüber der Regierung klar zum Ausdruck zu bringen. Dabei sollte es sowohl darum gehen, was die großen Farmer brauchen als auch um die Forderungen der Kleinbäuerinnen – denn die sind nicht immer deckungsgleich. Ich bin optimistisch, dass wir bedeutende Fortschritte erleben werden. In zehn Jahren werden Frauen Landbesitzerinnen sein, die Märkte und das Land werden fest in ihren Händen sein.
Das Interview führte Elisa Rheinheimer.
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