Verwirrte Verbraucher

Gütezeichen dienen der Orientierung auf einem unüberschaubaren Markt. Eines der bekanntesten ist das blau-grüne Fairtrade-Label. Trotzdem will das Welthandelshaus GEPA künftig darauf verzichten und lieber mit einem „fair plus“-Zeichen die eigene Marke stärken. Das sorgt für Unruhe.

Für kritische Verbraucher wird es zunehmend schwieriger, sich nach Siegeln zu richten, denen sie vertrauen. Denn mittlerweile gibt es rund tausend Label in Deutschland. Eine besonders wichtige Funktion genießen daher die drei bekanntesten: das Biosiegel der Europäischen Union (EU), das Umweltschutz-Zeichen Blauer Engel und das blau-grüne Fairtrade-Siegel. Verbraucher, die sich nicht nur für ökologische Fragen, sondern vor allem auch für soziale Aspekte bei der Wertschöpfungskette von Produkten aus Ländern des globalen Südens interessieren, kaufen Produkte mit dem Fairtrade-Siegel. Es garantiert kleinbäuerlichen Produzenten in Entwicklungs- und Schwellenländern höhere Preise als auf dem Weltmarkt und langfristige Verträge, die ihnen Planungssicherheit geben. Außerdem enthält Fairtrade eine zusätzliche Prämie, die es den Kooperativen und Genossenschaften ermöglicht, sich sozial und wirtschaftlich weiterzuentwickeln.

Allerdings hat sich das Angebot fair gehandelter Produkte auf dem deutschen Markt in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet. Unter dem Etikett des fairen Handels finden die Verbraucher mittlerweile unterschiedliche Standards. Für Wirbel sorgte das Fair-Handelshaus GEPA im Mai mit einer Entscheidung, die andere, kleinere Lizenznehmer eher unbemerkt schon vor ihm getroffen haben. Der größte Importeur fair gehandelter Produkte in Europa hat beschlossen, das Fairtrade-Siegel nach und nach von den meisten Waren seines Sortiments zu entfernen.

Es wird damit in Weltläden und Supermärkten künftig mehr fair gehandelte Produkte ohne Fairtrade-Siegel geben, obwohl sie weiterhin vom internationalen Dachverband von Fair-Trade, der Fair Labelling Organisation (FLO), zertifiziert werden. Die GEPA will das Fairtrade-Siegel im Rahmen ihrer neuen Markenstrategie durch ein „fair plus“ Zusatzzeichen ersetzen. An den Produkten ändert sich nichts. „fair plus“ soll signalisieren, dass die GEPA über die Standards von FLO hinausgeht. Sie zahlt ihren Produzenten bei vielen Produkten höhere Preise als von FLO vorgeschrieben. Die Produzenten erhalten eine Vorauszahlung als eine Art zinsgünstigen Kredit. Außerdem will die GEPA damit deutlich machen, dass sie nicht nur einzelne „faire“ Produktlinien anbietet wie manche Unternehmen, sondern ausschließlich fair gehandelte Produkte im Sortiment hat. Das war zwar schon immer so, aber mit „fair plus“ will die GEPA das deutlicher herausstellen: Wir sind besser und wollen es auch zeigen.

Autorin

Claudia Mende

ist freie Journalistin in München und ständige Korrespondentin von „welt-sichten“. www.claudia-mende.de

Zwanzig Jahre nach der Einführung des Fairtrade-Siegels in Deutschland sind die Produkte des fairen Handels zwar immer noch eine Nischenerscheinung, sie machen gerade einmal ein Prozent des hart umkämpften Lebensmittelhandels aus. Ihr Umsatz steigt aber seit Jahren zweistellig: 2011 um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr, bei Kaffee waren es sogar 22 Prozent, bei Bananen rekordverdächtige 59 Prozent. 80 Prozent aller fair gehandelten Produkte tragen das Transfair-Siegel. Die Organisation ist damit der größte Akteur im fairen Handel in Deutschland.  Die Produzenten in den Ländern des Südens profitieren davon, wenn sie mehr Abnehmer finden. Weltweit genießen über 1,2 Millionen Kleinbauern und Arbeiter in 63 Ländern die Vorteile von Fairtrade.

Elke Meißner von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hält die Entscheidung der GEPA  für problematisch.  „Die Verbraucher blicken ja nicht mehr durch“, kritisiert sie. Inzwischen tragen manche Produkte zwei oder drei verschiedene Siegel. Meißner fände deshalb eine einheitliche gesetzliche Kennzeichnung für den fairen Handel gut, die vergleichbar mit dem EU-Biosiegel sein sollte. „Konsumenten suchen in der reizüberfluteten Mediengesellschaft den schnellen Rat statt komplizierte Informationswege.“ Eine neue Siegeldebatte verunsichere nur.

Dennoch hat die GEPA gute Gründe für ihre Entscheidung. Sie liegen im veränderten Markt für fair gehandelte Produkte. Der Erfolg von Transfair hat aus einer ursprünglich sozialen Bewegung eine Handelsbranche gemacht, in der es mehr Wettbewerb zwischen den einzelnen Anbietern gibt. Supermärkte und Discounter wie Aldi oder Lidl bieten zahlreiche Produkte zu günstigeren Preisen an als Weltläden oder kirchliche Aktionsgruppen. Das setzt die GEPA unter Druck, die Weltläden, Supermärkte und den Einzelhandel beliefert.

Backmischung mit fair gehandelten Schokosplittern

Im vergangenen Jahr hat sie regionale Zentren geschlossen und Mitarbeiter entlassen. Es war Zeit, sich neu zu positionieren und die eigene Marke zu stärken. Das ist der Organisation, die von kirchlichen Trägern verantwortet wird, auch gelungen. Im Geschäftsjahr 2011/2012, das Ende März auslief, hat die GEPA erstmals die Grenze von 60 Millionen Euro beim Großhandelsumsatz überschritten, eine Steigerung um 5,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Verbraucherinnen und Verbraucher sind bereit, für hervorragende, rundum faire Qualität auch mehr zu bezahlen“, sagt Geschäftsführer Thomas Speck.

Zudem steht die GEPA mit ihrer Entscheidung nicht allein da. Andere Importeure haben sich schon früher von Transfair abgesetzt, und die Weltläden arbeiten ebenfalls daran, ein eigenes Markenzeichen zu entwickeln. Transfair ist längst nicht mehr unumstritten. Mit neuen Bestimmungen bei der Zertifizierung habe sich die Organisation unfaire Vorteile im Wettbewerb verschafft, kritisiert Martin Lang von der Fairhandelsgenossenschaft dwp in Ravensburg. Die Fair Labelling Organisation hat 2011 neue Standards für sogenannte Mischprodukte erlassen, die aus verschiedenen Zutaten zusammengesetzt sind. Der Anteil von Zutaten aus fairem Handel in einem Mischprodukt wurde von 50 auf 20 Prozent herabgesetzt. Jetzt könnte zum Beispiel eine Backmischung für Kuchen mit fairen Schokosplittern als fair gehandelt durchgehen.

Allerdings müssen nach wie vor alle Zutaten, für die es eine faire Alternative gibt, auch gesiegelt sein. Die dwp sieht darin trotzdem eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber den kleineren Lizenznehmern, die in ihren Mischprodukten einen höheren Anteil an fair gehandelte Zutaten bieten, aber deswegen auch höhere Preise verlangen müssen.

Bei Transfair hält man die Entscheidung für weichere Standards bei Mischprodukten dagegen für unausweichlich, um dauerhaft auf dem Massenmarkt für Lebensmittel zu bestehen. Bei der Vielzahl der Siegel würden interessierte Unternehmen sonst auf andere, eher industrienahe Nachhaltigkeits-Siegel wie „Rainforest Alliance“ oder „CCCC“ zurückgreifen, denen weniger strenge Kriterien zugrunde liegen. „Für die Produzenten ist es eine große Chance, wenn wir Mischprodukte anbieten können“, sagt Martin Schüller von Transfair. Vor allem bei Kakao und Zucker stünden Produzenten auf der Warteliste, die gerne ins Zertifizierungssystem des fairen Handels einsteigen oder ihre Absatzmengen steigern wollten. Von Backmischungen bis zu  Schokochips biete die verarbeitende Lebensmittelindustrie ein großes Potenzial, das der faire Handel noch nicht ausschöpft.

Die Fairhandelsgenossenschaft dwp dagegen setzt lieber auf das 2009 eingeführte Naturland-Fair-Siegel mit seinen strengeren Standards. Der Importeur aus Ravensburg verzichtet schon länger fast ganz auf das Transfair-Siegel für seine Waren und will diese nicht in den Regalen von Discountern sehen. „Wir wollen nicht mit Lidl und Co. in einem Boot sitzen, das Transfair-Siegel würde unsere Produkte keineswegs aufwerten“, meint Martin Lang. Wie die GEPA ist auch dwp ein Unternehmen, das ausschließlich fair Gehandeltes anbietet, im Gegensatz zu Unternehmen, die sich mit einzelnen fair gehandelten Produkten schmücken – etwa der umstrittene Lebensmittelkonzern Nestlé, der neben seinem konventionellen Sortiment den fair gehandelten Schokoriegel Kitkat in Großbritannien anbietet.

Ein Teil der Kritik an Transfair rührt daher, dass die Organisation Produkte bewertet und nicht Unternehmen. Nur deshalb kann Nestlé das Siegel tragen. Die GEPA will sich von solchen Praktiken absetzen. „Wir wollen die Marke GEPA als Premium-Produkt etablieren“, sagt Thomas Antkowiak vom katholischen Hilfswerk Misereor, das 36 Prozent der Anteile an der GEPA hält. Für das Hilfswerk war die Entscheidung nicht einfach, weil Misereor gleichzeitig auch Gesellschafter bei Transfair ist. Antkowiak glaubt nicht, dass diese Entscheidung für den fairen Handel von Nachteil ist. Im Gegenteil. „Es wird sich auf den fairen Handel insgesamt belebend auswirken, wenn es verschiedene Marken und Anbieter gibt, die die Standards des fairen Handels erfüllen.“ Allerdings will sich Misereor genau anschauen, welche Auswirkungen die neue Politik der GEPA auf den fairen Handel hat.

Die Amerikaner wollen große Plantagen mit ins Boot holen

„Um einen signifikanten Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten zu können, muss der faire Handel weiter wachsen“, betont Transfair, für die die Entscheidung der GEPA einen herben Rückschlag bedeutet. Die Kraft des fairen Handels werde damit geschwächt. Die Strategie von Transfair, möglichst schnell den Umsatz zu steigern, birgt jedoch ebenfalls Risiken für die Zukunft. Mit zweifelhaften Entscheidungen wie den Anforderungen für Mischprodukte macht sich Transfair als deutscher Zweig der internationalen Labelorganisation FLO unnötig angreifbar.

Auch international ist FLO unter Druck geraten – allerdings stecken andere Absichten dahinter als in Deutschland. Transfair USA hat das System zur Zertifizierung ganz verlassen und baut eigene Mechanismen zur Kontrolle von Fair-Handels-Standards auf. Die amerikanische Organisation will mit ihrem neuen Programm „Fair Trade for All“ bis zum Jahr 2015 den Umsatz fair gehandelter Produkte verdoppeln und dazu vor allem bei Kaffee neue Anbieter ins Zertifizierungssystem lassen.

Die Amerikaner wollen die strengen Kriterien für die Anbieter lockern und große Plantagen mit ins Boot holen – also genau das Gegenteil von dem, was deutsche Importeure wie die GEPA oder dwp machen. Wenn große Kaffeeröstereien mit ihrem Bedarf ins System kommen sollen, muss man es für Plantagen öffnen, weil nur sie die notwendigen Mengen an Kaffee zur Verfügung stellen können, lautet die Argumentation. Fragt sich aber, was das mit dem ursprünglichen Gedanke des fairen Handels zu tun hat, mit dem in den 1970er Jahren Engagierte begannen, Genossenschaften und Kooperativen vor allem in Mittelamerika zu unterstützen. Transfair hat sich in vier Jahrzehnten das Vertrauen der Verbraucher erarbeitet. Das kann die Organisation aber auch wieder verspielen.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2012: Auf der Flucht
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