Als George Mkumba an diesem Julimorgen aufwacht, fühlt er sich niedergeschlagen, und auch um 11 Uhr kann er sich nicht aufraffen, mit der Arbeit zu beginnen. Für die Bewohner des Dorfes Mpanga im Kilombero-Distrikt im Süden Tansanias, fast 700 Kilometer von der Millionenmetropole Daressalam entfernt, ist der Juli der Höhepunkt der Reisernte. Die Bauern freuen sich normalerweise darauf, die Ernte einzubringen. Denn nach der Ernte wird gefeiert.
Doch mit seinen 83 Jahren arbeitet Mkumba allein auf seinem Hektar Land – das erschöpft ihn, auch wenn die Ernte in diesem Jahr ohnehin nicht gut ausgefallen ist. Er ist alt, und ihm fehlt es an Unterstützung. „Früher hätte ich die Ernte an einem Tag eingefahren“, erzählt er. „Ich habe dann einfach etwas Bier gebraut und Helfer eingeladen.“ Das halbe Dorf wäre vorbeigekommen und die Arbeit wäre schnell erledigt gewesen, fügt er hinzu. „Heute ist das nicht mehr so.“
Er erinnert sich an die Situation vor etwa 40 Jahren, als er noch jung war und die Dorfbewohner zusammengearbeitet haben: Sie haben gemeinsam die Felder vorbereitet, gepflanzt, gejätet und geerntet. Wenn die Ernte gut war, halfen die Dorfbewohner auch dabei, sie in die Kornkammern zu bringen. Eine Familie musste lediglich genügend Bier brauen und andere Dorfbewohner zum Helfen einladen.
Alle Dorfbewohner waren wie eine Familie
Wenn die Zeiten schwieriger waren und es nicht genügend Getreide für das selbst gebraute Bier gab, bereitete die Familie Essen für alle Helfenden zu. „Die Leute kamen nicht wegen des Biers oder des Essens zur Ernte“, sagt Mkumba. „Es war der Geist der Zusammengehörigkeit, der uns verband. Alle Dorfbewohner waren wie eine Familie und haben sich gegenseitig geholfen, damit niemand hungern musste. Dieser Geist ist völlig verschwunden. Heute ist jeder auf sich gestellt. Ein, zwei Leute arbeiten auf deiner Farm, wenn du Geld hast und sie bezahlen kannst, aber sie wollen kein Bier oder Essen“, erklärt er.
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George Mkumba wurde am 1. Januar 1938 geboren. Er besuchte die Grundschule und half dann seinen Eltern in der Landwirtschaft und beim Fischfang. Eine Ausbildung brauchte er dazu nicht. Inzwischen hat die Landwirtschaft auf Maschinen umgestellt. Einige im Dorf mieten Traktoren, während andere mit Ochsenpflügen arbeiten. Niemand benutzt mehr die Hacke, also müssen die Bauern Geld auftreiben, um Traktoren oder Ochsenpflüge zu bezahlen. „Heute lachen die Leute über dich, wenn du eine Hacke benutzt – aber für uns war sie ein Werkzeug für unser Überleben“, erklärt er.
Heute beherrscht das Geld das Leben
Für den Fischfang verwendeten die Männer Speere und die Frauen Bambuskörbe. Die Mädchen gingen mit ihren Müttern, die Jungen mit ihren Vätern – so lernten sie fischen. „Heute lernen nur wenige Menschen diese Fähigkeiten von ihren Eltern“, sagt Mkumba. „Die jungen Leute suchen stattdessen nach bezahlten Jobs und meiden vieles, was mit Tradition zu tun hat.“ Es gebe nur noch ein paar alte Männer wie ihn. „Aber wir sind nicht stark genug, um in den Sümpfen oder im Fluss zu fischen.“
Der alte Mann bedauert, dass Geld heutzutage das Leben beherrscht, während die Dorfbewohner früher ihre Lebensmittel von den Bauernhöfen bekamen, wildes Gemüse aßen und Hühner hielten, die sie schlachteten, wenn es etwas zu feiern gab – alles ganz ohne Geld. „Auch unsere Essgewohnheiten haben sich verändert. Die Menschen trinken morgens Tee, essen nachmittags eine schwere Mahlzeit und abends noch eine. Ich habe mein Bestes versucht, um damit zurechtzukommen, aber es gelingt mir nicht. Vielleicht bin ich zu konservativ. Morgens esse ich immer noch Reis vom Vorabend, mit Gemüse und Fischeintopf. Nachmittags esse ich keine richtige Mahlzeit. Ich könnte eine in der Glut gebratene Kartoffel essen oder ein Stück Maniok oder sogar ein Stück Zuckerrohr kauen. Das wäre dann das Mittagessen“, sagt er.
Als er Kind war, habe es weder Tee zum Frühstück noch ein großartiges Mittagessen gegeben, erzählt Mkumba. Die Kinder wanderten in den Wäldern in der Nähe umher und pflückten sich Wildfrüchte. „Einige dieser Früchte gibt es noch, aber die Kinder von heute kennen sie nicht. Sie wollen lieber Reis oder etwas aus Maismehl zum Mittag- und Abendessen.“ Er erzählt ihnen, wie das Leben früher war, als er noch jung war, aber sie hören ihm nicht zu. Der 83-Jährige wird respektiert, aber Autorität hat er nicht gegenüber den Jugendlichen.
Die meisten Heilpflanzen sind verschwunden
Seit etwa sechs Jahren muss Mkumba nun selbst kochen. Seine Frau Mama Tumaini ist 2015 gestorben und hat ihn und ihre gemeinsame Tochter zurückgelassen. Die ist mit einem Mann aus der Stadt verheiratet und besucht das Dorf nur selten. „Bis heute weiß ich nicht genau, woran meine Frau gestorben ist. Sie klagte über starke Kopfschmerzen, und ich musste zwei Hähne verkaufen, um 20.000 Schilling (etwa 9 US-Dollar) für ihre Behandlung in der Dorfapotheke zu bekommen. Man gab ihr verschiedene Medikamente, aber nichts half. Sie starb am nächsten Abend“, sagt er. „Deshalb habe ich auch kein Vertrauen in die moderne Medizin. Ich glaube immer noch, dass unsere traditionelle Medizin sehr wirksam war. Das Problem ist aber, dass die meisten Heilpflanzen wegen des Klimawandels verschwunden sind und diejenigen, die sich wirklich mit traditioneller Medizin auskennen, alle gestorben sind“, erklärt er.
Neulich nahm Mkumba an einer Zeremonie teil, die von einer Familie zum Gedenken an ihre verstorbenen Verwandten abgehalten wurde. Solche Feste gehören zur Nacherntezeit zwischen Juli und Oktober dazu. Üblicherweise gibt es für die Dorfbewohner reichlich zu essen und zu trinken, und es wird auch traditionell getanzt. „Mir hat es nicht gefallen. Es gab nur wenig selbst gebrautes Bier. Und die traditionellen Tänze endeten vor Mitternacht, danach gab es Discomusik. Die hat viele Jugendliche angelockt, die wenig über die Bedeutung des Festes wussten. Ich bin dann gegangen“, sagt er.
"Wir haben unsere Sprache verloren"
Es gibt nur noch wenige Menschen im Dorf in Mkumbas Alter. Sie kommen nicht zurecht mit dem modernen Dorfleben. Sie vermissen die engen Beziehungen zwischen den Dorfbewohnern und die Traditionen, die seit jeher die Identität der Dorfbewohner ausmachen. „Menschen aus anderen Teilen Tansanias sind in unser Dorf eingewandert, so dass wir nicht mehr ein Stamm sind. Wir haben unsere lokale Sprache verloren; nur wenige Menschen sprechen sie noch, ohne sie mit Fremdwörtern zu vermischen“, bedauert Mkumba. Die heutigen Eltern täten wenig, um die Sprache an ihre Kinder weiterzugeben, weil auch sie sie nicht gut sprechen. Einige wenige Menschen aus anderen Teilen Tansanias sind in das Dorf gezogen und haben Geschäfte eröffnet. Die beste Art, sich mit den Einheimischen zu verständigen, ist Kiswahili – nicht die lokale Sprache.
Mkumba weiß, dass die Dorfbewohner die Zeit nicht zurückdrehen und wie vor fünf Jahrzehnten leben können. „Wir müssen die Veränderungen akzeptieren. Aber die Söhne und Töchter dieses Bodens sollten Häuser im Dorf bauen und uns oft besuchen, damit ihre Kinder ihre Wurzeln kennen“, erklärt er. Und er fordert von der Regierung, dass sie soziale Dienste bereitstellt, damit sich ältere Menschen gut in den neuen Lebensstil einfinden können.
Aus dem Englischen von Sophie Stange.
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