Sie weiß, wie es ist, wenn Menschenrechte außer Kraft gesetzt sind. Michelle Bachelet hat es am eigenen Leib erfahren müssen. Als UN-Hochkommissarin für Menschenrechte ist die Chilenin derzeit so etwas wie die oberste Beauftragte weltweit für das Thema. Am 29. September feiert sie ihren 70. Geburtstag.
Mit nur 23 Jahren wird die damalige Medizinstudentin von Militärs in ein Foltergefängnis gesperrt. Die Junta unter Augusto Pinochet hat von 1973 bis 1990 etwa 40.000 Menschen illegal inhaftiert und systematisch gefoltert, verschleppt und getötet. Bachelet gelingt jedoch die Flucht in die damalige DDR. Als sie vier Jahre später nach Chile zurückkehrt, engagiert sich die inzwischen ausgebildete Kinderärztin für die im Untergrund tätige sozialistische Partei sowie für Angehörige und Kinder von Diktaturopfern.
Vorgesetzte ihrer früheren Peiniger
Nach Ende der Diktatur 1990 wird Bachelet zunächst Beraterin für die Weltgesundheitsorganisation und das chilenische Gesundheitsministerium. 1998 wechselt sie ins Verteidigungsministerium und wird schließlich im Jahr 2000 zur Gesundheitsministerin ernannt - als erste Frau in dieser Position.
Als sie 2002 zur Verteidigungsministerin berufen wird, geht ein Raunen durch das chilenische Militär: Nicht nur ist sie wieder die erste Frau in einer Position, die bisher Männern vorbehalten war. Auch wird sie damit Vorgesetzte ihrer früheren Peiniger, denn die Menschenrechtsverbrechen der Diktatur sind zu dieser Zeit alles andere als aufgearbeitet - viele der Täter sitzen nach wie vor auf ihren Posten.
Sozialistin und Atheistin, geschieden und alleinerziehend
Anders als in den Übergangsjahren zur Demokratie üblich, wo in der Öffentlichkeit über die Diktatur-Verbrechen geschwiegen wurde, spricht Bachelet seit jeher offen über ihre Vergangenheit - auch gegen jede Kritik. Als Frau, Sozialistin, Diktaturopfer, Atheistin, Geschiedene und Alleinerziehende vereine sie „alle chilenischen Todsünden“, sagt sie über sich - in dem katholisch geprägten Land mit weit verbreiteten traditionellen Rollenbildern damals wie heute kein leichtes Los.
Und doch traf sie bei der chilenischen Bevölkerung einen Nerv: Entgegen jeder Skepsis gegenüber einer Frau als Regierungschefin wird Bachelet 2005 zur ersten Präsidentin Chiles gewählt. Ihr Kabinett besetzt sie paritätisch, denn sie ist überzeugt, dass die Präsenz von Frauen in der Politik zu einer inklusiveren Gesellschaft führt und so die junge Demokratie stärkt.
Die chilenische Verfassung verbietet eine direkte Wiederwahl des Staatsoberhauptes. So übernimmt Bachelet von 2010 bis 2013 die Leitung von UN Women, der Frauenorganisation der Vereinten Nationen in New York. „Ihre Furchtlosigkeit beim Verfechten von Frauenrechten hat diesem entscheidenden Thema zu Aufmerksamkeit verholfen“, urteilt der damalige Generalsekretär Ban Ki Moon bei ihrem Abschied. Den nimmt sie, um nach der Unterbrechung ein weiteres Mal Präsidentin in ihrem Heimatland zu werden.
Bachelet sieht sich als „strategische Optimistin“
Das Erbe ihrer beiden Amtszeiten als Staatsoberhaupt erfuhr in der chilenischen Bevölkerung zunächst nur wenig Wertschätzung. Manche ihrer Projekte konnten in der Kürze der Zeit und gegen den massiven Widerstand der konservativen Eliten nicht abgeschlossen werden. Manches machte auch der heutige Amtsinhaber Sebastián Piñera rückgängig, der ihr beide Male folgte.
Mit mancher Errungenschaft veränderte Bachelet die chilenische Gesellschaft dennoch nachhaltig, wie dem „Museum der Erinnerung“ in der Hauptstadt Santiago: 2010 von Bachelet kurz vor Ende ihrer ersten Amtszeit eröffnet, informiert es über die Geschichte des Staatsstreiches und der Diktatur und macht die Verbrechen sichtbar. Es ist an die zahlreichen Gedenkstätten des Landes angebunden - auch an das Folterlager Villa Grimaldi, jenem grauenhaften Ort, dem Bachelet mit 23 entfloh. Hunderte andere schafften es nicht.
Nach Ende ihrer zweiten Präsidentschaft ernennt UN-Generalsekretär António Guterres Bachelet zur Hochkommissarin für Menschenrechte in Genf. Auch hier erhält sie sich ihre direkte Art und ihren Willen, etwas zu verändern. Als „strategische Optimistin“ sehe sie Politik als den Versuch und Ausdruck von Hoffnung, etwas Positives zu erschaffen - „es geht darum, das Bestmögliche zu tun, weil es uns wichtig ist und weil wir es müssen“.
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