Die Angst der Autokraten vor sozialen Medien

Internet-Blockaden
Twitter-Bann in Nigeria, Facebook-Sperre in Uganda: Viele repressive Herrscher in Afrika sperren Facebook und Co. – und schränken damit Grundrechte ein, kritisiert Melanie Kräuter.  

Melanie Kräuter ist Redakteurin bei "welt-sichten".
Soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook und Co. haben selbst viel Macht, doch sie verleihen auch Macht, nämlich an ihre Nutzer: Über den Hashtag #EndSARS fanden in Nigeria im Oktober 2020 vor allem junge Menschen zu Protesten gegen die „Special Anti-Robbery Squad“ (SARS) zusammen. Diese Spezialeinheit der Polizei für Raubüberfälle ist in den letzten Jahren wegen ihres brutalen, unrechtmäßigen Vorgehens gegen Unschuldige in Verruf geraten. Schon oft hatte die Regierung Reformen versprochen, nach den mehrwöchigen Protesten löste sie die Einheit auf.   

Ein Happy End ist das trotzdem nicht. Einerseits, weil die Regierung quasi im gleichen Atemzug ankündigte, eine neue Spezialeinheit zu schaffen, andererseits, weil die Nöte der jungen Bevölkerung damit kaum gelöst sind. Dennoch zeigen die #EndSARS-Proteste, dass soziale Medien die Zivilgesellschaft und ihr Eintreten für Grundrechte stärken können. Und das macht wiederum vielen autokratischen Herrschern vor allem in Afrika und Asien Angst. 

So ist zu erklären, dass die nigerianische Regierung Anfang Juni dieses Jahres Twitter für alle Nutzer im Land gesperrt hat. Der Hintergrund: Twitter hatte einen Tweet von Präsident Muhammadu Buhari gelöscht mit dem Hinweis, er verstoße gegen die Regeln. Buhari hatte in dem Tweet eine Sezessionsgruppe für die jüngsten Angriffe auf Regierungsgebäude verantwortlich gemacht und ihnen gewaltsame Strafen angedroht. Nur zwei Tage nachdem dieser Tweet gelöscht worden war, kündigte die Regierung – ironischerweise auf Twitter – an, sie werde den Dienst auf unbestimmte Zeit sperren. Die Regierung begründete ihren Schritt damit, dass die Plattform ständig für Aktivitäten genutzt werde, die Nigeria wirtschaftlich schaden könnten. 

Sperrungen von Social Media nach Protesten oder vor Wahlen

In Nigeria ist der Twitter-Bann ein Novum. Im Senegal, dem Tschad oder der Republik Kongo hingegen sind die Präsidenten schon öfter gegen soziale Medien vorgegangen. Ebenso in Uganda: Weil Langzeit-Präsident Museveni seine nächste Amtszeit durch den jungen Oppositionskandidaten Bobi Wine gefährdet sah, ließ er kurz vor der Wahl im Januar die sozialen Netzwerke blockieren und sie erst danach wieder freischalten. Die Sorge ist berechtigt, dass dies auch 2023 bei der Wahl in Nigeria passieren wird. 

Seit 2015 haben 30 der 54 afrikanischen Länder schon mal soziale Medien gesperrt, vor allem nach Protesten und vor Wahlen, dokumentiert der VPN-Anbieter Surfshark. Mit einem virtuellen privaten Netzwerk (VPN) lässt sich der eigene Standort verschleiern und so auch auf gesperrte Seiten zugreifen. Doch auch VPNs können gesperrt werden. Es liefern sich also immer wieder VPN-Anbieter (und technisch versierte Nutzer) ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Regimen, ob und wie Blockaden umgangen werden können. Auch mit Gesetzen wollen Autokraten soziale Medien kontrollieren. Etwa indem sie Unternehmen zu zwingen versuchen, ihre Büros vor Ort zu errichten, damit sie lokalen Gesetzen unterworfen sind. Offiziell haben solche Gesetze das Ziel, Hassreden und Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken einzudämmen. Menschenrechtler befürchten aber, dadurch könnte das auch in Nigeria, Kenia oder Uganda in der Verfassung verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt werden. 

Unternehmen, Politik und Nutzer in Verantwortung

Soziale Netzwerke haben zweifelsohne gute und schlechte Seiten. Während auf der einen Seite Freiheitsrechte und friedliche Proteste gestärkt werden können, verbreiten sich andererseits Hassposts und ungeprüfte Meldungen in Windeseile. Die Zeit ist vorbei, in der Facebook und Twitter passiv bleiben und einfach nur ihre Nutzer posten lassen konnten, was sie wollen. Vor allem die Unternehmen selbst müssen schnell und effektiv gegen Hass im Netz vorgehen und wenn nötig auch politisch Stellung beziehen, etwa wenn Wahlen nicht fair ablaufen. Zugegeben, es ist ein schwieriger Balanceakt zu entscheiden, was als „freie Meinungsäußerung“ noch zumutbar ist und was als Hasskommentar gelöscht werden muss. Vor allem ist es Sisyphusarbeit: Denn wo ein Hassposting gelöscht wird, tauchen an anderer Stelle sicher ähnliche, beleidigende Kommentare auf. Deswegen ist es auch Aufgabe der Politik, die gesetzlichen Rahmenbedingungen fürs Löschen und den Umgang mit Fake News festzulegen. Das rechtfertigt allerdings nicht, dass Regierungen das Internet und soziale Netzwerke für ihre eigenen Zwecke blockieren und so die Bürger ihrer Grundrechte berauben.  

Nicht zuletzt tragen auch die Nutzer selbst Verantwortung: Oft sind sie es, die unkritisch falsche Informationen mit einem Klick weiterverbreiten. Es ist deshalb wichtig, so früh wie möglich die Medien- und Technikkompetenz der Nutzer zu fördern, Quellen zu prüfen und vorsichtig mit sozialen Medien umzugehen. 

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