„Wir haben nicht viel zu feiern“, hält der Südsudanische Kirchenrat (SSCC) zum zehnten Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes in einer Erklärung Anfang Juli fest. Ein „vergeudetes Jahrzehnt“ liege hinter den Menschen. Ethnische und sexuelle Gewalt nähmen zu, Fälle von Rachemorden, Landraub und Kinderraub häuften sich. Das mache nicht nur „den Frieden löchrig“, sondern blockiere auch die Entwicklung des gesamten Landes. Die politischen Führer hätten alle Hoffnungen auf eine friedliche Zukunft erstickt, weil sie das Friedensabkommen von 2018 nicht wirklich umsetzen wollten.
Nach dem Bürgerkrieg von 2013 bis 2015, der mehr als 400.000 Tote gefordert hatte, hatten sich auf Initiative der Intergovernmental Authority on Development (IGAD), einer Regionalorganisation am Horn von Afrika, alle großen politischen Parteien sowie Milizenführer an einen Tisch gesetzt und einen Friedensvertrag unterzeichnet. Nach Ansicht des Kirchenrats sei dies der praktikabelste Rahmen für einen nachhaltigen Frieden. Für bewaffnete Gruppen habe es Trainingsangebote gegeben, damit sie zu einer großen nationalen Armee zusammenwachsen könnten. Wichtige Institutionen wie der Staatsrat und eine gesetzgebende Versammlung wurden gebildet und die Abgeordneten der beiden Parlamentskammern vereidigt. Die politischen Führer in Juba sollten endlich für die Stabilität im Land sorgen, fordert der Kirchenrat.
Angesichts der Lage in dem noch jungen Staat mag ein solcher Appell hilflos klingen. Von Frieden und Entwicklung ist der Südsudan nach wie vor weit entfernt. Nach UN-Angaben ist gut ein Drittel der knapp 13 Millionen Einwohner unterernährt. Außerdem weist der Südsudan eine der höchsten Analphabetenraten weltweit auf.
Angriffe auf Kirchen und Gläubige
Aus der internationalen Ökumene erreichten den Südsudan ebenfalls Schreiben zum zehnjährigen Geburtstag. Neben dem Weltkirchenrat in Genf appellierten auch Papst Franziskus und das anglikanische Oberhaupt Justin Welby, welche die beiden größten Kirchen im Südsudan repräsentieren, in einem gemeinsamen Brief an die politischen Führer, stärker daran zu arbeiten, dass endlich alle Menschen im Land in Würde leben können. 2019 hatte der Papst eine große Delegation von politischen und kirchlichen Führern in den Vatikan eingeladen, wo zahlreiche Versprechen gegeben wurden und der Papst den politischen Führern sogar die Füße geküsst hatte mit der Bitte, sich endlich für Frieden in ihrem Land einzusetzen. An die damals gegebenen Versprechen erinnerte er indes auch in seinem Brief und kündigte an, den Südsudan gerne einmal zu besuchen.
Dass die Stimmen der Kirchenführer im eigenen Land und international noch großen Einfluss auf die politischen Führer in Juba haben könnten, bezweifeln Kenner der südsudanesischen Kirchenlandschaft. So könne die Ankündigung des Papstbesuches der Hintergrund des jüngsten Angriffs auf den im Südsudan lebenden italienischen Priester Christian Carlassare gewesen sein, der im April von Unbekannten in seinem Wohnhaus in der Diözese Rumbek schwer verletzt wurde. „Die Vermutung liegt nahe, dass der Angriff auf Carlassare eine Warnung gegenüber der katholischen Kirche gewesen sein könnte, sich aus politischen Diskussionen herauszuhalten und den Besuch des Papstes zu unterbinden“, schreibt „Religions News Service“, ein internationales, unabhängiges Journalistennetzwerk. Bereits 2018 war der katholische Priester Victor Odhiambo getötet worden. Im Juni 2020 fielen der anglikanische Priester Daniel Garan Ayuen und 22 weitere Menschen einem Angriff auf die Kathedrale der Athooch-Diözese zum Opfer.
Die Kirchen mischen sich politisch ein
Auch Christopher Tounsel, Historiker und Afrikanist an der Universität von Pennsylvania, sieht in den jüngsten Morden an Geistlichen einen Hinweis darauf, dass die Kirchen im Südsudan seit der Unabhängigkeit 2011 mehr und mehr an den Rand gedrängt werden sollen, um sie als politische Kraft auszuschalten, schreibt er in einem Artikel in „The Conversation“. In den Jahrzehnten des Unabhängigkeitskampfes vom mehrheitlich muslimischen Norden hätten Geistliche und Laien ab 1955 eine zentrale Rolle gespielt, sei es, dass sie die Zivilbevölkerung vor den Extremisten auf beiden Seiten geschützt hätten, sei es dass sie aktiv zum Widerstand aufgerufen hatten. Ab 1991 habe der New Sudan Council of Churches (NSCC), dem 1989 alle Kirchen im Südsudan beigetreten waren, ganz offiziell die Befreiungsbewegung SPLA unterstützt und dabei auch von christlichen Organisationen weltweit Spenden bekommen. Nach der Unabhängigkeit vor zehn Jahren wurde der NSCC in SSCC umbenannt.
Dass sich das Verhältnis zwischen Politik und Kirchen nach der Unabhängigkeit eines Landes verändert, konnte schon früher in anderen Ländern beobachtet werden. Dass der Südsudanesische Kirchenrat aber seinen kompletten Einfluss auf die Entwicklung im Südsudan verliert, ist weniger wahrscheinlich. Dafür ist das Vertrauen zu groß, das die Menschen in die Kirchen haben. Immerhin sind sie derzeit die einzigen Institutionen, die nicht nur zum Frieden aufrufen, sondern sich auch auf lokaler Ebene für Frieden und Versöhnung aktiv einsetzen.
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