Rückzug ohne neue Strategie

Sahel
Frankreich will seinen Anti-Terror-Einsatz im Norden Malis beenden. Eine Abkehr von der gescheiterten Strategie im Sahel bedeutet das aber noch nicht.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von „welt-sichten“.
Die Europäische Union hat seit April eine neue Strategie für den Sahel – auf dem Papier. In der Praxis geht Europa weder strategisch noch gemeinsam vor. So hat im Mai erst der Bundestag beschlossen, dass die Bundeswehr ihren Einsatz in Mali ein weiteres Jahr verlängert und leicht ausweitet. Im Juli hat nun Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angekündigt, bis Frühjahr 2022 die Anti-Terror-Operation Barkhane im Norden Malis zu beenden. Paris, eine treibende Kraft hinter den Missionen in Mali, hat seine europäischen Partner vor der Ankündigung offenbar nicht konsultiert.

Nun kann man sagen: Die sind an dieser speziellen Mission nicht beteiligt. In der Tat wird Barkhane von Frankreich sowie Mali, Niger, Burkina Faso, Mauretanien und dem Tschad getragen, den in der G5-Sahel zusammengeschlossenen Ländern; die Operation bekämpft im Norden Malis islamistische Terrorgruppen, die sich al-Qaida oder dem Islamischen Staat zurechnen. Aber der Anti-Terror-Feldzug wirkt sich natürlich auf die anderen internationalen Einsätze in Mali aus.

Anti-Terror-Krieg in Mali verhindert politische Lösungen

Da ist die UN-Stabilisierungsmission (MINUSMA), die zum Schutz der Zivilbevölkerung beitragen, politische Prozesse unterstützen und Malis Regierung helfen soll, die Kontrolle über das ganze Land wiederzuerlangen. Daneben bildet eine rein europäische EU-Trainingsmission (EUTM) Streitkräfte Malis und anderer G5-Staaten aus und trainiert sie. An beiden beteiligt sich Deutschland. Der Theorie nach sollen sich diese Einsätze sowie die Diplomatie ergänzen: Internationale Truppen halten malische Streitparteien auseinander und Dschihadisten auf, bis einheimische Soldaten und Polizisten für ein Mindestmaß an Sicherheit sorgen können und politische Lösungen für zugrunde liegende Konflikte auf den Weg gebracht sind.

Dieses Standardargument „das Militär kauft Zeit für die Politik“ trifft zu bei Militäreinsätzen, die unparteiisch einheimische Friedensprozesse unterstützen. Sollen sie gleichzeitig „den Staat“ stärken, wird es schon problematisch, weil die Herrschenden in der Regel eine Konfliktpartei sind. Und sollen sie einen Anti-Terror-Krieg führen, dann werden sie unweigerlich zur Kriegspartei. In Mali fördert dieser Anti-Terror-Krieg das Gegenteil von Rechtsstaatlichkeit und besserer Regierungsführung und behindert damit Versuche, Ursachen der Konflikte politisch anzugehen.

Paris hat Gesprächsversuche malischer Politiker blockiert

So nimmt die Operation Barkhane lokale Milizen gegen Islamisten in Dienst, stützt örtliche Machthaber und vertieft die Spaltung der Bevölkerung. Anti-Terror-Einsätze folgen einer Strategie der Aufstandsbekämpfung, entscheiden also mit, welche Rebellen als „Terroristen“ vom politischen Prozess ausgeschlossen werden – so hat Paris Versuche malischer Politiker blockiert, Gespräche mit lokalen dschihadistischen Gruppen aufzunehmen. Und nicht zuletzt führen „Kollateralschäden“ wie ein französischer Luftangriff auf eine Hochzeitsfeier Anfang 2021 sowie brutale Übergriffe einheimischer Soldaten und vor allem tschadischer MINUSMA-Einheiten zu Misstrauen und Ressentiments gegenüber allen ausländischen Missionen.

Im Ergebnis hat Bharkane im Jahr 2020 zwar mit zusätzlichen Soldaten mehrere hochrangige Islamisten getötet und die Führung von al-Qaida und des Islamischen Staats in der Region geschwächt. Aber die Sicherheitslage für die Bevölkerung Malis hat sich weiter stark verschlechtert, Gewalt und Terror haben zugenommen und ebenso Proteste besonders gegen die französische Intervention. Daher bewertet die Regierung in Paris offenbar Kosten und Nutzen des Einsatzes neu: Er ist zu Hause unpopulär, die Islamisten im Sahel sind keine direkte Gefahr für Frankreich und die Aussichten schwinden, im Sahel militärisch zu „gewinnen“.

Nötig ist eine neue deutsche Außenpolitik im Sahel

Doch der Beschluss, Barkhane zu beenden, ist leider keine Abkehr vom Anti-Terror-Kampf. Frankreich will vielmehr die Last auf andere Schultern verlagern: Übernehmen sollen Streitkräfte aus den Sahel-Ländern sowie eine Einheit, die aus Elitetruppen von bisher sieben europäischen Ländern besteht. Sie wurde im März 2020 unter den Namen Takuba gegründet – als Teil von Barkhane. Deutschland hat der Gründung zugestimmt, beteiligt sich aber nicht. Frankreich führt Takuba und stellt allein rund die Hälfte der Soldaten. Die Einheit hat kein internationales Mandat, soll aber auch die Streitkräfte der G5-Sahel, die MINUSMA und die EUTM unterstützen.

Zu befürchten ist, dass diese Truppen und Missionen damit noch stärker dem Anti-Terror-Leitbild folgen. Das wäre genau die falsche Konsequenz aus dem Scheitern in Mali. Deutschland sollte auf einen grundsätzlich anderen Ansatz drängen, der wie die neue EU-Strategie tatsächlich und nicht nur auf dem Papier politischen Lösungen und der Verbesserung der Lebensverhältnisse Vorrang gibt. Es gilt Entwicklungsvorhaben und Friedensgespräche an der Basis voranzubringen, mehr Rechtsstaatlichkeit einzufordern und den Schutz der Zivilbevölkerung zum obersten Ziel der Militärmissionen zu machen. Eine solche Umorientierung kann Berlin allerdings nicht erreichen, solange es nur aus Pflichtgefühl gegenüber den Freunden in Paris ein bisschen mitmacht. Die deutsche Außenpolitik müsste im Sahel endlich energisch mitgestalten.

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Der Bericht von Herrn Ludermann enthält wichtige Informationen und Gesichtspunkte. Seine Analyse ist klar und zutreffend. Von den zahlreichen Punkten, die für diese Intervention von Bedeutung sind, greife ich die Forderung auf, dass sich alle Maßnahmen künftig auf den Schutz der Bevölkerung beziehen müssen. Ich halte das für die entscheidende Weichenstellung. Würde diese Strategie wirklich ernsthaft verfolgt, würde sie dazu führen, dass die Bevölkerung Verbündeter der ausländischen Soldaten würde. Das ist eine Erfolgsbedingung für derartige Interventionen. Dafür gibt es Beispiele. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob Zivilisten als sog. „Kollateralschaden“ einer militärischen Strategie Opfer werden oder ob eine Bevölkerung Verluste zu ertragen hat, weil sie die Soldaten zu Hilfe gerufen hat oder wenigstens weiß, dass die Soldaten unter Einsatz ihres eigenen Lebens für ihr Leben, ihre Gesundheit, den Schutz ihrer Schulen und ihres Eigentums kämpfen. Im einen Fall sind die Menschen Objekt militärischer Strategie, im anderen Fall handelt es sich um eine der ethisch anspruchsvollsten und angesehensten humanitären Handlungen.

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