Die EU-Kommission wirbt für die Gen-Schere

picture alliance / Federico Gambarini
Gentechnik ist für viele ein rotes Tuch: Demonstrantin vor der Zentrale des Bayer-Konzerns in Leverkusen im Herbst 2017 - Anlass war die Fusion mit Monsanto.
Umweltschutz
Die EU-Kommission hat in einer Studie das Potenzial neuer gentechnischer Verfahren für den Schutz von Umwelt und Klima hervorgehoben. Umweltorganisationen monieren, in der Konsultation habe die Industrie den Ton angegeben.

Die Studie geht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2018 zu sogenannten Mutagenese-Verfahren zurück. Bei der Mutagenese wird Genmaterial verändert, ohne artfremdes Erbgut einzuführen. Laut EuGH zählen die so veränderten Organismen zu den genetisch veränderten Organismen (GVO). Zugleich teilte der EuGH die Mutagenese-Verfahren in zwei Gruppen. Die herkömmlichen und seit langem als sicher geltenden Verfahren und neuere Verfahren, zu denen die sogenannte Gen-Schere zählt. Letztere unterlägen in jedem Fall den EU-Überwachungs- und Kennzeichnungspflichten für GVO.

Weil die EU-Staaten nach dem Urteil noch Fragen offen sahen, beauftragten sie die Kommission mit einer Studie. Diese bezieht sich auf „neuartige genomische Verfahren“ wie die Gen-Schere, die erst seit 2001 entwickelt wurden, nachdem die geltenden Rechtsvorschriften über genetisch veränderte Organismen erlassen worden waren. Die Kommission sieht in ihnen großes Potenzial, wie sie in einer Zusammenfassung der Studie klarmacht. Durch solche Verfahren gewonnene Pflanzen könnten zum Grünen Deal, also der Klima- und Umweltpolitik der EU, und den UN-Nachhaltigkeitszielen beitragen. 

Gentechnik als Mittel im Kampf gegen den Klimawandel? 

Beispielhaft verweist sie auf Pflanzen, die widerstandsfähiger gegen Krankheiten oder gegen Folgen des Klimawandels wären, bessere Nährwerte hätten oder mit weniger Pflanzenschutzmitteln auskommen sollen. „Einige Interessenträger“ seien zwar der Ansicht, „dass diese Vorteile hypothetisch und mit anderen Mitteln als der Biotechnologie zu erreichen sind“, räumt die Behörde ein. Sie tendiert offenbar aber stärker dahin, die Chancen der neuen Verfahren zu betonen. Eine „rein sicherheitsbasierte Risikobewertung“ reiche „möglicherweise nicht aus, um Nachhaltigkeit zu fördern und zur Verwirklichung der Ziele des europäischen Grünen Deals“ beizutragen, heißt es im Resümee. Die Kommission will nun zunächst weiter konsultieren und prüfen, was sie an neuen Maßnahmen vorschlagen könnte, um möglicherweise die Regulierung der neuen gentechnischen Verfahren zu ändern. 

Die Freunde der neuen Gentechnik hatten seit dem EuGH-Urteil nicht lockergelassen, die EU-Regulierung der Gen-Schere doch noch in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das zumindest beklagen die Umweltorganisation Friends of the Earth Europe und das Corporate Europe Observatory (CEO), eine Organisation, die das Lobbytreiben der europäischen Industrie kritisch begleitet. Das CEO hat Dokumente ausgewertet, die es von der EU-Kommission sowie der niederländischen und belgischen Regierung auf Grundlage des Rechts auf Informationsfreiheit erhalten hatte. Demnach haben Industrieverbände sowie Chemie- und Saatgutkonzerne wie BASF, Bayer und Syngenta gemeinsam mit gentechnikfreundlichen Wissenschaftlern ein Netz an Lobbyorganisationen aufgebaut, das gezielt EU-Politiker sowie Regierungsvertreter aus EU-Mitgliedsstaaten zu beeinflussen versucht.

Die Organisation Friends of the Earth kritisiert in einer Studie zudem, die EU-Kommission habe in der von ihr auf den Weg gebrachten Konsultation zur Regulierung der neuen Gentechnik vor allem Industrievertreter zu Rate gezogen und kritische Fragen ausgeblendet. Brüssel habe die Konsultation weniger dazu genutzt, das EuGH-Urteil zu erläutern, sondern um den Weg freizumachen, bestehende Gesetze „neu zu formulieren und zu schwächen“, kritisiert Friends of the Earth. Fast drei Viertel der an der Konsultation beteiligten Interessenvertreter seien von der Industrie gewesen. Bauernorganisationen ohne kommerzielle Interessen an der grünen Gentechnik, Umweltverbände und andere zivilgesellschaftliche Organisationen hingegen seien in der Konsultation nur schwach vertreten gewesen.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2021: Entwicklung wohin?
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