Bei der Vorlage des diesjährigen Berichts zur „Wirklichkeit der Entwicklungspolitik“ in Berlin unterstrich Welthungerhilfe-Generalsekretär Mathias Mogge, dass der Bedarf an humanitärer Hilfe nicht nur wegen der Corona-Pandemie, sondern auch aufgrund von Klima- und Umweltkrisen steigen werde. Insbesondere in den ärmsten Ländern habe Covid-19 gezeigt, wie wichtig soziale Sicherungssysteme und Investitionen in Gesundheit sowie Ernährungssicherung seien.
Die beiden Hilfswerke melden einen Anstieg der unter akutem Hunger leidenden Menschen auf 155 Millionen in 55 Ländern. Entsprechende Befürchtungen zu Beginn der Pandemie haben sich damit bestätigt. Covid treffe die Ärmsten und Schwächsten, betonte Mogge. Kleinbauern verkauften Land, um in der Familie medizinische Kosten bestreiten zu können. In Ländern wie der DR Kongo oder Burundi hätten die meisten Menschen keinerlei Reserven für Krisen. Deshalb müssten die einkommensschwächsten Länder stärker in den Fokus der Politik rücken. Laut „Kompass 2021“ bringt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit nur 0,11 Prozent statt der international empfohlenen 0,2 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für sie auf.
Der Bericht fordert die Bundesregierung zudem auf, sich beim Welternährungsgipfel der UN im Herbst für einen grundlegenden Umbau der Ernährungssysteme einzusetzen. Von dem Food Systems Summit werden Impulse für eine Umgestaltung des Welternährungssystems in Richtung Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit erwartet.
Zwei Ministerien haben zum nationalen Dialog gebeten
Mogge sagte, die Bedingungen, unter denen derzeit Nahrungsmittel hergestellt und konsumiert würden, seien nicht geeignet, den Hunger zu überwinden; zugleich nehme Übergewichtigkeit zu. „Eine gesunde Ernährung können sich drei Milliarden Menschen nicht leisten“, heißt es im „Kompass 2021“. Das System schade den Menschenrechten ebenso wie der Umwelt, etwa durch Bodendegradation oder Wasserverschwendung.
Der „Kompass 2021“ fordert, die Bundesregierung möge ihre Ressortpolitiken so aufeinander abstimmen, dass nachteilige Folgen etwa von handels- und energiepolitischen Entscheidungen auf die Ernährungslage oder das Recht auf Nahrung und Land in Entwicklungsländern vermieden werden. Zudem sollten soziale Netze und lokale wie regionale Lebensmittelmärkte gestärkt werden.
Für die Gestaltung nachhaltiger Ernährungssysteme habe der Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung bereits im vergangenen Jahr wichtige Aspekte definiert, begrüßt der Bericht. Zur Vorbereitung des New Yorker Gipfels im September bat die Bundesregierung Anfang Juni zudem Vertreter der Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zu einem „nationalen Dialog“ unter Leitung der Ministerien für Landwirtschaft (BMEL) und Entwicklung (BMZ). Ein roter Faden in den Beiträgen von Mitwirkenden war, dass sozial gerechte und umweltschonende Ernährungssysteme die wahren Kosten etwa von Bodenzerstörung widerspiegeln.
Ein Großteil der Debatte kreiste um heimische Perspektiven auf Erzeugung, Vermarktung und Konsum von Nahrungsmitteln, weniger um Konsummuster im Norden und deren Auswirkungen im Süden. Dirk Schattschneider, der Beauftragte für die BMZ-Sonderinitiative Eine Welt ohne Hunger, betonte jedoch, für die Erfüllung der UN-Entwicklungsziele müssten die nationale und internationale Ebene verlinkt werden. Klar wurde am Rande des Dialogs, dass von dem Ernährungsgipfel keine Einigung auf politische Wegmarken zu erwarten ist, sondern zunächst nur ein „Statement of Action“ des UN-Generalsekretärs, das auch unterschiedliche Positionen benennen kann, wenn kein Konsens zu erzielen ist.
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