Die meisten Entwicklungsökonomen setzen ihre Hoffnung auf eine Industrialisierung auch in Afrika, angestoßen von entwicklungsorientierten Regierungen. Arbeitskräfte sollen aus der Landwirtschaft in Sektoren mit höherer Produktivität wandern wie die Industrie und moderne Dienstleistungen, die Landwirtschaft soll modernisiert und die Infrastruktur ausgebaut werden. Das alles passiert aber in Afrika südlich der Sahara bisher nicht, heißt es in einer neuen Studie aus dem südafrikanischen Institut für Strategische Studien (ISS). Und es werde auch nicht passieren; das Modell gehe an der Wirklichkeit auf dem Subkontinent vorbei.
Die beiden Autoren betonen, dass sich in weiten Teilen Afrikas die große Mehrheit der Beschäftigten mit unsicheren und wenig einträglichen informellen Tätigkeiten durchschlägt und der größte Teil des Sozialprodukts so erzeugt wird. In der Landwirtschaft, dem weiterhin dominierenden Sektor, steige die Produktivität nicht. Die Städte wüchsen vor allem in Form wilder Siedlungen ohne größere Infrastruktur, sodass dort die Lebenshaltungskosten hoch und die Bedingungen für moderne Unternehmen schlecht seien. Wer über Wirtschaftswachstum in Afrika spreche, müsse den entscheidenden Beitrag des informellen Sektors im Blick haben.
Düstere Prognose
Diese Diagnose überzeugt großenteils. Problematischer ist die düstere Prognose, die Lage könne sich infolge von fünf sich gegenseitig verstärkenden Trends nur verschlimmern. Erstens werde die Erderwärmung unter anderem Nahrung und Wasser knapper und teurer machen. Zweitens werde die Urbanisierung in Afrika Städte nicht zu Wachstumszentren, sondern zu Armutsfallen machen. Drittens werde die Infrastruktur – Straßen, Stromversorgung, Gesundheitswesen – noch weniger als heute den Bedarf decken können, der ja mit der Bevölkerung wachse. Viertens sei zu erwarten, dass Epidemien sich in Afrika noch weiter ausbreiten. Und fünftens werde der Kontinent künftig noch stärker von den gekennzeichnet sein, was die Autoren „Rechtlosigkeit“ (lawlessness) nennen.
Unter diesen Bedingungen seien Entwicklungsmodelle gefragt, die nicht auf den Staat setzen. Wie sie aussehen können, deutet die Studie nur an. So sollten äußere Geber die Fähigkeiten lokaler Gemeinschaften nutzen; deren Zugriff auf ihre Ressourcen müsse gesichert werden.
Zweifel weckt, dass die Autoren ständig Aussagen für ganz Afrika südlich der Sahara treffen; dass die Verhältnisse von Land zu Land verschieden sind, merken sie zwar mehrmals an, bedenken es aber vor allem, wenn es um klimatische Bedingungen geht. Es kommt zum Beispiel nicht vor, dass viele große Rohstoffexporteure in Afrika spezielle wirtschaftliche und politische Strukturen aufweisen.
Eine Art anarchischen Zustand suggeriert
Am problematischsten sind aber die Ausführungen zu Rechtlosigkeit, und sie sind ein zentrales Argument der beiden Autoren. Das ist kein Zufall: Ihr Hautarbeitsbereich ist öffentliche Sicherheit, organisierte Kriminalität, Korruption und Gewalt. Unter dem Gummibegriff „Rechtlosigkeit“ werfen sie so verschiedene Dinge wie Wilderei, Menschenhandel und informelle Kleinschürferei mit dem organisierten Verbrechen zusammen und suggerieren so eine Art anarchischen Zustand.
Den Autoren zufolge sind afrikanische Regierungen mit organisiertem Verbrechen eng verwoben, sodass Gewalt und Kriminalität freie Hand haben. Dies ist nicht nur eine unzulässige Verallgemeinerung – die politischen Verhältnisse im Kongo sind ganz andere als in Angola, Ghana oder Mali. Es übersieht auch „informelle Ordnungen“, die Gemeinschaften selbst schaffen. Und es ignoriert, dass Korruption und Ämterkauf nicht automatisch Staaten untergraben; sie können auch ein Mittel im Prozess der Staatsbildung sein und waren das oft.
Die Studie ist streckenweise geprägt vom Blick der Strategen und Kriminologen, die vor „Instabilität“ warnen – als wäre schneller sozialer Wandel mit Stabilität vereinbar. Trotz dieser Mängel sollten viele ihrer Einwände gegen gängige Entwicklungsmodelle ernst genommen werden.
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