Die schädlichen Folgen klimatischer Veränderungen sind ungleich und ungerecht verteilt. Vor allem Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern spüren sie, obwohl ihr Anteil an den globalen Treibhausgasemissionen historisch betrachtet verschwindend gering ausfällt. Der Klimawandel trägt dort zunehmend dazu bei, dass Lebensgrundlagen und Lebensräume gefährdet werden und Menschen sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Neben wirtschaftlichem Schaden drohen der Verlust von Heimat und kultureller Identität und das Auseinanderbrechen sozialer Strukturen.
In Peru können wir das bereits beobachten: In dem tropischen Land mit seiner wüstenartigen Küste, dem majestätischen Andenhochland und dem ausgedehnten Amazonasbecken hat der Klimawandel die Durchschnittstemperaturen und den Regenfall verändert. Viele Menschen fliehen dort vor Umweltrisiken, die vom Klimawandel verstärkt oder neu geschaffen werden. Es drohen nie dagewesene Gefahren wie der Verlust der Hochlandgletscher in den Anden, die bedeutend für die Wasserversorgung sind.
In Peru zeigt sich, wie vielschichtig die Zusammenhänge von klimatischen Veränderungen und Migration sind. Auf der einen Seite werden plötzlich auftretende Gefahren wie Überflutungen häufiger und heftiger. Sie zerstören Häuser und Felder und können Binnenflucht verursachen. Im Jahr 2017 sind in Peru, vor allem entlang der nördlichen Küste, rund 300.000 Menschen vor Überflutungen geflohen. Sie wurden vom sogenannten Küsten-El-Niño verursacht, einer starken Erwärmung der Meeresoberfläche vor der Küste, die als Folge des Klimawandels wesentlich wahrscheinlicher geworden ist.
Die Gletscher in Peru schrumpfen
Auf der anderen Seite können langsam einsetzende Veränderungen wie schmelzende Gletscher oder sich verändernde Niederschlagsmuster den Lebensunterhalt auf lange Sicht unmöglich machen. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Perus Hochland leiden bereits heute darunter, dass die Gletscher schrumpfen; seit 1962 hat sich deren Oberfläche um mindestens 40 Prozent verkleinert. Weil auch der Regenfall sich verändert, ist ihre Wasserversorgung gefährdet.
Bewohnerinnen und Bewohner der betroffenen Regionen berichten, dass ihnen die Ressourcen und Kenntnisse fehlen, um sich an solche gravierenden Veränderungen anzupassen. Es kann dazu führen, dass sie schrittweise ihre Siedlungen aufgeben. In den peruanischen Anden haben wir beispielsweise sogenannte Geisterdörfer (pueblos de fantasmas) besucht, wo die Gletscher schon vollständig verschwunden waren. Wenn der Schmelzwasserverlust kritische Schwellenwerte überschreitet, wie das für die meisten Gebiete in Peru für die kommenden 20 bis 50 Jahren prognostiziert wird, dann droht Nahrungsmittelunsicherheit. Unter wachsendem Druck schicken manche Familien zunächst einzelne Familienmitglieder in die Städte. In der Hoffnung, dort andere Einkommensquellen zu finden und Geldüberweisungen zurück in die ländlichen Gebiete zu ermöglichen, trennen sich Familien auf. Dabei ist keineswegs gewiss, dass die Arbeit in der Stadt Gewinn bringt.
Städtische Infrastrukturen sind überlastet
Auch andernorts suchen Menschen auf der Flucht vor Umweltkatastrophen und schleichenden Veränderungen Zuflucht in Städten, manche vorübergehend, manche dauerhaft. Der Druck der Umweltveränderungen und der Wunsch nach besseren Bildungs- und Jobchancen sind inzwischen zentrale Elemente der Urbanisierungsdynamik. Migration in Städte kann eine Anpassungsstrategie sein, um beispielsweise Ernteeinbußen zu kompensieren. Doch die Infrastruktur der ohnehin schnell wachsenden urbanen Zentren im globalen Süden ist dem Zuzug oft nicht gewachsen. Die mit der Migration verbundenen Hoffnungen auf ein besseres Leben erfüllen sich oftmals nicht, viele Neuankömmlinge finden sich in prekären Lebensumständen wieder. Der Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung oder dem legalen Arbeitsmarkt gestaltet sich schwierig.
In Peru migrieren beispielsweise viele Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aus dem Hochland in die Hauptstadt Lima an der Küste, die bereits jetzt fast ein Drittel der Bevölkerung des Landes beheimatet. Oft leben sie in illegalisierten Wellblechsiedlungen in den Außenbezirken. Da sie in der Stadt ihre Fähigkeiten aus der Landwirtschaft kaum anwenden können, arbeiten viele im informellen Sektor ohne Arbeitsschutz und für Einkommen, die nicht zum Überleben reichen. Lima liegt in der Wüste und ist teilweise von jenen Gletscherschmelzwassern abhängig, wegen deren Verlust Menschen zunehmend in die Städte ziehen. Selbst bei Einhaltung der im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarten Temperaturgrenzen könnten Ende des 21. Jahrhunderts bis zu 90 Prozent der Gletscher in den tropischen Zentralanden verschwunden sein.
Der Bauernkalender hat ausgedient
Wo Zukunftsperspektiven fehlen, können klimatische Veränderungen dazu beitragen, dass Menschen ihre Heimat verlassen – das zeigt sich in Peru. Besonders betroffen sind Bevölkerungsgruppen, die von natürlichen Ressourcen abhängig sind. Auch auf den Fidschi-Inseln konnten wir das beobachten: Dort haben Bewohner eines Küstendorfs berichtet, lange habe ein Bauernkalender als Entscheidungsgrundlage dafür gedient, was wann anzupflanzen sei. Doch jetzt habe er praktisch ausgedient, da die Jahreszeiten sich zu sehr verändert hätten. Manche Früchte würden gar nicht mehr wachsen. Zudem gefährden Sturmschäden und Küstenerosion Teile des Dorfs. Viele der Jüngeren sind landeinwärts gezogen, um Perspektiven zu haben, andere, um lukrativere Pflanzen anbauen zu können. Ihr Wegzug führt zu Spannungen zwischen den Generationen.
Die Beispiele zeigen, wie vielfältig die Folgen des Klimawandels sind und welches Ausmaß die Schäden bereits heute annehmen. Die Schwere der Klimafolgen und die Fähigkeiten, sich daran anzupassen, beeinflussen Migrationsentscheidungen. Diese lassen sich selten auf eine Ursache zurückführen. Vielmehr entstehen sie aus dem Zusammenspiel sozialer, politischer, ökonomischer, demografischer und umweltbezogener Gesichtspunkte. Der Klimawandel kann all diese Faktoren beeinflussen. Entsprechend schwer lässt sich schätzen, wie viele „Klimaflüchtlinge“ es in Zukunft geben könnte. So sind die Folgen klimatischer Veränderungen für landwirtschaftliche Produktion und Ernährungssicherheit dort größer, wo die lokale Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit ohnehin gering ist oder staatliches Missmanagement diese zusätzlich verschlimmern.
Einige Teile Südasiens könnten unbewohnbar werden
Nach derzeitigem Wissensstand wird der Klimawandel mittelfristig Menschen vor allem innerhalb ihrer Länder und Regionen zur Migration zwingen. Das Ausmaß menschlicher Eingriffe in das Erdsystem ist mittlerweile jedoch so groß, dass Forscher vor einigen Jahren eine neue erdgeschichtliche Epoche ausgerufen haben – das Anthropozän, das Zeitalter des Menschen. Alle künftigen Krisen wie Wirtschaftskrisen, Konflikte oder auch Pandemien werden sich in einem vom Menschen veränderten Weltklima abspielen. Es ist anzunehmen, dass diese Wechselwirkungen vermehrt auch globale Migrationsdynamiken beeinflussen werden.
Autoren
Mechthild Becker
arbeitet im East Africa Peru India Climate Capacities Project, kurz EPICC, am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.Kira Vinke
arbeitet im East Africa Peru India Climate Capacities Project, kurz EPICC, am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.Jonas Bergmann
arbeitet im East Africa Peru India Climate Capacities Project, kurz EPICC, am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.Selbst bei einer globalen Erwärmung um zwei Grad Celsius könnten bestimmte Gebiete langfristig unbewohnbar werden. Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht flache Inselstaaten, tropische Stürme treten bereits heute so häufig auf, dass Regionen zu Gefahrenzonen geworden sind. Sobald sich Klimafolgen nicht mehr abwenden lassen, kann Migration in bestimmten Fällen eine der besseren unter vielen schlechten Optionen sein. Denn nicht überall sind lokale Anpassungsmaßnahmen sinnvoll, bezahlbar oder technisch möglich. Dies einzugestehen und Lösungen aufzuzeigen, muss Teil der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft sein.
Europa muss würdige Migrationsmöglichkeiten schaffen
Allerdings wird es zunehmend Menschen geben, denen die notwendigen Ressourcen fehlen, um gefährdete Gebiete zu verlassen, oder die anderweitig an ihre Heimatorte gebunden sind. Sie sind dann in schlechten Lebensbedingungen gewissermaßen gefangen; in der Fachliteratur spricht man von „trapped populations“. Am Beispiel der zuvor erwähnten „Geisterdörfer“ in den peruanischen Anden zeigt sich, was das bedeuten kann, denn ganz unbewohnt waren manche Dörfer nicht: Zurückgeblieben waren Bewohnerinnen und Bewohner in besonders prekären Situationen wie ältere Menschen, die nicht mehr weggehen konnten oder wollten, während die Strukturen der Dorfgemeinde um sie herum wegschmolzen, fast wie die Gletscher. Ihre Lebensbedingungen waren geprägt von Armut, sozialer Isolation und Perspektivlosigkeit.
Das Phänomen der „trapped populations“ veranschaulicht, warum wir angesichts des fortschreitenden Klimawandels würdige Migrationsmöglichkeiten schaffen müssen. Hierzu muss auch Europa beitragen. Einerseits indem es Migrationsmöglichkeiten in weniger gefährdete Gebiete innerhalb von Ländern und Regionen unterstützt. Andererseits aber auch, indem es seiner historischen Verantwortung für globale Treibhausgasemissionen gerecht wird und legale Wege nach Europa ausbaut. Sich abzuschotten und immer mehr in Grenzsicherung zu investieren, verhindert kein menschliches Leid, sondern schiebt es nur aus unserem Blickfeld. Zudem können restriktive Grenzregime dazu beitragen, dass Menschen in Gebieten festgehalten werden, in denen sie den Auswirkungen des Klimawandels stärker ausgesetzt sind als in denen, in die sie sonst gehen würden.
Reiche Länder tragen Verantwortung
Bei allen Maßnahmen – ob zur Unterstützung von Anpassung vor Ort oder für menschenwürdige Migration – muss besonders auf Gruppen wie Frauen, Kinder, ältere Menschen, Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen sowie Mitglieder von diskriminierten Gruppen geachtet werden. Wenn zwischenstaatliche Organisationen und staatliche Akteure nicht darauf achten, dass Maßnahmen inklusiv und partizipativ gestaltet werden, drohen solche Gruppen noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Hierfür müssen auch internationale Finanzmittel und Expertise zur Verfügung gestellt werden, denn die finanzschwachen Länder des globalen Südens tragen die Hauptlast von Migrationsbewegungen, die vom Klimawandel mitverursacht werden. Zentral ist, eine möglichst gut vorbereitete, sichere und selbstbestimmte Migration zu ermöglichen – innerhalb von Ländern, in Regionen und in letzter Konsequenz auch in die Länder, die historisch betrachtet die Hauptverursacher des Klimawandels sind.
Vor allem aber muss verhindert werden, dass mehr und mehr Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen – oder dass sie in Risikogebieten „gefangen“ werden. Neben drastischen Einschnitten bei Treibhausgasemissionen braucht es dafür nachhaltige Anpassungsmaßnahmen in besonders betroffenen Regionen. Wir in den reichen Ländern tragen dabei eine besondere Verantwortung.
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