Einfallstor für Schnüffler aus China

Schweiz
Ein Abkommen mit China ermöglicht Sicherheitsbeamten der Volksrepublik, in der Schweiz die Identität abgewiesener chinesischer Asylsuchender zu ermitteln. Bei Menschenrechtsorganisationen und auch im Parlament sorgt das für erhebliche Kritik. 

Das Staatssekretariat für Mi­gration (SEM) hatte den Vertrag mit dem chinesischen Ministerium für öffentliche Sicherheit im Dezember 2015 abgeschlossen mit dem Ziel, die irreguläre Migration zu bekämpfen. Chinesische Sicherheitsbeamte führen demnach unter anderem Befragungen durch und helfen bei der Rückführung abgelehnter chinesischer Asylsuchender. Ende dieses Jahres läuft das Abkommen aus. 

Dass es ausgerechnet jetzt für Schlagzeilen sorgt, kommt daher, dass bisher kaum jemand davon wusste. Selbst vielen Parlamentarierinnen und Parlamentariern war es nicht bekannt, weil es im Gegensatz zu anderen Abkommen nie in einer amtlichen Rechtssammlung veröffentlicht wurde. Erst ein Bericht der „Neuen Zürcher Zeitung“ im August löste bei nichtstaatlichen Organisationen sowie Politikerinnen und Politikern teils heftige Kritik aus. Angela Mattli von der Gesellschaft für bedrohte Völker formulierte es gegenüber der Zeitung so: „Es ist sehr störend, dass Beamte eines Staats, der Menschenrechte systematisch verletzt, in der Schweiz in offizieller Funktion tätig sein dürfen.“

Zwar kam das Abkommen laut dem SEM bisher nur einmal zum Einsatz, im Jahr 2016. Das Resultat war die Abschiebung von 13 Personen nach China. Dass es trotzdem verlängert werden soll, begründet das SEM in Medienberichten damit, dass das Potenzial für Armutsmi­gration aus China groß sei und die Schweiz daher auf eine mögliche Migrationswelle vorbereitet sein müsse. Nach der Berichterstattung wurde bekannt, dass das SEM auch mit anderen Ländern vergleichbare Abkommen unterhält; darunter sind auch andere mit problematischer Menschenrechtslage, etwa Äthiopien, Ungarn und die Philippinen. Die allermeisten dieser Vereinbarungen finden sich als Bestandteil in den offiziellen Rückübernahmeabkommen.

Kooperation bei Migration „nur mit Rechtsstaaten“

Fabian Molina, Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP), hält solche Vereinbarungen grundsätzlich für problematisch und rechtlich ungenügend gestützt. Er ist Mitglied der Außenpolitischen Kommission (APK) von National- und Ständerat, in deren Reihen das Abkommen ebenfalls für Kritik sorgte. „Kooperationen mit anderen Ländern im Migrationsbereich dürfen nur mit Rechtsstaaten geschehen – und das ist bei China nicht der Fall“, sagt Molina. Schließlich seien zahlreiche Menschengruppen in China gefährdet, darunter Tibeter oder Uiguren. „Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die Beurteilung der chinesischen Beamten für die Betroffenen in ihrem Heimatland haben.“ Die APK wolle sich daher in einer Sitzung zu diesen Fragen vom Bundesrat konsultieren lassen. Entscheiden über die Fortführung wird letztendlich das Justiz- und Polizeidepartement.
Tatsächlich weiß die Schweiz nicht, was nach der Rückführung mit den Betroffenen geschieht. Gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA beschwichtigte ein SEM-Sprecher lediglich, dass die Rückführungen rechtmäßig erfolgten und die Betroffenen in der Volksrepublik nicht bedroht seien. Verfolgte Minderheiten wie Tibeter oder Uiguren würden nicht zurückgeschickt.

Die nichtstaatliche Schweiz-Hongkong-Gruppe „Eye on Hongkong“ hält das nicht für glaubwürdig. Nach Bekanntwerden des Abkommens hat sie einen offenen Brief an den Bundesrat und das SEM gerichtet mit der Forderung, die Vereinbarung nicht zu verlängern. Sie schreibt: „Das chinesische Regime hat sich verglichen zu 2015, als das Abkommen unterzeichnet wurde, dramatisch verändert und agiert sehr viel härter.“ Das sogenannte Sicherheitsgesetz, das am 30. Juni in Kraft getreten ist und es der Großmacht erlaubt, eigene Polizeibeamte in die Sonderverwaltungszone Hongkong zu schicken, habe die Situation noch verschärft.

Exilhongkonger befürchten außerdem, dass die chinesischen Beamten die Vereinbarung als Einfallstor für weitere Schnüffeltätigkeiten missbrauchen. Ähnlich wie die tibetische Diaspora berichtet auch die Hongkonger über chinesische Bespitzelung in der Schweiz.

Die Kritik kommt just in der Zeit, in der das Außendepartement die Chinastrategie 2021 – 2024 erarbeitet. Wie bereits aus einem internen Papier bekannt wurde, werden die unterschiedlichen politischen Systeme, die Menschenrechtsfragen und der sicherheitspolitische Bereich „die großen Herausforderungen“ für die Ausarbeitung der neuen Strategie sein. Diese soll Ende des Jahres dem Bundesrat vorgelegt werden.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2020: Auf die Heißzeit vorbereiten
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