Der „EU-Notfall-Treuhandfonds für Stabilität und zur Beseitigung der Ursachen von irregulärer Migration und Vertriebenen in Afrika“ (abgekürzt EUTF für EU Trust Fund) wurde am 12. November 2015 im maltesischen Valletta offiziell gestartet. Dort hatte angesichts der Ankünfte zahlreicher Menschen aus Afrika in Europa ein EU-Afrika-Gipfel getagt. Zu den Gebern gehören neben der EU-Kommission alle Mitgliedsstaaten samt Großbritannien sowie die Schweiz und Norwegen.
Erklärtes Ziel des Fonds ist, Krisen in drei Regionen anzugehen: Sahel und Tschadsee, Horn von Afrika und Nordafrika. Er soll dort zur Stabilität beitragen, zu einem besseren Migrationsmanagement und die Ursachen von Vertreibung und irregulärer Migration bekämpfen helfen. Der EUTF hat aktuell ein Volumen von rund fünf Milliarden Euro und speist sich vor allem aus anderen EU-Geldtöpfen: Bis Anfang November waren aus dem Europäischen Entwicklungsfonds und kleineren EU-Töpfen 4,4 Milliarden Euro zugesagt sowie rund 620 Millionen Euro von den einzelnen Geberländern; Hauptgeber hierbei ist mit 228,5 Millionen Euro Deutschland. Weitere rund 200 Millionen Euro stammen aus Kofinanzierungen von Projekten, an denen zum Beispiel Burkina Faso mit einer halben Million Euro und das UN-Flüchtlingshilfswerk mit gut 29 Millionen Euro beteiligt sind.
Die großen Linien des EUTF gibt ein strategischer Rat vor, über die einzelnen Programme entscheidet ein operativer Ausschuss. In beiden Gremien können die afrikanischen Staaten als Beobachter teilnehmen; Protokolle des strategischen Rates zeigen, dass sie von dieser Option Gebrauch machen. Der EUTF hat beispielsweise Minenräumung im Tschad, Friedens- und Versöhnungsarbeit im Südsudan, soziale Basisdienste in Burkina Faso, den Kampf gegen Schlepper in Marokko, Bildung für Flüchtlinge in Dschibuti, Grenzschutz in Ghana sowie Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie in Nigeria gefördert oder soll sie fördern.
Kritik an der Unterstützung der libyschen Küstenwache
Seit Jahren wird der Fonds öffentlich kritisiert, etwa wegen Menschenrechtsverletzungen in Verbindung mit EUTF-geförderten Maßnahmen; genannt wird immer wieder die Unterstützung für die berüchtigte libysche Küstenwache. Ein anderer Fall ist Eritrea. Aus dem EUTF wurden 80 Millionen Euro für ein Straßenbauprojekt bewilligt, in das Arbeiter aus dem staatlichen Zwangsdienst National Service eingebunden werden sollten. Ein weiteres Projekt soll in dem diktatorisch regierten Land unter anderem die Kriminalitätsprävention voranbringen. Ein unsinniges Vorhaben, meint Nicole Hirt vom Giga-Institut in Hamburg, die mehrere Jahre in Eritrea gelebt hat. „Dort gehen Menschen ohne Gerichtsverfahren in den Knast, aber nennenswerte Kriminalität gibt es gar nicht. Daher wird das EUTF-Geld mit Sicherheit nicht der Kriminalitätsprävention dienen.“
Eine andere Kritik lautet, dass der Fonds die nachhaltige Entwicklung in Afrika der Migrationspolitik unterordne. „Man guckt, woher Migranten kommen, und dort investiert man – statt dort, wo Entwicklung am meisten gebraucht wird“, sagt etwa Raphael Shilhav von Oxfam International. Das führe dazu, dass Mittel nicht effizient im Sinne ganzheitlicher Entwicklung eingesetzt und Ergebnisse möglicherweise falsch interpretiert würden. Shilhav führt Burkina Faso an, wo der Erfolg von Beschäftigungsmaßnahmen unter anderem daran gemessen werde, ob Teilnehmer ein Jahr später noch am selben Ort seien. Das sei wenig aussagekräftig, denn die fragile Sicherheitssituation könne Teilnehmer fortgetrieben haben, was nicht heiße, dass ihnen die Beschäftigungsmaßnahmen nichts gebracht haben, macht der Oxfam-Experte geltend. Im Niger habe die EU sogar die Kriminalisierung traditioneller grenzüberschreitender Mobilität zu den Nachbarländern unterstützt und damit der lokalen Wirtschaft schwer geschadet.
Ähnlich kritisiert Özlem Demirel, dass Entwicklungshilfe „zur Migrationsabwehr“ eingesetzt werde. Darüber hinaus beklagt die Linken-Europaabgeordnete „Intransparenz und fehlende Kontrolle“ des EUTF durch das Parlament. „Wir haben keinen Einfluss auf die Entscheidungen und werden lediglich unterrichtet.“
Die Kommission wertet den Fonds hingegen als Erfolg. Er habe sich als flexibel und schnell erwiesen, „insbesondere verglichen mit der traditionellen Hilfe der EU“, teilt eine Sprecherin mit. Als konkrete Resultate verbucht die Behörde unter anderem: Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr von 82.000 gestrandeten Migranten – davon allein 33.500 in Libyen – in ihre Herkunftsländer; die Schaffung von über 73.000 Jobs; besserer Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen für über acht Millionen Menschen; die Teilnahme von über einer Million Menschen an Aktivitäten der Konfliktprävention und Friedensschaffung.
Vor diesem Hintergrund soll der EUTF in Kürze bis Ende 2021 verlängert werden, also in den neuen Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 hinein. Das sei unter anderem nötig, um noch Programme gegen Corona starten zu können, teilt die Kommission mit. Weder der Ministerrat noch die zuständigen Ausschüsse des Europaparlaments hätten gegen die Verlängerung schwerwiegende Bedenken.
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