Wie ist es gekommen, dass Sie sich als Psychologin ausgerechnet mit Fachkräften in der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit befassen?
Nach meinem Psychologiestudium war ich zunächst selbst in der Entwicklungszusammenarbeit in Palästina und als Gutachterin in verschiedenen Ländern in Afrika tätig. In dieser Zeit bin ich zum Schluss gekommen, dass der Erfolg von Projekten maßgeblich vom Engagement der Mitarbeitenden abhängt. Das hat mich zu einer psychologischen Sicht auf Entwicklungsvorhaben gebracht – und auf die menschlichen Beziehungen, die hinter ihnen stehen. Ich habe mich dann aus der klassischen Projektarbeit zurückgezogen und stattdessen angefangen, Menschen zu begleiten, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind und in eine Krise geraten sind.
Haben Sie selbst auch eine solche Krise erlebt?
Ja, 2014 war ich für eine Evaluierung in Ruanda und wurde am Ende meines Aufenthalts auf dem Weg zum Flughafen ausgeraubt. Ich war ohne Geld, ohne Telefon, ohne Pass und habe mich regelrecht zu einer Polizeistation durchgekämpft. Dort konnte ich telefonieren, unter anderem mit meinem Vorgesetzten. Der konnte mir aber nicht helfen. Ich habe dann mit Geld, das mir Freunde überwiesen haben, einen neuen Flug gebucht. Als ich in Berlin zurück zur Arbeit gegangen bin, hatte ich den Eindruck, dass mir vorgeworfen wurde, einen teuren Ersatzflug gebucht zu haben. Keine Rede davon, dass man als Arbeitgeber vielleicht das Sicherheitskonzept überdenken müsste oder für solche Fälle Vorkehrungen treffen sollte. Das hat mich ziemlich frustriert, und ich habe angefangen, mich mit anderen auszutauschen, die in der Entwicklungszusammenarbeit Ähnliches erlebt haben. Ich habe nur von wenigen gehört, dass es bei ihnen funktionierende Verfahren zur Mitarbeiterfürsorge gebe. Das war für mich ein Auslöser zu sagen: Das geht so nicht.
Sie haben eine Umfrage unter Fachkräften im Ausland zu psychischen Belastungen und möglichen Hilfsangeboten durchgeführt. Was sind die wesentlichen Ergebnisse?
Ungefähr die Hälfte der knapp 100 Befragten hat angegeben, schon einmal Traumatisches erlebt zu haben. Viele geben an, unter Stresssymptomen wie Schlaflosigkeit oder Angstattacken zu leiden. Im Vergleich zum Aufkommen solcher Symptome in der Gesamtbevölkerung haben wir deutlich höhere Werte festgestellt. Das sind allerdings keine repräsentativen Daten. Unsere Untersuchung ist aber ein erster Lichtstrahl auf die Belastungen dieser speziellen Zielgruppe. Dank der klaren Ergebnisse kann ich mit meinen Kolleginnen unserer Organisation Coaching Expats genauer auf die Bedürfnisse der Fachkräfte eingehen und sie besser psychologisch begleiten.
Gibt es Unterschiede zwischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen?
Nein, das konnten wir nicht feststellen. Es gibt eher Unterschiede mit Blick auf die Einsatzorte. Nehmen Sie ein Land wie Ruanda: Da gibt es sehr sichere Orte wie die Hauptstadt Kigali, während es in der Grenzregion zur DR Kongo ganz anders aussieht. Je schwieriger der Einsatzort, desto belasteter sind die Menschen. Daraus folgt dann auch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der humanitären Hilfe größerem Stress ausgesetzt sind als etwa Entwicklungshelfer. Wenn Menschen sehr lange unter solchen schwierigen Bedingungen arbeiten, dann tragen sie ihre Traumata oft lange mit sich herum, bevor sie sich Unterstützung suchen.
Welche Hilfsmöglichkeiten haben Auslandsmitarbeiter?
Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Hilfsorganisationen mit psychologischem Dienst im Haus, andere haben Verträge mit externen Psychologen, manche ermöglichen drei Sitzungen mit Coaches, die wenigsten Langzeittherapien.
Das heißt, die Beratung oder die Therapie finden dann in der Regel nicht mit Psychologen vor Ort statt, sondern per Telefon oder Skype mit Fachleuten in Deutschland?
Genau. Unsere Befragung hat ergeben, dass etwa ein Viertel der Organisationen solche Möglichkeiten anbieten. Das Problem ist, dass Mitarbeitende diese Hilfe oft nicht annehmen, weil es großes Misstrauen in Bezug auf die Schweigepflicht gibt: Die Sorge ist groß, dass dann doch getratscht wird und sich das nachteilig auf die Karriere auswirkt. Viele suchen sich deshalb lieber auf eigene Faust psychologische Hilfe. Oder verdrängen ihre Probleme, häufig auf ungesunde Weise, etwa mit Alkohol. Ein weiteres Problem ist, dass lokale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch deutlich schlechter versorgt sind, da sie meistens keinen Zugang zu den hausinternen Angeboten haben, sei es, dass das vertraglich nicht vorgesehen ist, sei es, dass sie mit der westlichen Form psychologischer Unterstützung nichts anfangen können. Das heißt, für diese Menschen, die oft mehr und riskanter unterwegs sind als ihre deutschen Kollegen, ist die Belastung noch höher und die Unterstützung geringer.
Sind psychische Probleme und der Umgang damit ein Tabuthema in der Entwicklungszusammenarbeit?
Das war es lange, es ändert sich jetzt langsam, nicht zuletzt als Folge der bekannt gewordenen Fälle von sexuellem Missbrauch in Hilfsorganisationen. Es wird in den Organisationen mehr über psychische Belastungen und über Missbrauch gesprochen, Arbeitgeber reagieren darauf. So besprechen wir derzeit mit verschiedenen Organisationen, wie sie ihre Auslandsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen im Krisenfall besser unterstützen können.
Hat die bisherige Tabuisierung damit zu tun, dass von Auslandsmitarbeitern erwartet wird, sie dürfe eigentlich nichts erschüttern?
Zumindest werden eine gewisse Abenteuerlust und Risikobereitschaft vorausgesetzt.
Müssen Hilfsorganisationen bei Bewerbern auf Auslandsjobs sorgfältiger prüfen, ob sie den Belastungen gewachsen sein werden?
Nein, ich denke, die Mitarbeitenden werden alles in allem gut ausgewählt. Das ist natürlich nicht immer leicht: Menschen, die risikobereiter sind und insofern passen, haben häufig keine sehr ausgeprägte Selbstfürsorge, die ebenso wichtig wäre für einen solchen Job. Wie solche Menschen mit einer Krise umgehen, lässt sich nur schwer prognostizieren. Selbstfürsorge muss im Laufe des Lebens erlernt werden – nicht zuletzt, indem man selbst ein paar Krisen durchläuft.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.
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