Experten: EU-Migrationspakt bedeutet Abkehr von Grundwerten 

Experten sehen die Vorschläge für einen EU-Asyl- und Migrationspakt äußerst kritisch. Die neue Solidarität der EU-Staaten in der Migrationspolitik bestünde künftig darin, gemeinsam für Abschottung und Abschiebungen zu sorgen.

Berlin - Migrationsexpertinnen und -experten sehen in dem Migrationspakt der EU-Kommission eine Abkehr von europäischen Grundwerten. Die Direktorin des Zentrums für Globale Migrationsstudien (CeMig) an der Universität Göttingen, Sabine Hess, sagte am Donnerstag im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Das Recht der Menschen auf das Stellen eines Asylantrags und auf ein faires Verfahren wird ausgehöhlt". Die Europäische Union setze auf Abschottung und Aufrüstung, um Flucht und Migration nach Europa zu stoppen. 

Die EU-Kommission hatte den "Neuen Pakt zu Migration und Asyl" am Mittwoch in Brüssel vorgestellt. Er sieht beschleunigte Verfahren an den EU-Außengrenzen vor. Während abgelehnte Asylbewerber möglichst schnell abgeschoben werden sollen, könnte für die übrigen eine Verteilung auf andere EU-Staaten folgen. Diese sollen freiwillig Menschen übernehmen können oder alternativ bei Abschiebungen helfen. 

Hess kritisierte, dass ein großer Teil der Schutzsuchenden in Schnellverfahren abgeurteilt würde. "Das widerspricht dem Grundgedanken eines fairen Verfahrens." Sie verwies darauf, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen selbst in Deutschland etwa 40 Prozent der Abschiebeverfahren fehlerhaft seien. Auch der Verbleib von Geflüchteten in Großlagern wie Moria würde durch den Pakt zur gängigen Praxis, fügte sie hinzu. Abschiebungen könnten aus verschiedensten Gründen häufig nicht vollzogen werden. Eine Folge wäre, dass Menschen Monate oder Jahre in solchen Grenzlagern verbringen müssten.

Die Migrationsexperten des Deutschen Caritasverbandes erklärten, es sei völlig offen, ob die Vorschläge der EU-Kommission Situationen wie in Moria künftig vermeiden würden. Mit den geplanten Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen würden die Einreisestaaten genauso belastet wie bisher, erklärte Bernward Ostrop aus dem Berliner Büro des katholischen Wohlfahrtsverbandes.

Ostrop und der Migrations-Referent des Verbandes, Martin Beißwenger, erklärten, der Schwerpunkt des neuen EU-Asylplans liege eindeutig auf der Verhinderung von illegaler Migration und der Rückführung von Flüchtlingen. Die EU drohe damit zu einer "Abschiebe-Union" zu werden. Nach dem neuen Pakt "gäbe es eine Umverteilung von Flüchtlingen zur Rückführung", erläuterte Beißwenger, "statt einer Umverteilung zur Aufnahme".

Dem Kommissions-Vorschlag zufolge hätten EU-Staaten ihre Solidaritätspflichten in der Migrationspolitik künftig bereits erfüllt, wenn sie anderen Staaten helfen, Abschiebungen durchzusetzen. Gelinge ihnen dieses innerhalb von acht Monaten nicht, müssten sie die Flüchtlinge selbst aufnehmen. Mit solchen Vorschlägen werde "der Wertekanon der EU aufgegeben in Hinblick auf die Unwilligkeit einzelner Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen", bilanzierte Beißwenger.

Was dem Asylpakt dagegen völlig fehle, seien Anreize für Staaten, kontrolliert Flüchtlinge aufzunehmen. Dabei zeigten die jüngsten Umverteilungen von unbegleiteten Jugendlichen, erkrankten Kindern, aus Seenot Geretteten und künftig auch Familien, dass es Wege gebe, sich zu verständigen. Daran und an einer menschenwürdigen Behandlung auch derjenigen Migranten, die zurückmüssten, müsse man weiterarbeiten, auch wenn es extrem mühsam sei, forderten Beißwenger und Ostrop.

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